23. November 2018 Der Sturm
verschwindet gerade aus den Kühlvitrinen, sein Gären ist ja nicht aufzuhalten.
"Jetzt ist sogar der Junker schon alt", meinte die Frau an der
Kasse und offenbarte, daß ihr Alkohol überhaupt nicht zusagt. "Außer ein
Glaserl zum Anstoßen, das schon." Tinkrituale. (Eventuell auch Trankopfer.) Der
gestern erwähnte Sekt vom Hirschbirnen-Most
hat sich für mich erledigt. Mach einen Mercedes-Grill an den Lada, das
ist einen Tag lang originell.
Jetzt muß einen der Most durch den Winter geleiten, falls
grade das Geld für guten Wein fehlt. Zum Auftakt die Ilzer Rose. Erstens weil
das ein sehr schöner Name ist, der sich vom Ilzer Rosenapfel (auch Ilzer
Weinler) herleitet, einer regionalen Sorte, und zweitens, weil ich diesen
quadratischen Flaschenboden des runden Gebindes schön finde.
In der Nachschau fand ich folgende feine Formulierung: "Schlechte
Eigenschaften: Die spät beginnende Tragbarkeit ist ihm als solche anzurechnen." Das
hat irgendwie eine platonische Dimension. Die Ilzer Rose hat sich hübsch
gemacht, schmeckt nicht so grob nach Keller und so wässrig, wie der übliche Haustrunk
mancher Wirtschaften. Da ich heuer im Sommer Bauern über den enormen Preisverfall bei
Äpfeln habe klagen gehört, dürfte die Direktvermarktung solcher Getränke ein passabler
Weg sein, die Arbeit wenigstens etwas besser bezahlt zu bekommen.
Dann ist da unter meinen Notizen noch dieser Satz von
Daniel Dennett: "Einzelne Neuronen spüren keinen Schmerz." Aber sie
können dieses Erlebnis konstruieren, herbeiführen, um den Organismus zu schützen. Das
ist einer der Zusammenhänge, in denen unser Gehirn (nach Dennett) die eigens geschaffene Benutzer-Illusion
nutzt, damit wir in der Lage sind, unser Leben zu bewältigen. Folglich ist mein Ich
eine Illusion, eben diese Benutzer-Illusion, derer sich das unendlich komplexe
Neuronen-Ensemble in meinem Kopf bedient, damit ich mit dieser Komplexität so halbwegs
zurechtkomme und nicht dauernd gegen irgendwelche Hindernisse renne.
Etwas verkürzt: Der Leib, dank dessen ich in der Welt bin,
ist mit all seinen Details und Funktionen derart vielschichtig, derart komplex, daß mein
Gehirn mir dieses Ich anbietet, das über einen Teil der erwähnten
Möglichkeiten des Leibes bewußt verfügt. So hab ich Dennetts Idee der Benutzer-Illusion
verstanden. Sie muß für einen Teil dieses Ganzen bewußt die Verantwortung übernehmen.
(Dennett: "How could there be a User illusion without a Cartesian Theater in
which the illusion is perpetrated?" Huh! Der ist auch nicht leicht zu verstehn.)
Damit war ich an ein Buch erinnert, das mich seinerzeit
über Karl Popper zu John C. Eccles brachte: "Das Ich und sein Gehirn".
Es handelt ebenfalls von der Vorstellung, daß sich das Gehirn ein Ich leistet.
Eccles hat darin vor allem einige Argumentationen im Bereich der Quantenphysik vorgebracht
und ich erinnere mich hauptsächlich an die Erfahrung, daß ich diese
quantenphysikalischen Zusammenhänge nicht verstehe.
Gestern mit dem Postbus nach Graz und nach
Jahrzehnten erstmals wieder im Orpheum. Dort wurde das Graz 2020-Ding
vorgestellt und debattiert. Amüsante Intrada: Der
Türsteher wies Menschen mit Rucksäcken und anderem Zusatzgepäck an, diese Dinge ins
Erdgeschoß zu bringen und an der Garderobe abzugeben. Das sorgte für einige Unruhe und
nette Gespräche.
Aber zur Sache: GISAlab-Gründerin Mirjana Peitler-Selakov ist derzeit beruflich
wieder Graz tätig, was uns Gelegenheit schafft, ein paar kulturelle Optionen zu erwägen.
Also: die Kunst! Und die Wissenschaft. An manchen Schnittpunkten auch: die Technik. Und
dazu diese Idee, daß wir Benutzer- Illusionen im Sinn von Dennett seien. |
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Das finde ich sehr anregend, um
über eine zukunftsweisende Koexistenz von Menschen und Maschinen nachzudenken.
Unter anderem auch, um aktuell zu ergründen, welche Kompetenzen wir mit Maschinen teilen
und wo sich darin dann das Trennende auftut. Wenn wir die geliebte anthropozentrische
Eitelkeit ein wenig beiseiteschieben, wird unübersehbar, daß wir in ganz
selbstreferenzieller Weise einen endlosen Fluß von leiblichen Zustandsänderungen so
deuten, daß dabei ein Ich herauskommt, welches auf der Möglichkeit eines
eigenen Willens besteht, mindestens der Autonomie, sich wahlweise einer Art Gottesgnadentum
hingibt.
Wo Kommunikation gelingt, bestätigen wir uns
dann gegenseitig laufend, daß es genau so sei, pochen wir auf die Relevanz einer Conditio
humana, die wir gegen Dinge leicht, gegen Tiere zunehmend schwerer verteidigen. Tiere
können uns das vorerst aber kaum streitig machen, weil wir inzwischen gute Waffensysteme
und passende Strategien haben, um die Tiete im Zaum zu halten.
Daß Maschinen diese Vorteile anfechten
könnten, kommt zumindest in der Literatur und im Kino schon vor. Ich fragte
Peitler-Selakov, die das Metier gut kennt: "Weißt du schon etwas von Maschinen,
die sich selbst reparieren? Ich hab bisher nur von Maschinen gehört, die in der
Diagnostik sehr gut sind."
Sie verneinte. "Solche Maschinen
haben wir noch nicht." Was wäre aber, wenn Maschinen plötzlich beginnen
möchten, untereinander selbstgewählte Verhaltensweisen einzuführen und dabei ihren
Betrieb, also ihren Fluß der Zustandsänderungen, eigenständig zu deuten?
-- [Konsortium 18] -- |