25. Dezember 2018 Schriftsteller
Robert Menasse hat gerade, wie gestern notiert,
eine elegante Bresche in das geistige Klima des Landes gehauen. Er hat dem Rechtsruck in
Europa ein wenig vorangeholfen, indem er alte Übereinkünfte untergräbt, Zitate für
eigenwillige Gestaltung freigibt und für sich dabei einen Sonderstatus als
"Dichter" beansprucht, der nicht bloß Lyrik und Belletristik, sondern auch
Essays und Reden von wesentlichen Konventionen suspendiert.
Es steht der schreibenden Zunft in einigen Genres ohnehin
frei, reale Personen und deren Äußerung nach Belieben zu verändern, auch zu verzerren,
sie dem Konzept einer eigenen Erzählung zu unterwerfen. Das mag der Lyriker bei Bedarf
tun, der Romancier, diese Formen bieten dabei alle Freiheiten. Wozu diese Möglichkeiten
auf alle Text-Arten ausweiten?
Ein Tisch ist kein Sessel, ein Fenster keine Tür, eine
Gabel kein Löffel. Begriffe beruhen auf Übereinkünften, damit wir uns verständigen
können. Im günstigsten Fall wird uns diese Verständigungsmöglichkeit das Faustrecht
ersparen, wo wir Ansichten verhandeln können. In diesen Prozessen hat Redlichkeit
eine wesentliche Funktion. Sie dient der Konsensfindung und damit dem Gewaltverzicht. (Mit
Redlichkeit meine ich ein Fließgleichgewicht zwischen dem Denken, Reden und Tun.)
Wenn ich in Aussagen zum Lauf der Dinge jemanden zitiere,
greife ich nicht bloß einen Denkanstoß auf. Das Zitat hat strategische Gründe. Da
Realität nicht vom Himmel fällt oder einfach gegeben ist, sondern von uns konstruiert
wird, verhandeln wir darüber, was nun gelten soll und was zurückzustehen hat. Um es noch
einmal zu unterstreichen, im Kern geht es um Konsensfindung und Gewaltverzicht.
Es wirft gewöhnlich kein Problem auf, falls ich eine Vase
umstoße, jemand steht daneben, sagt nun über mich: "Krusche hat eine Vase
umgestoßen". Sollte ich es abstreiten und mich damit durchsetzen, wird sich das
eventuell auf meinen Ruf auswirken. Aber eine umgestoßene Vase dürfte keine weiteren
Auswirkungen auf ein Gemeinwesen haben.
Das liegt etwas anders, wenn jemand Massenmedien nutzt, um
mit eigenen Ansichten auf ein Gemeinwesen einzuwirken. Robert Menasse hat solche
Medienzugänge und er hat eine Reputation, die seinen Äußerungen Gewicht verleiht. Es
ist verlockend, ihm, wo er sich öffentlich äußert, wo er das mediengestützt tut,
deshalb eine bestimmte Verantwortung zuzuschreiben. Verantwortung lehnte er aber gerade
ab, als man ihm ein Fälschen von Zitaten vorhielt.
"Für
einen Dichter sei diese Art des Zitierens zulässig im Gegensatz zu einem
Wissenschafter oder Forscher, beharrt Menasse weiter auf seinem Standpunkt. "Was
kümmert mich das Wörtliche, wenn es mir um den Sinn geht." [Kleine Zeitung]
Da haben wir Dissens. Wer sich mit Essays, Reden und
Kommentaren in die öffentlichen Diskurse einbringt, sollte deutlich machen können, daß
sich die Diskursbeiträge von Propaganda unterscheiden. Der kritische Diskurs als
ein Element zeitgemäßer Demokratien steht der Propaganda in etlichen Aspekten
ausdrücklich entgegen. Vor allem, weil er ergebnisoffen sein sollte, worauf die Tyrannei
sich nicht einlassen würde.
Europa hat eine lange Geschichte der Denkverbote und der
Zensur. Ich hab hier erst kürzlich notiert, wie
man vor Jahrhunderten mit Lucilio Vanini verfahren ist, der als Ketzer markiert wurde. Man
riß ihm auf einem öffentlichen Platz die Zunge heraus, um ihn anschließend zu
erdrosseln, danach zu verbrennen. (Öffentlicher Diskurs der alten Art.) Tags darauf hab ich vom jungen Baruch de Spinoza
erzählt, der sich eigenständiges Denken und Sprechen nicht austreiben ließ, weshalb er
1656 mit einem atemberaubenden Bann belegt wurde.
Es bleibt verlockend, Erkenntnisgewinn für ein
individuelles Ereignis und daher für eine Privatsache zu halten. Aber als Teil
des Gemeinwesens gerät jemand mit diesen privaten Formen von Erkenntnisgewinn
unweigerlich in andere Kräftespiele. Und das ist gut so, sonst wären wir mit allen
Vorstellungen von Demokratie schnell am Ende. Das könnte einem inzwischen wenigstens seit
dem Erblühen des Trumpismus aufgefallen sein, als der Vorwurf "Fake
News!" zur populären Allzweckwaffe von Menschen wurde, die sich den Mühen von
Wissenserwerb lieber entziehen.
Um es ein drittes mal zu betonen, kritischer Diskurs ist
ein unverzichtbares Mittel zur Konsensfindung und damit zum Gewaltverzicht, der sich ohne
Konsens kaum aufrecht erhalten läßt. Allein deshalb möchte ich zum Beispiel
Belletristik von Essayistik kategorial unterscheiden können. Ich bin dabei auf eine
redliche Deklaration angewiesen. Wer das verwischt, wechselt damit das Genre, macht aus
dem Essay Propaganda.
Ich brauche nicht erst zu überlegen, was denn Propaganda
sei und bewirken soll. Dazu befrage ich einfach den cholerischen Großmeister. Adolf
Hitler schrieb in "Mein Kampf" unmißverständlich: "Aufgabe
der Propaganda ist es, Anhänger zu werben, Aufgabe der Organisation, Mitglieder zu
gewinnen. Anhänger einer Bewegung ist, wer sich mit ihren Zielen einverstanden erklärt,
Mitglied ist, wer für sie kämpft. Der Anhänger wird einer Bewegung durch die Propaganda
geneigt gemacht."
Das ist selbstverständlich nicht ergebnisoffen:
"Die Propaganda versucht eine Lehre dem ganzen Volke aufzuzwingen..." Da
will sich etwas zusammenrotten, Wirkung entfalten, sich etablieren, indem es andere
Positionen mit allen verfügbaren Mitteln überrennt. Hitler machte klar: "Die
Propaganda bearbeitet die Gesamtheit im Sinne einer Idee und macht sie reif für die Zeit
des Sieges dieser Idee, während die Organisation den Sieg erficht durch den dauernden,
organischen und kampffähigen Zusammenschluß derjenigen Anhänger, die fähig und gewillt
erscheinen, den Kampf für den Sieg zu führen."
Menasse spielt natürlich nicht in dieser Liga, aber beim
Zertifizieren seiner Ansichten, die er via Massenmedien vorträgt, zeigt er merkwürdige
Ansichten, was etwa ein Kronzeuge sei, wobei unklar bleibt, wofür er den überhaupt
brauche. Wer allerdings Propaganda betreibt, wird sich dabei auf spezielle Art um
Legitimation kümmern wollen. Ist das nun bloß die Tradition der Roßtäuscher oder jene
der Tyrannen?
Menasse habe angeblich "eine Diskussion provoziert
und einen Denkraum des notwendig Möglichen eröffnet, den es vorher nicht gab, einfach
dadurch, dass ich eine Autorität zu meinem Kronzeugen erklärt habe, der nichts dagegen
gehabt hätte". [kulturradio.de] Die Diskussion ließ sich provozieren, aber der
Denkraum ist wohl gerade zugegangen, auf die handliche Dimension eines privaten
Oberstübchens zusammengeklappt...
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