23. Dezember 2018

Wie bedauerlich, daß ich guten Wein im Haus hab, aber keinerlei Lust ihn zu trinken. Wie erfreulich, daß er mit der Zeit nicht schlechter wird. War das eben Vollmond? In meine ruhige Morgenschicht kam Meister Thaler mit einem Telefonanruf herein. Er ist offenbar nach all den Jahren immer noch erstaunt, daß ich schon in aller Früh arbeite. Wir denken über 2019 nach und er schraubt ganz konkret an den Dingen, Wenn alles gut geht, wird ein verschollener Prototyp des Steyr-Puch Haflinger auferstehen.

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Wir sind in dieser kuriosen Wissensarbeit miteinander verbunden, der alte Handwerker und der Kopfarbeiter. Eine etablierte, aber irreführende Formulierung: Kopfarbeiter. Meister Thaler ist mir in der Kopfarbeit umfassend ebenbürtig, denn sonst könnte er kein exzellenter Handwerker sein. Würde ich zum Handwerker taugen, ich hätte einen fließenden Übergang zwischen Wohnraum und Werkstatt. Das würde die alten Herren irritieren, denn sie halten diese Bereiche gut getrennt.

So eine Trennung der Zonen mag freilich auch mit einem anderen sozialen Konzept zusammenhängen. Daß sich ein Hackler ein solides Haus baut, welches von einem adretten Garten umgeben ist, erzählt eine bestimmte Geschichte. Ich hab dagegen keine Ambition, mir und anderen über derlei Dinge etwas mitzuteilen. Aber die Konzepte in meiner Community sind so verschieden wie die auftauchenden Arbeitsfelder; siehe dazu aktuell auch: [link]

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Hier Hasi Haslinger (links) und Fredi Thaler im Studierzimmer. Sie verkörpern Wissen, das in wesentlichen Teilen nicht dokumentiert ist. Das hat etwas von Ray Brandburys "Fahrenheit 451", wo es an einer Stelle heißt: "Mit der Hand tastete er den Boden ab, Meter nach links, Meter nach rechts. Das Geleise, das aus der Stadt kam und durch die Landschaft dahinrostete, durch die jetzt menschenleeren Wälder am Fluß. Wohin immer er wollte, dies war sein Pfad."

Dieser Pfad führt zu den Menschen in die Wäldern, zu Verfemten, von denen jeder ein Buch auswendig gelernt hat, weil es in jener Geschichte verboten ist, Bücher zu besitzen. Ich bin von der Vorstellung gefesselt, daß wir uns mit verlöschendem Wissen einrichten können. Keine Ahnung, wo jene Demarkationslinie liegt, die in Zustände führt, wie sie Canetti in "Die Blendung" beschrieben hat. Dieser in Bücher vernarrte, die Menschen verachtende Peter Kien, der schließlich in seiner Bibliothek verbrennt, so radikal hat er sich von der Welt abgewandt...

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All das Wuchernde. Selbstverständlich bildet mein Heim ab, was in mir vorgeht. Die Wohnung hat keine repräsentative Funktion, sondern muß mir nützen, um die wiederkehrenden Komplexitätskrisen abzuwenden, die bei all den Überlagerungen von Themen und Aufgaben zwangsläufig entstehen. Ich kann einfache Verhältnisse in meinem Kopf nicht leiden. Es muß sich derart verheddern, auf daß ich voll von Wissen bin, das kein Mensch braucht.

Es gibt lächerliche Deutungen, die mit dem Genie-Begriff kokettieren und Chaos als einen Ausdruck von Kreativität zurechtstellen. Mumpitz! Chaos ist ein Mangel an Kosmos. Punkt. Das herumsüßelnde Aufhübschen von Unordnung ("Kreatives Chaos" etc.) gehört zu den üblichen Verständnis-Strategien von Spießern und Mittelschicht-Trutschen. Selbstergriffene Kreaturen, die man auch erleben kann, wie sie mit irgendwelchen gekühlten Drinks in Händen raunen, daß man schon ein wenig verrückt sein müsse, um etwas zu bedeuten. ("Ja, ich bin schon anders, also, ähem, räusper, ein wenig verrückt.")

Mich schert dieses Posieren nicht, denn wovon hier die Rede ist, liegt an sehr viel banaleren Gründen. Der Tag hat 24 Stunden und mein Geist erschöpft sich laufend. Es bleiben mir keine Ressourcen, um all das ständig aufzuräumen und abzustauben. Ich wäre dafür zu müde und möchte außerdem meine Zeit mit substanzielleren Aufgaben verbringen.

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Wäre ich ausreichend markttauglich und daher ökonomisch entsprechend erfolgreich, würde ich vermutlich Profis bezahlen, um etwas an Räumarbeit erledigen zu lassen. Vielleicht aber auch nicht. Möglicherweise würde ich es auf konventionelle Art lösen, eben ein Atelier zu haben, Magazin und Bibliothek angeschlossen, aber in einer anderen Gasse eine kleine Stadtwohnung, so karg eingerichtet wie eine historisches japanisches Teehaus. Oder wie wäre eine passende Villa? Alles unter einem Dach?

In jener Einkommenskategorie hätte ich natürlich auch einen Weinkeller. Doch das ist letztlich irrelevantes Geplänkel. Wir haben eben auch in unserem geistigen Leben allerhand Schichtungen und ständische Verhältnisse. Ob Francis Bacon sein Atelier je begründet hat? Warum mag Friederike Mayröcker ihr Schreibzimmer nicht aufräumen? Irgendetwas ruft quer durchs Land: Disziplin! (Wie taub ich dafür schon Jahrzehnte bin.)

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Wir sind alle auf die gleiche Art gefordert, stets neu zu klären, wofür wir die laufend verfügbaren 24 Stunden eines Tages nutzen möchten. Ich bin in einem Alter, wo sich die Kompetenz, das so oder so zu entscheiden, nicht mehr verhandeln läßt. Momentan setze ich meine Schritte langsam und warte geduldig, bis ich wieder Lust auf vorzüglichen Wein habe.

Derweil ist das kommende Arbeitsjahr vorzubereiten, das in wenigen Tagen anbrechen wird. Das sieht dann zum Beispiel so aus: "Jahreswechsel 2018/19" (Wissens- und Kulturarbeit). Mit den "Wegmarken" sind wir nun auch auf Kurs. Ich hab drei Bürgermeister im Boot, ich bau mir im Kernbereich der Geschehnisse eine neue Reisegesellschaft auf. Wir werden reichlich zu tun haben... "Zeichen und Markierungen" (Unser Lebensraum als Kulturraum)

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