3. Dezember 2018 Ich
hab gestern den Historiker Philipp Blom und das
Thema Transformationskrisen erwähnt. Er befaßt sich in seinem Buch "Die
Welt aus den Angeln" mit den markanten Auswirkungen von Klimaveränderungen auf
die Gesellschaften Europas. Die Landwirtschaften des Mittelalters sind von Monokulturen
beherrscht gewesen, was ein Auslaugen der Böden zur Dauergefahr machte. Dünger war also
wichtig, was vor allem die Haustiere mit ihrer Mistproduktion betonte.
Stahlpflüge waren noch die Ausnahme. Rinder und Pferde als
Quelle von Zugkraft entlasteten die Menschen. Vieh war kostbar und vor allem teuer, weil
es durch den Winter gerfüttert werden mußte. Mangelte es an Vieh, dann fehlte es auch an
Mist, der als Dünger für die oft ermüdeten Böden gebraucht wurde. (Für ein gesätes
Korn konnten bloß vier Körner geerntet werden, das war also sehr knapp.)
Diese Verhältnisse sind für Klimaschwankungen höchst
anfällig gewesen. Es konnte entsprechend leicht zu Mißernten kommen, denen Mensch und
Tier unerbittlich ausgesetzt waren. Das mag als ein Beispiel verdeutlichen, wie eng
verzahnt die verschiedenen Bereiche waren und gewissermaßen immer noch sind, auch wenn
sich die Produktionsmethoden im 20. Jahrhundert radikal verändert haben.
Hier liegt ein Schnittpunkt zu einem anderen Themenkomplex,
der mich seit Jahren sehr beschäftigt. Mobilitätsgeschichte. Blom erwähnt in
seinem Buch, auf dem gesamten Kontinent seien damals vor allem Weizen, Roggen, Gerste und
Hafer angebaut worden.
Das Pferd ist seit Jahrtausenden die wichtigste Traktionsquelle
der Menschen. Rinder können als Wiederkäuer von Gras und Heu leben. Pferde (der
historische Hafermotor) brauchen Heu zwar als Rauffutter, das etwa
beiträgt, die Bakterienkultur im Darm zu pflegen, aber es braucht zum Beispiel Hafer als Kraftfutter
für seinen Kalorienbedarf.
Das Pferd steht daher in einer unmittelbaren Nahrungskonkurrenz
zum Menschen, ist aber zugleich als Nahrungsreserve bei uns weitgehend verpönt.
Das bedeutet, wir essen zwar Rinder, aber Pferde eher nicht. Ich hab übrigens im Kosovo
Pferde gesehen, denen es an Kraftfutter fehlte. Da mag auch ein unbedarfter Laie erkennen,
daß so ein Tier niemals die Leistungen erbringen kann, mit denen das Pferd die Kultur
Europas überhaupt erst ermöglicht hat, denn es war mehrere tausend Jahre das
Hauptereignis in Fragen der Raumüberwindung.
Ich hab schon an verschiedenen Stellen erwähnt, daß sich
unsere Leute früher hauptsächlich von Breien und Suppen ernährt haben. Dazu kam etwas
Gemüse und Obst, auch Brot, oft von schlechtem Mehl, während Fleisch kaum verfügbar
war. Kartoffeln, Mais und Reis sind relativ junge Wohltaten in unseren Küchen.
(Volkskundler Günther Jontes hat viele Details in seinem Buch "Historische Wege
zur Nahrungskultur der Gegenwart" dargelegt, das im Austria-Forum online
verfügbar ist.)
Blohm notierte: "Die meisten Europäer lebten von
Brot, Brei, Mehlsuppe oder anderen Speisen, die aus Getreide gewonnen wurden." Dagegen
waren andere Pflanzen wie Kartoffel, Mais und Tomaten, nachdem sie von Reisenden aus
Übersee zu uns gebracht wurden, Jahrzehnte lang nur in botanischen Gärten als Experimente
im Spiel.
Das läßt sich in folgender Feststellung zusammenfassen: Der
Mangel war dauernder Bestandteil des Lebens, die Not oft zu Gast. Blohms Buch ist der
Kleinen Eiszeit Europas gewidmet. Das ist eine Periode markanter
Klimaschwankungen mit wiederkehrenden Klimakatastrophen, also eine Ära der Mißernten und
Hungersnöte. Blom schreibt, daß etwa ab 1570 entsetzliche Kälteeinbrüche dokumentiert
sind, was sich auch an Pflanzen ablesen ließe (z.B. Jahresringe im Holz).
Dazu kamen zahlreiche Anmaßungen der herrschenden Eliten.
Eine der übelsten war dabei wohl der Dreißigjährige Krieg (1618 bis 1648). Da
sich Armeen weitgehend selbst versorgen mußten, wo sie gerade waren, ging das erst einmal
gegen die Nahrungsmittelvorräte der regionalen Bevölkerung. Schließlich wurde aber auch
das Verbrennen stehender Felder zu einem strategischen Mittel, mit dem eine abziehende
Armee die Situation des Gegners zu erschweren suchte. Eine Grausamkeit gegen die Menschen,
die erst im Kartoffelanbau eingedämmt werden konnte, weil diese Feldfrucht unter der Erde
für Übergriffe nicht so anfällig ist wie stehendes Korn.
Vor dieser Ära hatte übrigens die große Pestkrise
(zwischen 1346 und 1353) in Europa gewütet. Dabei wurde nicht bloß rund ein Drittel der
Bevölkerung Europas getötet, dieses Massensterben ereignete sich auf entsetzliche Arten,
hatte unter anderem eine völlige Zerrüttung der sozialen Gefüge und eingeführten
Ordnungen zur Folge.
Mich beschäftigen diese Themen, weil anzunehmen ist, daß
wir Menschen eine geradezu atemberaubende Geschichte traumatischer Erfahrungen haben, die
mentalitätsgeschichtlich über Jahrhunderte hinweg prägende Kraft ausüben und noch
präsent sind. Wie schon angedeutet, zu den Bedrohungen seitens der Natur kamen stets auch
Kriegshandlungen in allen Größenordnungen. Die waren wiederum oft von Freischärlern,
von marodierenden Verbänden begleitet. Und das in Zeiten, da die Medizin nur wenig konnte
und Ärzte für die Allgemeinheit nicht verfügbar waren.
Daraus mag auch eine Vorstellung entstehen, aus welchen
Lebensbedingungen unsere Leute erst im 20. Jahrhundert herausgekommen sind, genauer: erst
nach dem Zweiten Weltkrieg. Das halbe Jahrtausend davor war voller Schrecken, der
die Menschen oft im Alltag begleitete, voller allgegenwärtiger Gefahren.
Das ist der eigentlich Hintergrund, vor dem mir heute
vaterländische Kräfte und ein politisches Personal, das offenbar recht frei von
seriösen Geschichtskenntnissen seine Privatmythologien pflegt, die Republik
zurechtrücken und Europa nach ihrer Fasson ordnen möchte. Ich sehe da etliche Gründe,
um Einwände vorzubringen.
-- [Spurweschel] -- |