2. Dezember 2018

Ich suche zur Zeit möglichst unaufgeregte Gesprächssituationen über den Lauf der Dinge und meide diese merkwürdigen Erregungszustände, von denen mir die Social Media tagtäglich eine reiche Auswahl auf den Tisch wuchten würden. Das Beschimpfen Andersdenkender ist, wie im gestrigen Eintrag notiert, längst auch in meinem Milieu Standard.

Der Tag war noch nicht zu Ende, da bekam ich auf eine Frage die nächste Reaktion, unter der ebensogut FPÖ. Identitäre oder AfD stehen könnte. Das Statement läßt sich qualitativ nicht mehr anders zuordnen. Es lohnt nicht, derlei zu zitieren, denn man kann für zwei Cent an jeder Ecke einen Berg davon bekommen.

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Franz Wolfmayr, Pädagoge und Gründer der Chance B, gehört zu jenen, die sich solchen scheinbaren Auswegen nicht hingeben. Mit ihm hab ich ein paar Mal im Jahr Debatten über den Stand der Dinge. Wolfmayr kann die Bruchstelle, nach der die Dinge sich plötzlich ganz anders zeigten, zeitlich eingrenzen. Er sagt, ab 2012 hätte die Politik im Sozialbereich aufgehört, mit den handelnden Menschen im Dialog zu bleiben. Da ist es offenbar zu massiven Verschiebungen gekommen.

Ich konnte das im Kulturbereich ähnlich feststellen. Als 2008 die Lehman Brothers crashten, dauerte es bis etwa Mitte 2010, daß die Schockwellen rund um die Erde gegangen waren und sich schließlich auch bei uns mit hausgemachten Problemen vermengten. Ende 2010 waren im Kulturbetrieb fundamentale Brüche erlebbar und ab da veränderte sich die Verwaltungsebene in ihrem Verhältnis zu den primären Akteurinnen und Akteuren.

Ich hatte ein Schlüsselerlebnis bei der Abwicklung eines LEADER-Projektes, für das ja die Ausgaben vorfinanziert und aufwendig belegt werden müssen. Ein Vorgang, bei dem das Land Steiermark die Unterlagen prüfte, dann an die AMA weitergab. Das bedeutet, von der Abrechnung bis zur Refundierung des EU-Anteils am Budget dauerte es meist ein halbes Jahr.

Nun hatte eine Sachbearbeiterin so ein Konvolut von uns liegengelassen. Ich besuchte sie und erwähnte: "Wir kommen jetzt ins nächste Quartal. Das kostet den Verein zusätzlich fast 400,- Euro für eine Verzögerung, die wir nicht verursacht haben und die ich hereinwirtschaften muß, weil das keine förderbare Ausgabe ist."

Die Dame lächelte mich an und fragte: "Wollen sie sich beschweren?" Da war mir klar, daß sich die Zeiten geändert hatten. Aus den 1980er Jahren heraus habe ich mit etlichen Kulturschaffenden die Vorstellung verfolgt, es ließe sich eine stabile Kooperation der drei Sektoren Staat, Markt und Zivilgesellschaft etablieren. Politik und Verwaltung wären bereit, sich in soziokulturellen Projekten mit der Zivilgesellschaft einzulassen, wofür auch Wirtschaftstreibende für sich eine passende Rolle fänden.

Das in Situationen, für die Kooperation vor allem auch Augenhöhe bedeutet, denn Geld ist nur eine der notwendigen Währungen, Verfügungsgwalt eine andere, unsere Inhalte und Kompetenzen als Kulturschaffende sind dem nicht nachgeordnet. Aber das stellte sich als Phantasma heraus. Es verkam in weiten Bereichen zur Baustelle und hat sich dahin entwickelt, daß Politik und Verwaltung sich vielfach ein Selbstzweck-Bündel erschlossen, also zugunsten von Selbsterhalt und Selbstrepräsentation arbeiten, das aber als Gemeinwesenorientierung ausgeben, was übrigens erhebliche Mittel für PR-Arbeit verlangt.

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Robert Menasse schrieb in einem seine Aufsätze der Sammlung "Heimat ist die schönste Utopie" unmißverständlich: "Europa ist wieder Avantgarde. Hier entsteht, durch Krisen hindurch und von Krisen angetrieben, etwas historisch völlig Neues..." Menasse spricht von Transformationskrisen. Ich finde das sehr anregend. Es erinnert mich daran, daß Franz Wolfmayr vor Jahren ein Bonmot mitgebracht hatte, ich glaube, aus Irland, das besagt: Man soll keine gute Krise vergeuden.

Entsprechend der ursprünglichen Wortbedeutung im Griechischen meint Krise etwas Trennendes, etwas Verdeutlichendes, das die Unterscheidung erleichtere, einen Wendepunkt. Seit es die Griechische Tragödie gibt, besteh die Annahme: ohne Krisis keine Katharsis. Die Läuterung hat freilich Voraussetzungen und einen Preis.

Apropos Transformationskrisen! Historiker Philipp Blom widmet in seinem Buch "Die Welt aus den Angeln" dem österreichischen Ökonomen Karl Polanyi und dessen Schlüsselwerk "The Great Transformation" etliche Überlegungen. In einer Art gedanklichem Pas de deux mit Polanyi schlüsselt er auf, wie eine ständische Gesellschaft einst begann, den Fokus von Statuserhalt auf Profitmaximierung zu verschieben.

Im 16. und 17. Jahrhundert wurde darin radikale Weichenstellungen vollzogen. Das ließe sich als eine umfassende Regulierung der Gesellschaft zusammenfassen, im Zuge derer Menschen hart diszipliniert wurden. Knapp halten, zur Arbeit drängen, und zwar zu solcher Arbeit, die herrschenden Kreisen Mehrwert liefert. Bis heute wird uns dieses Bestreben ideologisch versüßt, etwa mit erfundenen Kategorien wie "Vaterlandsliebe", Patriotismus etc.

Blom liefert ein historisches Motiv, das Denkanstöße bietet: "Schließlich hatten die Bauern keinerlei Anreiz, mehr und effizienter zu produzieren, weil der gesamte Überschuss ihrer Ernte in Form von Steuern an den Landesherren abgeliefert werden musste. Wenn also Hunger abgewendet war, war jede weitere Bemühung sinnlos."

-- [Spurweschel] --

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