1. Dezember 2018 Kunsthistoriker
Kenneth Clark veröffentliche 1969 sein Buch "Civilisation". Darin
heißt es an einer Stelle: "The late antique world was full of meaningless
rituals, mystery religions, that destroyed self-confidence. (And then again boredom, the
feeling of hopelessness which can overtake people even with a high degree of material
prosperity.)"
Um es polemisch zu verkürzen: Obskurantismus, Langeweile
und das Gefühl von Hoffnungslosigkeit können dazu führen, daß man sein Selbstvertrauen
verliert. Auf diese Art lassen sich sogar Gesellschaften in guten wirtschaftlichen
Verhältnissen versenken.
Wenn nun in Österreich das Gespenst einer
"Umvolkung" beschworen wird, auch wenn dieses Stück Nazi-Jargon inzwischen
bemäntelt wurde, dann ist das ein Beitrag zu solchen Tendenzen. Daß die Protagonisten
solcher Propaganda heute einen Teil der Bundesregierung stellen, erstaunt mich. Es drückt
seinerseits einen Beitrag zu derlei Obskurantismus und Mangel an Selbstvertrauen aus.
Daß quer durch Europa mit dem Drohszenario einer "Islamisierung"
Wahlen gewonnen werden, paßt in diese Bild und dokumentiert einen Mangel an Kenntnis
wie Vertrauen bezüglich der eigenen Kultur und Geschichte. Wie genau "Der
Islam" es schaffen soll, abendländische Kultur beseitezuschieben, zu
überschreiben, womöglich auszulöschen, konnte mir vorerst noch niemand nachvollziehbar
darlegen.
Dazu kommt, daß es "Den Islam" noch nie
gab, weil sich die weltweite Umma aus unzähligen Glaubenskonzepten
zusammensetzt, die vom Islam höchst unterschiedliche Auffassungen zeigen. Dazu kommt
überdies, daß sich die abendländische Kultur faktisch aus einer
Jahrtausendgeschichte der intensiven Wechselbeziehungen mit arabischen/islamischen
Kulturen entwickelt hat.
Wenn ich dank Social Media nun schon Tag für Tag
erleben kann, wie Leute aus meinem Umfeld die Protagonisten vaterländischer Politik grob
beschimpfen, herabwürdigen, stellenweise mit völlig hemmungslos geäußerten Tiraden
bedenken, kann ich nicht mehr sehen, wo die Grenze zwischen diesen Leuten verläuft.
Zitat: "Es ist höchste Zeit diese faschistoide Verbrecherorganisation FPÖ in
geschlossenes, betreutes Wohnen abzuschieben: Denkanstöße zu einer Regierung der
patriotischen Erneuerung fanden sich diese Woche im freiheitlichen Organ 'Zur Zeit'. Im
folgenden ein kleiner Auszug."
Das ist Selbstdefinition durch Feindmarkierung,
aber kein Beispiel, wie man sich unter Pflege intellektueller Selbstachtung dieser
politischen Herausforderung stellt. Ich halte das Wort faschistoid übrigens bei
solchen Ausritten für einen Schlüsselbegriff, der mir jene Stellen kennzeichnet, wo
jemand aus dem Sprachvorrat der Feindseligkeit, aus der Propaganda-Kiste schöpft und sehr
wahrscheinlich nicht näher ausführen könnte, was denn das meinen könnte: faschistoid.
Die Europa-Ausgabe der Time hat uns eben
Österreichs Kanzler als Coverboy serviert und titelte treffend: "Austrias
Young Chancellor Sebastian Kurz Is Bringing the Far-Right Into the Mainstream".
Autor Simon Shuster präzisiert das Konzept: "...nationalism against globalism,
the patriots against the traitors, the people against the Establishment. Its the
same language spoken by U.S. President Donald Trump, whose rise helped give these groups
legitimacy and a sense of momentum." [Quelle]
Das ist die gängige Mischung eines rechtslastigen
Populismus, der sich vor einer wesentlichen Aufgabe drückt, nämlich den Menschen erstens
den aktuellen Zustand der Welt nachvollziehbar zu erklären und zweitens Beruhigung über
die Tatsache anzubieten, daß die Zukunft gerade so ungewiß ist und niemand sagen kann,
was uns die umfassende Mischung an Kräftespielen bescheren sowie abverlangen wird.
Das lösen wir nicht auf, indem wir unser politisches
Personal als Gruppe oder individuell beschimpfen. Rechtslastiger Populismus unterstellt,
daß es ein Volk gebe, welches von den Schreihälsen vertreten werden könne.
Dabei wird unterschlagen, daß Ethnos und Demos zwei grundverschiedene
Kategorien sind. Kulturell definierte Gemeinschaften decken sich niemals mit einem
Staatsvolk. Darin hat gerade Österreich als vormals multiethnisches Imperium eine
Jahrtausendgeschichte.
Shuster schreibt: "The changes Kurz stands for
were clear in his speech: harder borders and a tougher defense of Austrias national
identity." Österreichs nationale Identität? Ich bitte um Auskunft, a)
was genau das sei und b) wodurch genau das bedroht würde, wenn wir einmal von den
Milliarden schweren Kriegskassen der Werbebranche absehen, die uns mit ihrer effizienten
Arbeit beglückt. Denn wenn etwas seit vielen Jahrzehnten permanent auf unsere
Identitäten und regionalen Eigenheiten einwirkt, dann wohl vor allem diese
Werbeindustrie, derer sich heute auch die Politik in einem Ausmaß bedient, welches mir
neu ist.
Die seriöse Arbeit an einer regional typischen Identität,
wofür "Austrias national identity" letztlich einige Nummern zu
groß gedacht ist, wäre etwa am Kulturgeschehen und an der Kulturpolitik abzulesen. In
meiner Region heißt das schon geraume Zeit vor allem, daß die Verwaltung den
Kulturbetrieb gekapert hat, um ihn für die Wirtschaft nutzbar zu machen und dabei der
Politik Publicity herzustellen. Ein Mißbrauch des Genres.
Zu Fragen nach "Austrias national
identity" darf ich Arbeiten wie die von Sozialhistoriker Ernst Bruckmüller
empfehlen. So ist etwa sein Essay "Die Entwicklung des
Österreichbewusstseins" ebenso ernüchternd wie aufschlußreich; siehe: [link]
Die Social Media liefern mir praktisch täglich
eine Flut von abschätzigen Äußerungen über jeweils Andersdenkende in jede erdenkliche
und verfügbare Richtung. Wie bedauerlich, daß diese Energie und intellektuelle Kraft auf
derlei Art vergeudet wird. Angesichts beschreibbarer Faktenlagen, was unsere Geschichte,
Kultur und unsere Identitäten (Plural!) angeht, werden sich die Propagandamethoden
aktueller Bundespolitik momentan nur schwer entkräften lassen.
Nun kann man sich offenbar entscheiden, seine Zeit und
Kraft damit zu vergeuden, das Personal dieses Rechtsruckes zu beschimpfen und via Social
Media seinen Dampf abzulassen. Das ist a) vergeudete Energie und birgt b) allerhand
Nutzen für Leute von Strache über Orban bis Trump. Diese Energie ließe sich freilich
auch einsetzen, um Europas Status quo zu klären und notfalls mit der nötigen Arbeit am
Gemeinwesen von vorne zu beginnen.
-- [Spurweschel] -- |