5. November 2018 Ich
hab im vorigen Eintrag erwähnt: "Kartoffel,
Polenta und Reis gehören zu den Standards in meinem häuslichen Vorrat." Das
hat durchaus etwas Nostalgisches. Bei meinem Interesse an der Frage, was denn eigentlich Volkskultur
sein solle, das Volk und all diese Zuschreibungen, mit denen inzwischen ja Wahlen
gewonnen werden, stecke ich seit Jahren tief in unserer Sozialgeschichte.
Jüngst war auch zu erwähnen: "Es heißt, die
Kartoffel habe bei uns die Edelkastanie als bevorzugte Stärkefrucht verdrängt..." Nun
möge man sich vorstellen, wie karg der Tisch subalterner Schichten in der agrarischen
Welt gedeckt war. Fleisch blieb die seltene Ausnahme, frisches Fleisch gab es sowieso nur
am Schlachttag. Es konnte kaum konserviert werden. Aber davon fiel wohl eher nichts für
die Dienstboten ab.
Frühstück, das hieß einst: Suppe. Oder Mus. "Muass"
hab ich einen Bergbauernsohn sagen gehört. Ein Getreidebrei, oder von Gemüse. Suppen und
Breie waren das kulinarische Hauptereignisse der breiten Bevölkerung. Schließlich kam
(längst vor den Kartoffeln) noch der Sterz daher. Polenta. Und sonst? Viel Kraut
und Rüben. (Kurios, daß uns diese Begrifflichkeit als Redensart erhalten geblieben
ist, auch wenn sie in diesem Zusammenhang aus unseren Küchen verschwunden ist.)
Sauerkraut und Grubenkraut waren die
Produkte von Konservierungsverfahren. Das Grubenkraut ist fast völlig von unseren
Speisezetteln gelöscht. Sauerkraut hat sich gehalten und wird gerne mit Geselchtem
kombiniert. Diese Art von geräuchertem (geselchtem) Fleisch entstammt ebenfalls einem
alten Konservierungsverfahren.
Zu trinken gab es meist nur Wasser. Bier oder gar Wein
hätte man kaufen müssen, dafür fehlte den Menschen mehrheitlich das Geld. Erst als der
Obstbau ausreichenden Ertrag brachte und die Herrschaft zum Beispiel etliche Apfel- und
Birnensorten nicht auf ihren Tafeln haben wollten, weil sie ihnen zu schäbig erschienen,
kam die Mostproduktion voran.
Nun muß man sich das im Zusammenhang vorstellen. Dem
Proletariat blühten hauptsächlich karge Speisen, viel von Getreide und Obst, Brot von
schlechtem Mehl, kaum je Fleisch. Und immer eher zu wenig, nie zu viel. Dann aber fallen
Edelkastanien von den Bäumen, die geröstet werden, so ein wunderbares Geschmackserlebnis
entfalten, vor allem auch jene Süße, die man sonst nur mit Zucker erreicht hätte, der
auch den meisten Leuten unerschwinglich blieb, oder Honig, der ja nicht einfach auf den
Bäumen wuchs.
Mit dem größeren Obstertrag konnte sich der Most
als Haustrunk durchsetzen, welcher schließlich auch den Dienstboten zukam; und zwar
endlich nicht mehr bloß als Wasser-Aufguß von Preß-Resten. Nun aber Sturm.
Traubenmost. Noch recht viel Zucker, aber doch schon Alkohol. Ein Getränk von
sensationeller Süße.
Dazu die intensiv schmeckende Kastanien. Es muß für die
Menschen der alten agrarischen Welt fast ein Schock gewesen sein, vor allem aber ein
radikales Vergnügen, wenn ihnen sowas auf den Tisch kam. Diese Geschmacksexplosionen im
Mund und die sanfte Trunkenheit nach einigen Gläsern Sturm... |