5. September 2018 "Ich wäre gedemütigt, wenn sie, die so viel Übels
von geschickten und ehrlichen Leuten sprechen,
sich einfallen ließen, von mir Gutes zu reden."
Denis Diderot in "Rameaus Neffe"
Diderot ist für mich der Inbegriff des
Wißbegierigen. Was er und dAlembert einst mit der Enzyklopädie angegangen sind,
war ein atemberaubendes Unternehmen, um sich in einer Welt der radikalen Umbrüche zu
orientieren: Die Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des
métiers (Enzyklopädie oder ein durchdachtes Wörterbuch der Wissenschaften, Künste
und Handwerke). Diderot interessierte sich dabei nicht bloß für das Wissen des
gebildeten Bürgertums, sondern auch für die Kenntnisse und Kompetenzen subalterner
Schichten, was bedeutet, daß er deren Qualitäten sehr ernst nahm.
Ich hab im Jahr 2004 in der Region jenen Weg
von Paris nach Vincennes nachgestellt, den Rousseau gegangen ist, um den inhaftierten
Diderot zu besuchen. Dessen Buch "Pensées philosophique" war 1746 von
der Regierung verboten worden, was einen damals noch ins Gefängnis bringen konnte. Siehe:
"Diderot in
Vincennes"!
Ich hab gestern in einer Notiz zum 2018er Kunstsymposion
betont: Nun erlebe ich seit geraumer Zeit in diesem Europa mit seinem andauernden
Rechtsruck zweierlei: Das (kritische) Denken wird angefochten. Die Kunst wird angefochten.
Was soll ich davon halten, was darüber denken?
Ich mußte mir zwischendurch erklären
lassen, das Denken sei eine Art Sportart der Ratio und auf künstlerischem Feld
oft hinderlich. Das beunruhigt mich etwas, wenn es
zum Beispiel von Künstlern so gesehen wird. Ich hatte eigentlich vor allem einmal danach
gefragt, ob denn Musik/Töne auch zu jenen Codes zählen, in denen manche
Menschen denken, während bei mir dazu nur Worte, Bilder und Emotionen zur Wirkung kommen.
(In Tönen reflektiere ich nicht, ziehe ich keine Schlüsse, mache ich keine
Mitteilungen.)
Ich halte für möglich, daß sich in meinem Milieu
allerhand Kreative von romantischen Vorstellungen der Conditio humana angezogen
fühlen, während meine Erfahrung besagt, daß der Flow in künstlerischer Praxis
ja keineswegs von einem kritischen und analytischen Denken in anderen Lebenssituationen
belastet wird. |
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Ich muß sogar annehmen, daß
unzählige Menschen, die sich auf der Seite der Menschenwürde sehen wollen, zur gleichen Intellektuellenfeindlichkeit
tendieren, wie es rechstradikale und protofaschistische Menschen tun. Der Ratio
wird mißtraut und so allerhand unterstellt. Die "Intelligenzler"
erscheinen verdächtig. "You are fake news!" Was sagt uns das?
Dazu paßt diese Einschätzung: "Die
ganze Zeitungsflut und alle Bücher, die vom Intellektualismus Jahr für Jahr produziert
werden, gleiten an den Millionen der unteren Schichten ab wie Wasser vom geölten Leder.
Dies kann nur zweierlei beweisen: entweder die Unrichtigkeit des Inhalts dieser gesamten
Schreiberleistung unserer bürgerlichen Welt oder die Unmöglichkeit, nur durch Schrifttum
an das Herz der breiten Masse zu gelangen."
Dazu klingt mir in den Ohren: "Wir
sind das Volk!" Und damit meine ich jetzt nicht oppositionelle Töne aus der
historischen DDR, sondern jüngere Vorkommnisse. Da heißt es dann auch: "Lügenpresse!"
Ob Reden bei Veranstaltungen von Pegida, AfD oder Identitären,
es häufen sich Beispiele, wo Menschen die "Intelligenzler", also
kritische Geister, ungeschminkt anfeinden. Auch die FPÖ liefert dazu laufend Beispiele,
sogar seitens der Regierung nehmen solche Momente zu.
Dazu paßt: "Ein in solch einer
Versammlung anwesender Intelligenzler, welcher trotz der ersichtlichen Wirkung des Redners
auf die zu erobernden unteren Schichten die Rede hinsichtlich der geistigen Höhe
bekrittelt, beweist die vollständige Unfähigkeit seines Denkens und die Wertlosigkeit
seiner Person für die junge Bewegung."
Was nun "Die ganze Zeitungsflut und
alle Bücher" oder "Intelligenzler" angeht, habe ich aus "Mein
Kampf" von Adolf Hitler (Ausgabe 1943) zitiert. Seine Ansichten sind teilweise
verbreiteter, als man denken möchte.
Wichtig bleibt hier vorerst: Ich hatte nicht
nach den speziellen Zuständen und inneren Vorgängen während der künstlerischen
Praxis gefragt, sondern ganz grundsätzlich nach den Codes menschlichen Denkens. Aber
da sind eine Reihe von Zusammenhängen wirksam, über die ich mich aktuell durchaus mit
anderen verständigen möchte.
Georg W. Bertram meint in einem
philosophischen Diskurs über Kunst, sie leiste "Selbstverständigung dadurch,
dass sie Formen und Inhalte des Verstehens in Frage stellt". Bertram notiert: "Die
Eigensprachlichkeit eines Kunstwerkes macht verständlich, dass Kunstwerke in gewisser
Hinsicht unabhängig von Gegenständen sind, die von ihnen zum Beispiel dargestellt
werden."
Die Eigensprachlichkeit eines Kunstwerkes!
Damit sollte ohnehin unübersehbar sein, daß Kunstwerke und die Praxis, in der sie
entstehen, nicht auf rationale Vorgänge und Schlüssigkeit der menschlichen Sprache
angewiesen sind. Da ist genug Eigengesetzlichkeit mit eigenen Codes.
Vor diesem Hintergrund erscheint mir redundant
bis esoterisch, was mir Musiker Alex Deutsch in der erwähnten Debatte schrieb: "Demnach
ist das Denken in all seinen Erscheinungsformen und Varianten für einen kreativen Prozess
extrem bis vollkommen unerheblich, es ist nicht nur hinderlich, sondern stört den flow
dessen, was sich durch den Channel der KünstlerIn oder des Kreativen manifestieren
will."
Nun bin ich selbst der Auffassung, die
künstlerische Praxis sei eine magische Praxis. Eben weil ich dabei
Zustände erlebe, die sich von vielen Alltagserfahrungen deutlich abheben. Und so mag ich Magie
verstehen: als etwas, das wir jenseits der notwendigen Dinge und der Alltagsbewältigung
zu entfalten vermögen, das seine Zwecke aus sich selbst bezieht und nicht aus den
Anforderungen eines trivialen Lebens.
Dann wäre da aber auch noch dieser Rechtsruck
Europas mit seinem Revival der alten Intellektuellenfeindlichkeit, mit seinem Fühlen und
Raunen, das sich einer kritischen Prüfung gerne entzieht und das Ansichten, welche den
eigenen widersprechen, vorzugsweise als Lügen und als Fake News denunziert, was
diesen Leuten gegebenenfalls den Rückzug auf Alternative Facts empfiehlt.
In diesem Zusammenhang interessieren mich
natürlich Positionen und Strategien der Kunst. Aber das ist ein anders Thema als jene
Herausforderung, der Polemik und Anmaßung zu begegnen, mit der uns (im Verzicht auf
Wissenserwerb), so ganz nach Gefühl und Meinung, politische Faktenlagen vorgesetzt werden
sollen, in denen die Menschenwürde erkennbar untergeht. Ich denke, dazu ist ein sehr
rationales und strategisches Handeln notwendig.
-- [Das 2018er Kunstsymposion] -- |