14. August 2018

Ich hab schon mehrfach überzeugt erwähnt, Mentalitätsgeschichte sei eine zähe Angelegenheit. Das hab ich mir nicht aus den Fingern gesogen. Es darf angenommen werden, manche Kräftespiele hinterließen Spuren, die man noch nach Jahrhunderten auffinden könne. Das kommt aus laufenden wissenschaftlichen Diskursen.

Ich habe von Jan Assmann die Kategorien kommunikatives Gedächtnis und kulturelles Gedächtnis bezogen. Das kommunikative Gedächtnisse faßt jene Spielarten des kollektiven Gedächtnisses zusammen, die ausschließlich auf Alltagskommunikation beruhen. Das ist der Gegenstandsbereich der Oral History, mit dem wir in unserer regionalen Wissens- und Kulturarbeit beschäftigt sind.

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Zwischen St. Ruprecht und Schloß Stadl

Kommunikatives Gedächtnis steht im Kontrast zum kulturellen Gedächtnis. Dazu Assmanns Frau Aleida: „Wir haben einleitend festgestellt, daß das soziale, kollektive und kulturelle Gedächtnis zugleich Wir-Gruppen bildet, deren Identitäten sie stützen. Meine letzte Frage ist: wie exklusiv oder vereinbar sind diese Wir-Gruppen? Wie fest oder durchlässig sind die jeweiligen Grenzen?“

Solche Überlegungen sind in meinem Themenheft "Regionale Kulturarbeit" (Eine kleine Reflexion) zur Debatte gestellt. Es bezieht sich auf einen gerade hinter uns liegenden Abschnitt der Arbeit im Rahmen von "Dorf 4.0".

Jan Assmann meinte: „In kultureller Formgebung kristallisiert kollektive Erfahrung, deren Sinngehalt sich in der Berührung blitzartig wieder erschließen kann, über Jahrtausende hinweg.“ Das will genauer überlegt sein Ein Sinngehalt erschließt sich in der Berührung. Blitzartig. Man könnte auich sagen: spontan. Sogar über Jahrtausende hinweg. Da kommt man ins Grübeln, was Kultur bedeutet. (Ich kolportiere hier keinen esoterischen Obskurantismus. Jan und Aleida Assmann erhielten heuer den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für ihre bedeutende Arbeit über das Erinnern und über das kulturelle Gedächtnis.)

Noch einmal: Ein Sinngehalt kann sich in der Berührung blitzartig wieder erschließen, über Jahrtausende hinweg. Das ist zum Beispiel ein wichtiger Aspekt für unsere derzeit eingehende Befassung mit den Klein- und Flurdenkmälern in der Region. Diese Exponate und Objekte bieten uns derartige Berührungspunkte im Assmann'schen Sinn, über die sich erschließen läßt, wovon das Leben der Menschen hier geprägt wurde.

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Weiz

Assmann bezog sich unter anderem auf Aby Warburg, der meinte, wir hätten es da mit Objektivationen der Kultur zu tun, und zwar nicht nur mit hohen Kunstwerken, sondern auch mit Plakaten, Briefmarken, Tracht, Brauchtum usw. All dem sprach er eine Art „mnemischer Energie“ zu.

Objektivationen der Kultur und mnemische Energie. Wenn wir also derzeit Zusammenhänge zwischen Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst untersuchen, dann geht es dabei ganz wesentlich um diese mnemischen Energie, mit der wir vor allem auch dort arbeiten können, wo wir es mit interessierten Menschen aus der Region zu tun haben, die nun nicht unbedingt ein erklärtes Interesse für Kunst mitbringen.

Damit meine ich, die Kunst ist nur ein Themenfeld unter mehreren, mit denen wir uns im regionalen Kulturgeschehen befassen. Sie ist nur einer der Schnittpunkte, die wir betonen. Im Erkunden unserer Lebensbedingungen und deren Vorgeschichte(n) brauchen wir freilich auch den Kontakt und die Verständigung mit Menschen, denen andere Felder wichtiger sind.

Wenn ich nun über Wegkreuze und Marterln, aber auch über einige Baudenkmäler der Region, vor allem Wehrbauten, nach der Vergangenheit blicke, bin ich auf der Spur der Mentalität jener regionalen Bevölkerung, die von der Baumkircher-Fehde bis zum  Ende der Gegenreformation permanent Bedrohungen und Belastungen ausgesetzt war. Und das in einer agrarischen Welt, die hier nicht besonders ertragreich war, sondern hauptsächlich Selbstversorgerwirtschaften kannte, also für sich schon eine erhebliche Bürde war.

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Miesenbach

In den Jahren von 1618 bis 1648 fand jener Dreißigjährige Krieg statt, von dem Europa tief erschüttert und gründlich verändert wurde. Doch schon davor schien die Oststeiermark als traditionelles Grenzgebiet in laufender Gefahr zu sein, was sich in massiven Krisen ausdrückte.

Frondienst, Steuerbelastungen, die Bedrohung durch Renner und Brenner, schließlich durch die regulären Truppen der Osmanen, davor schon die legitime Fehde des Andreas Baumkircher mit seinem Kaiser und folglich einige Schlachten des Söldnerführers mit dem kaiserlichen Heer... Aber der Reihe nach...

Der Adelsbund unter Baumkircher und Johann von Stubenberg hatte nach dem Februar 1469 unter anderem Hartberg, Fürstenfeld und Feldbach besetzt. Im Juli dieses Jahres schlug Baumkircher die Truppen von Friedrich III. in der Schlacht bei Fürstenfeld. Seine Krieger belasteten anschließend die gesamte Oststeiermark mit ihren Raubzügen

In den 1470er Jahren erlebten weit südlicher Bauern verstärkt Einfälle von Ungarn und Türken. Zu dieser greifbaren Bedrohung kamen erhöhte "Türkensteuern" und andere Ansprüche der Herrschaft. Der Kärntner Bauernaufstand von 1478 wurde zur Ouvertüre einer Entwicklung, in welcher die Bevölkerung den Herrschenden klar machen wollte, daß es eine alte Rechtsordnung gebe, die den Eliten ebenso Pflichten auferlegte; zum Beispiel Schutz vor fremden Mächten.

Den anmaßenden Jörg von Thun habe ich gestern schon erwähnt. Er trieb es so weit, daß ihn Gottscheer Bauern erschlugen. Die Situation eskalierte, die Unruhen verbreiteten sich von Krain über Kärnten in die Steiermark. Georg von Herberstein schlug den Windische Bauernkrieg 1515 an schließlich an drei Orten nieder, einer davon das Gleisdorfer Rennfeld, von dem ich gestern erzählt hab.

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Kaibing

Anschließend verlangte Ferdinand I. von seinen Untertanen enorme Leistungen für die Rüstung gegen die Türken. Luthers Lehren kamen von Salzburg her über das Ennstal in die Steiermark. Türkenabwehr, Bauernaufstände, Gegenreformation... Es hilft, von diesen Dingen eine wenigstens kursorische Ahnung zu haben, wenn man die Zeichensysteme in unserer Kulturlandschaft eingehender betrachtet und verstehen möchte.

Dahinter liegen Kräftespiele, die beizeiten in die Dampfmaschinen-Moderne mündeten, in den Großen Krieg, um sich schließlich im Faschismus auf grausame Art einzulösen. Wir leben hier im Nachhall einer Zeit, die über Jahrhunderte harte Menschen geformt haben muß. Undenkbar, das alles in ein, zwei Generationen zu wenden, uns der Spuren solcher Entwicklungen zu entledigen. Aber wir können es bearbeiten...

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