23. April 2018

Fragen sich Kunstschaffende eigentlich, welche künstlerischen Strategien zu entwickeln seien, um die selbstgewählten Aufgaben zu bewältigen? Zur Erläuterung: Strategie meint ein Konzept, wie man eine Sache erledigt, während Taktik einem das Verhalten in einer konkreten Situation empfiehlt. Ich hatte mich für einen Input zum Symposium „Kulturgeschichte in Bewegung: Das Fahrrad“ eingefunden.

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Dabei mochte ich es, in der Kunsthalle Graz mitten unter exquisiten Maschinchen zu sitzen, hauptsächlich aus der Puch Mistral-Serie. Das sind Rennsportgeräte. Fahrräder aus vergangenen Tagen, penibel restauriert. Teure Stücke in einem ausgewogenen Verhältnis von Belastbarkeit und Eleganz. Ich hab hier [link] eines der Rennräder herausgegriffen und dazu notiert, daß man seinerzeit im Ultima-Regal zwischen 22.000,- und 30.000,- Schilling für ein vorzügliches Mistral Ultima ausgeben mußte.

Um das Geld bekam man Anfang der 1980er schon einen sehr ordentlichen Gebrauchtwagen. Mein Thema war „Wir sind Ikarier“, denn ich bin gerade intensiv damit befaßt, den Stand der Mobilitäts-Phantasmen in unserer Gesellschaft an den Mythen der Antike zu überprüfen, was eben auch einige starke Verbindungen mit dem Thema Kunst zeigt.

Eingangs also: Fragen sich Kunstschaffende eigentlich, welche künstlerischen Strategien zu entwickeln seien, um die selbstgewählten Aufgaben zu bewältigen? Ich auf jeden Fall, weil mir die einzelnen künstlerischen Formen unterschiedliche Optionen in einem größeren Prozeß sind, der sich auf konzeptuelle Arbeit stützt, also auf Strategie.

Manche Menschen können sich leicht vorstellen, daß man sich an Wein berauscht, haben aber keine Ahnung, daß Denkrprozesse ebenso berauschend wirken können. Es kann zu einer weiteren Euphorie führen, solche Prozesse dann in konkrete Vorhaben zu überführen. Das handelt mitunter von Zuständen, für die sich der Begriff Flow eingebürgert hat. Ein antiquierteres Sprachbild bietet uns dafür den "schöpferischen Menschen" an, der solche Befindlichkeiten kennt.

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Den kann ich freilich nur in einer Tradition der Aufklärung sehen, als uns Immanuel Kant empfahl, wir mögen unseren Verstand ohne Anleitung durch andere gebrauchen, ergo selbstständig denken, womit der Philosoph den Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit betonte. Ein Weg in die Kunst erschiene mir völlig sinnlos (auch aussichtslos), wenn er nicht dieser Empfehlung zur Autonomie folgen würde.

Ich vermute, in genau dieser Brisanz, lag einer der Gründe, daß ich in meinen Kindertagen bloß auf zwei dominante Motive stieß, welche mir die Künstler in einer bipolaren Deutung gezeigt haben, wobei Künstlerinnen völlig ausgespart blieben, nicht vorkamen. Hier das Genie, da der Bohemien. Hier der Erhabene, da der Unruhestifter, Taugenichts.

Mir konnte erst sehr viel später klar werden, daß diese zweiwertige Darstellung ihrerseits eine Strategie ausgedrückt hat, die in meinem Milieu von einer Conditio sine qua non handelte. Wie sollte der hohe Anpasssungsdruck die gewünschten Ergebnisse bringen, wenn allzuviel eigenständiges Denken zu unkontrollierbaren Positionen führen konnte? Dieses Unkontrollierbare an der Kunst ist vielen Menschen suspekt. Nicht nur Mächtigen, die jeweils anderen Menschen Verhaltensänderungen aufzwingen können. Es stört vor allem auch jene, die sich das selbst nicht erlauben.

Nun ist aber die Kunst auf solche Optionen des Denkens ohne Anleitung anderer angewiesen. Hier also der faule Kompromiß. Wenn schon, dann aber im Dienste der Erhabenheit und letztlich im Rang eines Genies, am besten in der Oberklasse: als Universalgenie. Dagegen muß der Bohemien als Kontrastmittel herhalten und da er als "Bürgerschreck" firmiert, wissen wir, daß er bürgerliche Tugenden vermissen läßt, ergo die bürgerliche Ordnung stört.

In genau diesem Kontext gibt es dann noch so manche Sonderform, wie etwa den schrillen Vogel, der den Bohemien imitiert (buntes Käppchen, schrille Brillenfassung etc.), um sich als Künstler zu empfehlen, welcher er in der Regel nicht ist, soweit man am bestehenden Werk bemessen kann. Der hat eine spezielle Funktion.

Diese Typus boomt übrigens zur Zeit in männlichen und weiblichen Versionen. Da geht Sichtbarkeit vor Authentizität und der Deal mit Funktionstragenden besteht hauptsächlich darin, einen Kunstbetrieb zu simulieren, der inhaltlich keine Probleme aufwirft, der in der Abwicklung lästige Fragen ausspart.

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Damit meine ich, hier profilieren sich neuerdings wieder Spießer und Mittelschicht-Trutschen, die der Funktionärswelt eine kuriosen Leistungsaustausch anbieten: Sichtbarkeit gegen Willfährigkeit. Damit werden wesentliche Teile der knappen Kulturbudgets für andere Zwecke frei und es lassen sich nebenbei Serien von Pressefotos generieren, auf denen derlei launige Künstler-Imitationen für gewöhnlich zwischen wenigstens drei bis meist sechs Personen aus Politik und Verwaltung eingekeilt dastehen. (Die Intention ist durchsichtig.)

Wir haben derzeit keinen breiten gesellschaftlichen Konsens, daß die aktuelle Modernisierungskrise, wie sie uns von der Vierten Industriellen Revolution auferlegt ist, verlangen würde, eine besondere Anstrengung im Kulturbereich zu erbringen, um die eigene Zukunftsfähigkeit zu erarbeiten.

So hat es etwa Historiker Philipp Blom in "Der taumelnde Kontinent" beschrieben, als Deutschland im 19. Jahrhundert daran ging, England, damals erste Industriemacht der Welt, zu überflügeln. Das handelte unter anderem von einer exorbitanten Investition in alle Bereiche der Kultur, um so Denkräume aufzumachen.

Das hatte auch Portugal auf dem Weg in die Renaissance erkannt und es damals durch einen Import von Wissen angepackt, der in adäquaten Einrichtungen ausgewertet wurde. Prägnantes Ergebnis war der neue Schiffstyp der Karavellen.

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Dadurch hat sich dann die Welt völlig verändert, freilich zum Nachteil jener Völker, die plötzlich Konquistadoren und Kolonialherren am Hals hatten. Wie nun dieser Input zum Symposion in der Kunsthalle Graz den Titel „Wir sind Ikarier“ trug, werde ich die erwähnen Aspekte am kommenden Wochenende auf Schloß Freiberg in "Die Gefolgschaft des Ikarus" zur Debatte stellen. Ich hab mich hier in der Notiz "Die Beuyse des Pessler" auf den Künstler Klaus Rinke bezogen. In seinem Brief an die Neuzugänge der Rinke-Klasse kommt folgende Passage vor:

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Das korrespondiert mit den alten Vorstellungen des Verhältnisses zwischen Muße und Arbeit. Im Bogen von Aristoteles zu Thomas von Aquin schien noch klar zu sein, daß wir arbeiten, um Muße zu haben, nicht umgekehrt. Das findet man so in historischen Texten. Wie bemerkenswert, daß heute eine gängige Redensart genau das ausdrückt: "Wir leben nicht, um zu arbeiten, wie arbeiten um zu leben."

Dazu paßt übrigens auch, was die Begriffe andeuten. Das lateinische Wort Otium für Muße, als Gegenteil von Negotium für (Alltags-) Arbeit, hat im Griechischen eine überraschende Entsprechung. Das Wort für Muße lautet dort Schule (sxo'li). Die Schule ist also in unserer Kultur ursprünglich nicht Kadettenanstalt, sondern ein Ort der Muße, an dem sich Wahrnehmungs-, Reflexions- und Erkenntnisprozesse einstellen können, doch nicht müssen,

Nun sind ja nicht alle unsere Schulen Kadettenanstalten, aber offenbar sehr viele, wenn man den Zustand von Österreichs Bildungssystem kritisch betrachtet. Zu dieser Debatte habe ich freilich nichts mehr beizutragen. Doch ich muß darauf bestehen, das Feld der Kunst als ein Bezugssystem vorzufinden, in dem Muße eine fundamentale Rolle spielt.

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