17. April 2018

Orientierungsfragen. Die Frage lautet ja nicht "Wozu Kunst?", sondern "Warum weißt du nichts darüber?" Wir leben eine Kultur der Gegenreformation. Wie passend, daß sich öffentlicher Diskurs inzwischen sehr wesentlich als eine Flut von Haßkommentaren ereignet, statt in kritischen Debatten. Das ist schlüssig, entspricht der Tradition, die nach dem Austreiben des Protestantismus auch von Metternich bestätigt wurde: Maul halten, ducken, aus der Deckung beißen.

Vom barocken Gepränge zum würgenden Hemdkragen des Clemens Wenceslaus Nepomuk Lothar Fürst von Metternich-Winneburg zu Beilstein, welcher freche Dramatiker einsperren ließ und auch sonst die Andersdenkenden nicht schätze; was zum Beispiel sogar Erzherzog Johann von Österreich zu spüren bekam. Dazu fällt mir gerade Alexander von Humboldt ein. Wie Metternich den Status quo zu bewahren versuchte, da er dessen Nutznießer war, stehen Johann und Humboldt dafür, aus ihrer Zeit gefallen zu sein, um sich dem zuzuwenden, was damals noch nicht gedacht werden konnte. Ihr gemeinsames Todesjahr macht die Ära deutlich: Johann und Humboldt im Mai 1859, Metternich im Juni dieses Jahres.

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Orientierungsfragen. Beuys war völlig unmißverständlich, was schlampige Werke oder unbedarfte Arbeit von Dilettanten anging. Er vertrat keinesfalls die Auffassung, daß jede Anwendung künstlerischer Techniken auch zu relevanten Kunstwerken führen würde, da ja angeblich jeder Mensch ein Künstler sei, wie gerne behauptet wird; vorzugsweise von jenen, die keine sind.

Das wäre Ausdruck einer völligen Ignoranz von Beuys, der gelegentlich von einer "traurigen Gartenzwerg-Kultur" sprach und eine "Krüppelform menschlicher Tätigkeit" betonte, "die man im Allgemeinen als Kitsch bezeichnet". Es spricht nichts gegen solche Tätigkeiten und solche Werke, wenn man darauf verzichtet, sie unter den Begriff Kunst zu reklamieren. Warum das wichtig ist? Weil wir nicht wissen, wovon wir reden, wenn Begriffe völlig beliebig eingesetzt werden.

Wenn ich mich nun mit dem Maler Nikolaus Pessler gleichermaßen ernsthaft wie ironisch mit der Figur Beuys auseinandersetze, dann steht das exemplarisch für eine Auseinandersetzung mit dem geistigen Klima und dem geistigen Leben in diesem Land.

Oben sieht man auf dem Foto ein Portrait des Malers Hannes Schwarz, das ich von einer gemeinsamen Reise mitgebracht habe, neben einem halben Diptychon von Selman Trtovac. Auf sie alle drei, Beuys, Schwarz und Trtovac, trifft zu, was ich im vorigen Beitrag skizziert habe. Sie sind dem Krieg ausgewichen, um in die Kunst zu gehen. (Dabei konnte wenigstens Trtovac die reale Schlachtfelderfahrung vermeiden.)

Das hat Bedeutung, wo vom geistigen Leben in diesem Land und von der Kunst die Rede ist. Wenn beispielsweise die Kulturpolitik dazu übergeht, in weiten Bereichen die Dilettanten zum Bespielen der Räume für die Kunst einzusetzen, dann bewirkt das einen vorsätzlichen Abbau von geistigem Leben, was sich etwa darin ausdrückt, daß die Hobbykräfte der Politik und der Verwaltung nur zu gerne dienlich sind. Das unterbindet kritische Auseinandersetzungen.

Meine praktische Erfahrung besagt, daß die Politik sich im Anlaßfall einer öffentlichen Auseinandersetzung über solche Fragen entzieht und eigenwillige Faktenlagen schafft. Damit kann man sich weiter nicht befassen, vor allem auch, weil es Kräfte bindet, die für produktive Arbeit dringend gebraucht werden.

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Trtovac war, wie schon erwähnt, in der Klasse von Klaus Rinke gelandet, der seinerseits reichlich mit Beuys zu tun hatte. Das Belgrader Goethe Institut hat 2017 ein Buch zur Ausstellung "Migranten mentale Räume" herausgegeben, in dem diese Zusammenhänge vorkommen. Diese Themenstellung streift übrigens unser Projekt "From Diaspora To Diversities", wo wir gute Gründe hatten, das Migrantische als eine Gegenposition zu den vaterländischen Kriegstreibern zu verstehen. Das Migrantische und die Kunst befinden sich im Kontrast zu nationalistischen Konzepten. (Damals haben wir uns mit "Acht Fragen" befaßt, die keineswegs hinfällig sind.)

Aber Rinke! Im erwähnten Buch findet man das Faksimile eines Briefes an die Neuzugänge. Der Titel lautet: "Denker, sag' mir was Du denkst!" o d e r "Unser Kind ist ja so begabt!" Da wird dann schnell deutlich, daß es in der Sache um innere Vorgänge und um nachvollziehbare Arbeit geht, die nicht ersetzt werden können, indem man sich selbst als talentiert behauptet. Da heißt es etwa: "Wer in der Rinke-Klasse ist, wird als junger Künstler behandelt. Ich bin nicht interessiert an Studenten, die nur 'Scheine' machen und kein tieferes Interesse zeigen."

Ich denke, tieferes Interesse ist eines der Kriterien, die uns nützen. Rinke setzt nach: "Wer in unserer Klasse ist hat es geschafft, hat den ersten Schritt gemacht in ein künstlerisches Leben voller Selbstdisziplin. Habt Ihr verstanden?" Gut, es gibt nicht nur diesen Zugang und man kann den Weg in die Kunst über viele Schwellen suchen. (Ich zitiere das hier, weil mir diese Position zusagt.)

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Rinke betont, die "Akademie ist kein Wartesaal: Der Zug ist nämlich schon abgefahren". Das korrespondiert eigenwillig mit dem Lauf der Welt ganz generell, wobei wir uns anscheinend daran zu gewöhnen haben, daß wir meist abgefahrenen Zügen hinterherblicken.

Genau das macht es aber einladend, Räume für ein geistiges Leben zu bestimmen, in denen wir unsere Ansichten austauschen und unsere Blicke schulen, Erfahrungen machen, welche gängige Alltagsbewältigung nicht bietet. Genau das meint der Begriff Ästhetik = Aisthesis = Wahrnehmung als das Gegenteil von An-Aisthesis = Anästhesie = Betäubung.

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