21. Februar 2018

Was für ein Morgengruß! Nun dürfen in der Company also auch schon halblustige Schnarchnasen nach ihrer gelungenen Lobotomie ans Pult, wenn sie -- eben genesen --eine Nacht durchgezecht haben. Oder wie soll ich mir erklären, daß jemand ernsthaft die Frage formuliert, ob Facebook denn nun "gut für die Welt" sei. (Das erreicht nicht einmal die Qualität der Aussage: "Das Wasser ist naß.")

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Muß ich eventuell annehmen, daß wir Facebookies wesentlich auf diesem Komplexitätsniveau zuhause sind? Gut, die Empfehlung Keep it simple! braucht nicht unterschätzt zu werden. Aber das meint doch nicht: Stell dich blöd! Apropos! Vielleicht haben Sie meine Notiz vom 6. Februar dieses Jahres gelesen, wo ich über unsere vaterländischen Kräfte und rechtspopulistischen Exponenten nachgedacht hab, um zu fragen: "Wird Ihnen der Trick nun deutlicher?" Jener Trick, selbst ungeheuerliche Dinge via Massenmedien zu verbreiten, aber exakt so zu formulieren, daß sie nicht klagbar sind und daß Einwände mit einem Hinweis auf mangelnde Klagbarkeit weggewischt werden.

Damit meine ich, eine strategisch gut geordnete, in den sprachlichen Codes präzise vorbereitete Ungeheuerlichkeit ist als Propagandamittel vorzüglich geeignet, um in medialer Verbreitung die gewünschte Wirkung zu erzielen, wobei sich die Herolde der Menschenverachtung gegen jede Anfechtung mit einer simplen Ansage abschirmen können: "Klagen Sie doch, dann werden wir sehen, ob ich etwas falsch gemacht hab."

Das bedeutet, mit herzlicher Empörung läßt sich dagegen nichts ausrichten, noch viel weniger mit dem Herumposaunen der Markierung "Nazi" oder "Faschist". Wir sollten langsam begriffen haben, daß man sich auf diese Art sogar noch zum Promotor solcher Leute macht, weil sie mediengestützte Öffentlichkeit bekommen, in der sie sich a) hauptsächlich als Opfer von Verleumdungen darstellen und b) ihre Inhalte weiter verbreiten können, was c) auch ihrer Gefolgschaft Ermutigung ist, Legitimation.

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Jean-Marie Le Pen im Standard

Letzten Donnerstag hat ein alter Routinier solcher Strategien meine Annahme illustriert und bestätigt. "Nennen Sie mir einen antisemitischen Spruch, für den ich verurteilt worden wäre!" kontert der Mann, dem man anmerkt, daß er Gaskammern für ein unerhebliches Thema hält, nach kritischen Fragen. [Quelle] (Er schließt damit nicht aus, antisemitische Sprüche zu veröffentlichen, doch es zählen eben nur die Verurteilungen.)

Zynismus ist eine Waffe, die verletzt. Solche Verletzungen sind keine Betriebsunfälle, sondern intendiert, gewollt, gezielt. Aber es läßt sich rhetorisch leicht so drehen, daß man etwa vor Gericht unanfechtbar ist. Le Pen sagt Dinge von einer Qualität, da könnte man jüdischen Leuten auch gleich mit der Faust in die Fresse schlagen, ich sehe dabei qualitativ keinen Unterschied:

"Als man mich fragte, was ich über die Gaskammern dächte, antwortete ich, ich hätte selber keine gesehen, weshalb ich nichts bezeugen könne; aber ich sage nicht, sie hätten nicht existiert. Ich sagte, in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs sei das ein Detail. Was soll daran antisemitisch sein? Muss ich vor dem Unglück der Shoah niederknien und mein Haupt auf den Boden legen?"

Daraus schließe ich, wir können Zuschreibungen wie Faschismus dem Fachpersonal für eine professionelle Bearbeitung der Themen überlassen. Für unsere Auseinandersetzung mit diesen Leuten, für mögliche Konfrontationen, brauchen wir eine andere Diskursebene und andere Formen der Kritik. Dabei denke ich an ein soziokulturelles Klima, in dem eine Brutalisierung der Gesellschaft auf der Ebene von Sprache und Bildern verläßlich und mit breitem gesellschaftlichem Konsens geächtet wäre.

Das läßt sich nicht aus dem Ärmel ziehen, das ist Arbeit auf Jahre, womöglich auf Jahrzehnte. Darunter wird es nicht gehen. Es verkommt zur leeren Geste, wenn ich vaterländische Kräfte in Punkten anfechte, an denen sie nicht zu treffen sind, weil sich dabei keine Rechtsverletzung nachweisen läßt.

Ich hab im Eintrag vom 15. Februar skizziert, wie bei uns derzeit ranghöchste politische Kräfte versuchen, das Prinzip der Gewaltenteilung sturmreif zu hauen, indem sie Medienleute konsequent attackieren. Ich halte es für ein extremes Alarmzeichen, wenn selbst ein Vizekanzler auf die Art aktiv wird und ein Bundeskanzler dazu konsequent schweigt.

Inzwischen hat Vizekanzler Strache dem Journalisten Armin Wolf für den jüngsten Vorfall öffentlich eine Entschuldigung angeboten, um eine sehr wahrscheinliche Verurteilung bei Gericht abzuwenden: "Straches Anwälte haben Wolf ein entsprechendes Vergleichsangebot übermittelt, teilte die FPÖ am Samstagnachmittag in einer Aussendung mit." [Quelle]

Davon bleibt freilich unberührt, was eine Flut von Kommentaren in den Social Media illustriert: Das Casus hat zu einer weiteren Diskreditierung eines versierten Journalisten beigetragen, daran ändert die formelle Entschuldigung gar nichts. Der Schaden bleibt.

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Als ich Strache vor etwa einem Jahrzehnt in Gleisdorf zu einem Gespräch traf, war im Gesamtauftritt der FPÖ noch nicht annähernd diese Schärfe und diese hohe Anfälligkeit für menschenverachtende Momente zu bemerken. Aber man konnte zu der Zeit schon sehen, was im Hintergrund von Mölzer & Co. geschrieben, also auch gedacht wurde. Genau genommen hat vor allem aufmerksame Lektüre seit den 1980er Jahren mehr als deutlich gemacht, was heute Status quo ist.

Versäumtes zu beklagen wäre müßig. Leichtfertige Empörungen sind nicht bloß nutzlose Erregungen, sie liefern, wie ich zeigen wollte, den vaterländischen Kräften Munition und Momente der Legitimation. Es sollte daher nicht zu viel verlangt sein, diesen eigenen Unmut zu überdenken und daraus Schlüsse zu ziehen, die sich als adäquate Reaktionen auf diesen Rechtsruck bewähren könnten.

Ich hab gerade einen etwas fülligeren Text über Volkskultur geschrieben ("Etwas Unschärfe als nächste Klarheit"), wofür einiges an Lektüre zu absolvieren war, um die Quellen genau benennen zu können. Es ist ziemlich atemberaubend, die Kontinuitäten zu entdecken, auf die sich vaterländische Kräfte stützen dürfen, wobei sie auf simple Motive setzen, die seit wenigstens dem Ende des 19. Jahrhunderts gut eingeführt und entsprechend verbreitet wurden.

Tja, Keep it simple! Ich halte es für eine interessante Aufgabenstellung, nun herauszufinden, wie sich auf solche tradtierten Formen der Komplexitätsreduktion und Propaganda angemessen reagieren läßt, wo unsere Welt rasant an Komplexität zunimmt. (Klagetöne werden uns dabei nichts nützen.)

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