17. Dezember 2017 Die
Arbeit am 2018er Kunstsymposion hat schon begonnen. Das verlangt Schlüsse aus
dem heurigen Projekt. Vor Jahren hatte ich einige gemeinsame Wegstrecken mit
IT-Unternehmer Jürgen Kapeller, was einer abenteuerlichen Reise gleichkam, denn wir
hätten im Wesen kaum unterschiedlicher sein können. Das waren zum Teil die Pioniertage
von kultur.at und überdies quasi Laborverhältnisse in der kollektiven Wissens-
und Kulturarbeit.
Jürgen Kapeller (links), anno 2001: "Martin
kriegt eine Worthülse. Die darf er dann abfeuern." Kapeller konnte im
Vorbeigehen auch so Sachen rausschieben wie: "Des nemma bessa von der
Maschek-Seitn. Und überhaupt! Wenns kein erstes Mal gibt, gibts auch kein zweites
Mal."
Ich hab auf der Suche nach Fotos aus jener Zeit gerade ein
kurioses Dokument von 2003 ausgegraben, also aus dem Start-Jahr des Langzeitprojektes
"The Long Distance Howl".
Darin findet sich in einer Liste von Aufgaben an erster Stelle eine Passage, die
vorwegnimmt, was heute als Fake News offenbar verbreiteter Standard ist:
reality-news-fake ein Projekt zur Simulation der Wirkung beliebig
generierter Neuigkeiten und zur Untersuchung von Informationsverbreitungsgeschwindigkeiten
im Netz. Glaubwürdigkeit, Plausibilität, Bezug zwischen Informationsinhalt und Bedeutung
stehen im Fokus des Projekts, das mit künstlerisch-spielerischen Methoden versucht,
plausible aber doch irreale Welten aufzubauen, deren Übergang zur Wirklichkeit kaum
wahrnehmbar bleibt.
Ich finde in dieser Themenliste auch einige andere Aufgaben
wieder, die zu bearbeiten sich heute noch lohnen würde, siehe: [link] Das war 2003 einem Netzkultur-Symposion gewidmet, quasi
ein Vorbote der inzwischen alljährlichen Kunstsymposien. Ich mochte damals die
Sprachregelung "Konferenz in Permanenz" sehr. (Das Kontinuierliche ist
mir heute noch wichtig.)
Da schimmert nun der Grund durch, warum ich Kapeller
erwähnt habe und einigen seiner Aussagen wieder kurz auf die Spur ging. Er hatte in
unseren Projekten immer wieder ein Prinzip betont: "Es redet nur mit, wer
Verantwortung übernimmt."
Sie kennen gewiß tausend Situationen, wo Ihnen jemand
guten Rat andient, wahlweise auch wohlmeinende Kritik, oft genug infame Zumutungen, mit
der Berufung auf allgemeine Redefreiheit und die Notwendigkeit von Kritik, so ganz nach
dem Motto: "Das werde ich ja noch sagen dürfen!".
Darüber habe ich derzeit wieder einmal gründlich
nachzudenken, zumal ein Arbeitsjahr endet und das 2017er Kunstsymposion sehr
komplex geworden war, mit einer erheblichen Anzahl involvierter Personen. Es läßt sich
nicht verhehlen, dabei ist mir einiges um die Ohren geflogen.
Was heißt denn nun dieses Prinzip "Es redet nur
mit, wer Verantwortung übernimmt." in der Praxis? Was meint denn Verantwortung
übernehmen konkret? Es erscheint mir für unsere Kulturprojekte recht überschaubar:
+) Wichtige inhaltliche Kompetenzen einbringen.
+) Besondere Fertigkeiten einbringen.
+) Arbeitskraft einbringen und zupacken.
+) Cash einbringen.
Wer sich all das erspart hat und mir hinterher gute
Ratschläge geben will, wird also dabei mindestens bemerkenswerte inhaltliche Kompetenz
zeigen müssen, ansonsten interessiert mich das nicht. Dieses Land ist eine Nation der
Ratgeber. Im Amerikanischen nennt man sowas Backseat Driver. In der
regionalen Wissens- und Kulturarbeit kenne ich es heute vor allem als eine lebendige Trittbrettfahrerei,
von der die letzten 30 Jahre auffallend geprägt sind.
Coverfoto zur 2003er
Konferenz-Dokumentation
Das heißt, du hast, wenn du was in Gang bringst und nicht
aufpaßt, recht flott ein Rudel Reisegefährten dabei, die auf den Trittbrettern fröhlich
mitfahren. Sie werden Dir gerne erklären, daß ihre Leistung mindestens darin bestehe,
sich während der Fahrt festzuhalten und nicht runterzufallen. Sie werden dir auch
hinterher gerne Ratschläge geben, wie du es hättest besser machen können.
Gut, daran wird nicht zu rütteln sein. Ich halte das für
mentalitätsgeschichtlich gut fundierte Eigenheiten, deren Genese vermutlich auch recht
interessant zu erforschen wäre. Aber damit kann ich mich nicht weiter befassen. Stichwort
Fehlerkultur!
Zu unseren laufenden Debatten bezüglich des Themas
Industrie 4.0 habe ich erwähnt, daß sich die Gesprächsrunde recht einig schien: "Europa
hat keine Fehlerkultur. Das meint: "Es fällt uns anscheinend
mehrheitlich schwer, mit Fehlern offen umzugehen, auf daß sich daraus flott Schlüsse
ziehen und Verbesserungen umsetzen ließen." Siehe dazu den Text: "Automotive 6: Umbruch als Normalzustand" (Die permanente technische Revolution)
Was ich im Moment daraus schließe? Die kollektive
Wissens- und Kulturarbeit scheint ohne Hierarchie und eher präzise
Rollenverteilungen nicht voranzukommen. Daraus ergibt sich ein besonderes Problem. Derlei
ist zwar im Bereich des Hauptamtes gut regelbar, aber in Zonen des Ehrenamtes
-- zumindest in unserem Milieu -- nicht sehr aussichtsreich.
1996: "Kofferraum"
Innovative Kulturprojekte abseits des Landeszentrums
dürften ohne eine stabile Kombination von bezahlter und unbezahlter Arbeit nicht machbar
sein. Wo aber unbezahlte Kräfte aktiv werden, scheinen die persönlichen Wünsche und
Erwartungen ihrerseits zu einem Projektgegenstand zu werden, noch dazu unausgesprochen.
Das ist möglicherweise eine der Hauptursachen, warum weite
Bereiche der Initiativenszene seit wenigstens 30 Jahren nicht vom Fleck kommen.
Ich vermute, das ist auch ein Beitrag zum derzeit erschreckenden Rechtsruck der Regierung
Österreichs, denn daß etwa ein überaus intelligenter Zyniker wie Herbert Kickl bei uns
Minister werden kann, noch dazu Innenminister, ist für mich ein Schockerlebnis ersten
Ranges.
Wie konnte die Neue Rechte so erfolgreich sein,
während Gruppierungen, die sich der Menschenwürde verpflichtet fühlen, keine annähernd
so starke Wirkung erzeugen? Wie kam es, daß nun die Kulturinitiatvenszene erneut in einen
Protestmodus einschwenkt, um gegen den Status quo anzurennen, statt sich selbstbewußt auf
Erreichtes und Gesichertes stützen zu können und so dem Rechtsruck entgegenzustehen?
Ich denke, es hat allerhand mit einem Mangel adäquater
Organisationsstrukturen, Kooperationspraxen und mit dem Fehlen einer menschenfreundlichen
Fehlerkultur zu tun, aus der wir Erfahrung, Erkenntnis und Handlungsfähigkeit gewinnen
könnten. Daraus sollte sich eigentlich ein stabiles Netzwerk Kulturschaffender entfaltet
haben, das im öffentlichen Diskurs eine gut wahrnehmbare Rolle spielt, und zwar
ganzjährig. Schaut aber nicht so aus, als ob wir das hätten...
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