2. Dezember 2017 Dekoration. Sterne und Lichterketten. Ich versuche diesen Zustand
der Stadt, genauer: der Außenhaut der Innenstadt, als ein Codesystem zu
verstehen, das höchst unterschiedliche Intentionen verbirgt, gleichzeitig beruhigende
Effekte zu haben scheint. Ich bestaune das heutzutage; etwa so, wie man eine kuriose
Erscheinung bestaunt, auch wenn sie einen nicht überrascht. Dabei bin ich mit meinen
Gedanken derzeit ohnehin woanders.
Ich hab dieser Tage in einer Notiz zu "Der
Sarajevo-Kontext" (2018er Kunstsymposion) [link] kurz auf die Pose
des vormals kroatischen Generals Slobodan Praljak verwiesen, der seine Urteilsverkündung
wegen Kriegsverbrechen mit dem demonstrativen Trinken von Gift quittiert hat, woran er
Stunden später starb. Er hatte sich offenbar in seiner Selbstinszenierung als "Soldatischer
Mann" eine Privatmythologie gestrickt, in der eine Art "interner
Nero-Befehl" vorkam: Wenn es schiefgeht, soll alles untergehen!
Da sich Praljak in Gewahrsam befand, konnte dieses "Alles"
bloß noch er selbst sein, denn mehr Macht war ihm nicht mehr verfügbar. Zugegeben, ich
spekuliere, unterstelle ihm etwas, das in unserer Kultur eben von Nero bis Hitler reicht.
Der GRÖFAZ (Größter Führer aller Zeiten) soll der Überzeugung gewesen sein,
ein deutsches Volk, das den Krieg verliert, sei nicht würdig, weiter zu bestehen und
solle daher mit ihm untergehen, worauf er mit Eva Braun diese Welt verließ.
Publizist Norbert Mappes-Niediek wählte einen etwas
feineren Bezugspunkt; "Sokrates auf Kroatisch" [Quelle] Aus diesem Kommentar erfahren wir etwas äußerst
Bemerkenswertes. Erstens war dieser Mann ein Kriegsgewinnler und ist dabei zum Millionär
geworden. Hier hatte sich also ein sehr reicher Mann in Pose geworfen.
Zweitens findet sich im Text ein irritierender Hinweis auf
Zusammenhänge, die wohl an Praljaks Selbstverständnis als "Soldatischer
Mann" rühren dürften, denn nach elf Jahren U-Haft hätte er doch die
verbliebene Zeit auf einer Arschbacke absitzen können, wie das in Kriminalfilmen gerne
genannt wird. Mappes-Niediek: "Von den 20 Jahren Gefängnis, zu denen das Gericht
den bosnisch-kroatischen Heerführer Slobodan Praljak verurteilt hat, waren mehr als elf
durch die U-Haft schon abgebüsst. Ein Drittel seiner Strafe wäre ihm erlassen worden.
Geblieben wären gerade noch runde zwei Jahre."
Mangels Quellenlage hab ich bisher nichts
über mögliche Motive des Ex-Offiziers erfahren, sich derart aufgeplustert aus der
Verantwortung zu begeben. Aber Mappes-Niediek liefert einen kleinen Hinweis auf die
wohlbekannte "Kerl-Nummer", von der es unter uns offenbar alle
Varianten, Schattierungen und Gewichtungen gibt, denn ich lese auch allemal von
rotznäsigen Schlägern, die sich einen beliebigen Passanten aus der Menge greifen und ihn
tot treten, ohne sich davon gerührt zu zeigen. So also: "Typisch aber an dem
Kriegsverbrecher Praljak ist vor allem, dass er nicht über das leiseste
Unrechtsbewusstsein verfügte." Man könnte
meinen, es sollten solche Kanaillen medialnicht besonders hervorgehoben und
dauerhaft präsentiert werden. Es spräche einiges dafür, sein Antlitz aus der medialen
Öffentlichkeit zu löschen. Aber mir geht es derzeit anders mit diesen Leuten. Ich mag
es, ihre Bilder eingehend zu betrachten, um wieder und wieder zu prüfen, ob einen dann
eine Visage wie aus Filmen anblickt. |
Slobodan
Praljak 2003 (Foto: Zoran Lesic, Creative Commons) |
Nein, das sind Klischees! All diese
Finsterlinge aus trivialen Filmchen stehen im Kontrast zu dem, was Hannah Arendt --
angesichts Adolf Eichmann -- als die Banalität des Bösen verstand und offen
sagte, wie lächerlich so ein Mann erscheinen könne; wofür sie freilich heftig
kritisiert wurde. Wie könne ein Täter, der so düsterer Machenschaften überführt
wurde, wie Eichmann, als lächerlich gelten? Na, man braucht nur hinzusehen.
Könnte man diesen Praljak nicht mit wenig Mühe und ein
paar Stücken Requisite zum Papa Schlumpf werden lassen oder einen Weihnachtsmann
aus ihm machen? Weshalb hatte denn Arkan Ranatovic den Spitznamen Baby
Faced Killer? Sah Legija Ulemek, geschneuzt und frisiert, nicht wie der
ideale Schwiegesohn aus? Ein populäres Foto, das Radko Mladic heute zeigt, läßt ihn
aussehen wie den freundlichen Präsidenten eines Geflügelzüchter-Vereins in der Provinz.
Hab ich in Mostar gesehen
Die medial vermittelten Bilder geben also
keinerlei brauchbare Informationen über das Wesen solcher Männer. Ich schildere all das
auch bloß, um nun von eben diesen Figuren wegzukommen, die mich nun nicht weiter
interessieren. Wir haben leistungsfähige Gerichte, die offenbar gut in der Lage sind,
etlichen soldatischen Männern und ihren Präsidenten auszurichten: Weder all euer Geld
noch eure Netzwerke schützen euch verläßlich vor Strafverfolgung.
Mich interessiert ein anderer Aspekt, den
Mappes Niediek in seinem Kommentar betont hat. Hierzu ein ausführliches Zitat: "Das
Tribunal konnte und durfte die übergreifende Erzählung zu den Kriegen nicht liefern; es
hatte einzelne Täter abzuurteilen, nicht Nationen. Aber auch sonst hat sich niemand um
eine solche Erzählung bemüht. War die Zerstörung Jugoslawiens nun ein Verbrechen oder
eine historische Grosstat? Ist es ein Glück oder ein Unglück für eine Nation, wenn sie
«ethnisch rein» ist? Rechtfertigt die Schaffung eines Nationalstaats einen Krieg, so wie
120 Jahre vorher die Einigung Deutschlands oder Italiens? Die Antwort auf diese Fragen ist
nicht nur den Ex-Jugoslawen, sondern der ganzen Welt leider völlig unklar." [Quelle]
-- [Der Sarajevo-Kontext] [Das 2018er Kunstsymposion] -- |