17. November 2017 Fast war ich zu Tränen gerührt und vergeblich auf der Suche nach
einem Taschentuch, als ich zum wiederholten mal las und hörte, manche Männer seien nun
sehr verunsichert, hätten erhebliche Zweifel, ob sie einer Frau neuerdings noch
Komplimente machen oder ihr in den Mantel helfen dürften, ganz zu schweigen davon, daß
sich vielleicht ein solides Vertragswerk empfehlen würde, falls man Richtung Schlafzimmer
tendiere.
Ich kam ins Grübeln. Wie oft habe ich quer durchs Jahr
Anlaß, einer Frau Komplimente zu machen und wie oft Gelegenheit, einer in den Mantel zu
helfen? Es weist nichts darauf hin, daß ich auf diesem Feld durch Überlastung in
anhaltenden Stress geraten könnte, obwohl ich gute Gelegenheiten zu beidem gerne nutze.
Für die paar Gelegenheiten sollte man jenseits der
Teenagerphase, bei Männern also ab 30, zurechtkommen. Was das Schlafzimmer betrifft,
werden Männer, die so gestimmt sind, vermutlich ohnehin keinen zu hohen Andrang erleben,
sollten sich also die Kosten für den Notar eventuell gleich sparen.
Es ist rund um #ME TOO im Bereich der Social
Media längst merklich stiller geworden, in den alten Medien laufen aber noch
Debatten. Nach wie vor ereifern sich allerhand Männchen rotbackig im einerseits Abwimmeln
von Verdachtsäußerungen und andrerseits Beteuern ihrer Verunsicherung. (Wo sind denn nun
die Taschentücher? Ich versau mir doch mein T-Shirt.)
In letzter Zeit kam recht häufig die Vorhaltung, daß die
laufenden Diskussionen zunehmend von einer Unart geprägt sei, nun "alles in
einen Topf" zu werfen, also die Anzüglichkeit, die Belästigung und die
Vergewaltigung, plus was einem noch so einfallen könne. Wo ist nun tatsächlich das
Problem?
Wer in seiner Weltsicht bloß zwei Schritte links von
Dschingis Khan steht und überdies kein Agent der Blödheit ist, kann noch im Schlaf diese
Kategorien als unterschiedlich erkennen, selbst wenn sie in einem Atemzug genannt werden
oder gegebenenfalls völlig durcheinander zur Sprache kommen.
Ich meine mich zu erinnern, Cheryl Benard und Edit
Schlaffer, die ich jüngst zu diesen Themen
erwähnt haben, nannten so ein Verhalten Zwecktölpelei. Wer sich so dumm stellt,
unterläuft die Debatte vorsätzlich. Ich kann überdies nicht nachvollziehen, daß sich
so manche Männer in angeblichen Verallgemeinerungen desavouiert sehen. Die alte
Faustregel besagt: Wer aufzeigt, wird es wohl gewesen sein. Wer es nicht war,
darf daher mutmaßlich die Ruhe bewahren.
Was nun Komplimente angeht, leben wir nicht gerade in einer
Blütezeit der Galanterie. Aber nehmen wir an, auch der gute Wille zählt. So deute ich
zumindest die gelegentlich erkennbaren Reaktionen von Frauen, wenn ihnen gerade der
Versuch eines Kompliments wie ein Ziegelstein auf die Zehen fiel und sie dem Absender
dennoch milde zulächeln. Das ist eine Art bewundernswerter Tapferkeit.
Bei manchen Komplimenten merkt man selbst ohne besonderes
Feinfühligkeit: Da hat der Kerl nun nicht verstanden, was den Unterschied ausmacht, ob
das Kompliment bloß ihn selbst vergnügt oder auch der Frau Freude bereitet. Nehmen Sie
das bitte als ein Kriterium für Komplimente. Wird es der Frau Vergnügen bereiten? Wer
sich in dieser Frage unsicher fühlt, solle vielleicht besser übers Wetter reden und
hoffen, daß ihm dabei zufällig etwas Geistreiches entkommt, um der Frau ein aufrichtiges
Lächeln zu verursachen.
Mit eben dieser Frage -- Wird es der Frau Vergnügen
bereiten? -- ist man sicher auch gut beraten, falls man eine Frau kurz berühren
möchte, an der Hand, dem Oberarm, der Schulter, vielleicht gerade noch am Rücken, um
etwas zu bekräftigen oder das mit dem Mantel hinzukriegen.
Mir scheint, daß andere Körperregionen für die Liga der
Bekanntschaft nicht in Betracht kommen, daß man schon sehr gut befreundet sein muß, um
etwa noch die Hüfte einbeziehen zu können. (Vorsicht! Alle Varianten von "Sie
hat es eh gern" gehen meistens schief und sind überwiegend selbstreferenzieller
Natur.)
Aber wenn nun ganze Legionen von Männern neuerdings so
verunsichert sind und um akzeptable Nähe zur Frauenwelt bangen, was könnte man da raten?
Ich neige dazu, hier meine Kontonummer zu veröffentlichen und gegen Überweisung einer
kleinen Spende zu verraten, wie das elegant gelöst werden kann.
Andrerseits ist die Lage derzeit so angespannt, daß ich
ausnahmsweise auf klingende Münze verzichten will und all denn bebenden, bangenden
Männern ein sehr sicheres Verfahren verrate, wie man eigene Blicke, Worte und
Berührungen ganz verläßlich justieren kann, falls einen die Frage "Wird es der
Frau Vergnügen bereiten?" noch überfordert.
Fragen Sie sich selbst: "Haben Sie
gute Absichten?" Darin offenbart sich ein Geheimnis von enormer Tragweite.
Blicke, Worte, Berührungen bekommen ihre Färbung, Wirkung, ihr Gewicht durch die Intention,
mit der sie losgeschickt werden.
Das, werte Mitmänner, können Sie sofort und
fast überall erproben, um es zu überprüfen. Sind Ihre Intentionen tadellos, wird das
bei Frauen kaum problematischen Reaktionen auslösen. (Jetzt vielleicht doch, ähem,
räusper, hüstel, meine Kontonummer?)
Es ist atemberaubend, was ich in diesen Tagen
an Ausflüchten zu hören bekam, was ferner in Leserbriefspalten alles zu lesen war. Wir
meiden es gerne, über den Status quo und seine Vorgeschichte Rechenschaft abzulegen. Aber
wozu drum herumreden? Es gibt Momente, da sage ich Frauen gerne: Ihr seid so lange
unsere Haustiere gewesen, wir Männer gewöhnen uns das nur schwer ab.
Das sorgt meist für unfreundliche Reaktionen.
Bei näherer Betrachtung sehen wir dann, daß selbst in Österreich die Spuren solcher
Zumutungen stellenweise kaum verwischt sind, in manch anderen Ländern dieser Hausbrauch
ungestört weiterlebt. Ich meine das natürlich nicht metaphorisch. Es wurde und wird
genau so gehandhabt.
Ich hab überhaupt keine Laune, darüber zu
debattieren, ob das nun angemessene Einschätzungen seien, denn die sexualisierte Gewalt
hat in Österreich ganz ungebrochen epidemisch Ausmaße. Gewalt gegen Frauen ist weltweit
und generell ein Problem dieser Spezies. Die sanftesten Varianten, immerhin auch noch
brüskierend bis schmerzlich, wollen oft gar nicht mehr ernst genommen werden. Dabei sind
wir in all dem gleich empfindlich, weshalb doppelt irritiert, wie viele Männer sich da
etwas herausnehmen und dann nichts gewußt haben wollen.
Es überzeugt wenig, sich nichtsahnend zu
stellen. Ein Beispiel. Zu den Erinnerungen aus meinen Kindertagen gehört eine Situation,
in der mein Vater eine Kontroverse mit einem anderen Erwachsenen hatte. An einem Punkt
herrschte er sein Gegenüber an: "Untersteh dich, mich zu messen."
Man mußte mir schon damals nicht erklären,
was damit gemeint ist. Der Opponent hatte meinen Vater von oben nach unten verächtlich
angesehen, was mein Alter beinahe mit einer Handgemeinheit beantwortet hätte.
Später, als Deutschland seine Bleierne
Zeit erlebte und Geiselnahmen auffallend zunahmen, konnte man selbst in Illustrierten
Tips lesen, wie man sich gegenüber Geiselnehmern verhalten solle. Ich erinnere mich, daß
empfohlen wurde, Blickkontakt auf jeden Fall zu vermeiden.
Ende der 1980er spielte Sigourney Weaver die
Verhaltensforscherin Dian Fossey im bewegenden Streifen "Gorillas im Nebel".
Unvergeßlich, wie sie sich darin den mächtigen Primaten nähert, dabei nicht nur den
Blick senkt, sondern auch eine nach vorne gebeugte Haltung einnimmt, um das Gegenüber
nicht zu provozieren.
Ich erinnere mich nicht mehr genau, war es im
vorigen Jahr ein Film in arabischem oder türkischem Milieu? Darin kam ein Streit zwischen
Vater und Sohn vor. Der junge Mann schien dem Vater körperlich erkennbar überlegen, doch
das Erste, womit der Alte seinen Sohn als Zurechtweisung anherrschte, war: "Senk
deinen Blick!", was der Junge umgehend befolgte.
Sie verstehen, was ich damit ausdrücken möchte? Wir
wissen alle ganz genau, daß schon Blicke zu Übergriffen eingesetzt werden können. Wir
wissen genau, was das bewirkt. Es scheint durch höchst unterschiedliche kulturelle
Situationen die gleichermaßen eindeutigen Erfahrungen zu geben. Es gibt genug
unmißverständliche Berichte, daß jemand sein Leben verlor, weil ihm oder ihr ein "frecher
Blick" unterstellt wurde.
Wo sich ein erwachsener Mensch in der Sache dumm stellt,
macht er sich unweigerlich verdächtig. Österreich ist ein Land, in dem die Niedertracht
schillernde Blüten der Meisterschaft entwickelt hat. Wenn nun Männer behaupten, sie
seien von der laufenden Debatte verunsichert, wie sie sich nun Frauen gegenüber verhalten
sollten, sind sie entweder schrecklich unbedarft oder sehr verschlagen Für beide
Varianten sollten man spätestens ab dem 25. Geburtstag keine Entschuldigungen mehr
vorzubringen versuchen, wissend, daß fünf Jahre später die Pubertät endgültig vorbei
ist.
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