31. Oktober 2017 Parallelgesellschaft? Das ist eine ziemlich trübe
Kategorie. Die würzen uns vaterländische Kräfte ganz gerne mit dem Thema Leitkultur.
Da muß man mir erst einmal schlüssig erklären, was uns diese Begriffs-Kreation eines
arabischen Aristokraten in der Sache helfen soll.
Ich vermute, die eifrigen Kulturschützer unseres Landes
haben nicht bei Bassam Tibi nachgelesen, wofür er dieses Wort eingesetzt hat, sondern
basteln sich damit eine Privatmythologogie, um sich ihr Österreichbild
zurechtzuschustern.
Sagen wir statt Parallelgesellschaft einfach verschiedene
Milieus, beziehen wir auch verschiedene Ethnien ein, dann wird das Bild ja
deutlicher. Seit es Nationalstaaten gibt, und das ist bei uns noch keine 200
Jahre her (nicht einmal der Nationalstaat Deutschland bringt es auf 200 Jahre), seit also
diese Kategorie uns vertraut ist, hatte der Nationalstaat eine ganz wesentliche Funktion.
Er soll den verschiedenen Ethnien und Milieus eine politische Verfaßtheit geben,
innerhalb derer die Menschen als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger Gleichheit
genießen.
Deshalb unterscheiden wir beim Nationalstaat zum Beispiel
zwischen Ethnos und Demos, zwischen der kulturell definierten Ethnie
und dem politisch definierten Staatsvolk. Wie vorgestern erwähnt, die jüngsten Wahlkämpfe blieben uns solche
Klarheiten schuldig.
Statt dessen wurde recht viel über Parallelgesellschaften
schwadroniert. Wenn man da überhaupt von verschiedenen Lagern einer Gesellschaft reden
kann, die einander eher verschlossen gegenüberstehen, dann denke ich nicht vorrangig an
Muslime. Unter dieser Glaubensgruppe mag es manche geben, die sich der übrigen Welt
lieber verschließen und in einem sehr eigenen kulturellen Universum zu leben bevorzugen.
Das bezweifle ich nicht.
Aber wie viele mögen das, gemessen am Rest der
Bevölkerung Österreichs, sein? Die Anzahl ist verschwindend gering und wer da von einer
drohenden Islamisierung des Landes spricht, offenbart ein Selbstbewußtsein, das
sich auf Krücken dahinschleppt. Dazu ließen sich aber bestimmt x andere Neigungsgruppen
finden, in denen man nicht gerade Weltoffenheit pflegt und kulturell sehr markante
Verhaltensweisen zeigt.
Damit sollte die Gesellschaft einer Demokratie
zurechtkommen. Bei Parallelgesellschaft denke ich an zwei ganz andere Felder, wo
man einander sehr mißtrauisch gegenübersteht, wo derzeit stellenweise geradezu
staatsgefährdende, mindestens aber demokratiefeindliche Denk- und Verhaltensweisen Feste
feiern.
Im einen der Lager sehe ich Wißbegierige und
Erfahrungshungrige, Menschen von großer Neugier, was sich hinter den nächsten Horizonten
verbergen mag. Hier müssen die Mühen des Wissenserwerbs in Kauf genommen
werden, auch das Risiko des Irrtums, was nach der Bereitschaft verlangt, sich selbst in
Frage zu stellen. Wer dabei zur Selbstironie befähigt ist,. also auch über sich selbst
lachen kann, wird sich mit möglichen Bruchstellen vermutlich viel leichter tun.
Dann kenne ich jene, die lachen nie über sich selbst, nur
über andere. Die Anstrengung des Wissenserwerbs finden sie lächerlich. Sie verachten
alle, denen Meinungsbildung ein längerer Prozeß ist. Vor einem Weilchen hatte ich
Gelegenheit, derlei etwas genauer kennenzulernen; in einer webgestütze Kontroverse mit
einem vaterländischen Gleisdorfer, nachzulesen unter "Gleisdorf in der
Ebene": [link]
Der stramme Österreicher suchte mich bezüglich unserer
Geschichte und Kultur zu belehren, beschenkte mich mit seiner Koran-Exegese, die
er aus eifriger Lektüre des spröden Werkes bezogen haben will. Ein Mann, der sich zum "Haus
Targaryen" bekennt, wie er überhaupt seine Geschichtskenntnisse offenbar eher
aus TV-Serien denn aus Büchern bezieht, etwa vom "Game of Thrones".
Auf diesen Boulevards müssen sich dann jene, die fundierte
Ansichten vorbringen und diese mit Argumenten wie mit Quellen versehen können, als "abgehobene
Eliten" denunzieren lassen. Wo genau das in Medien üblich ist, nämlich
Argumenten und Quellen vorbringen zu können, ist dann von Lügenpresse die Rede.
Und wer dabei auf unliebsame Faktenlagen stößt, wird sich mit Fake News aus der
Affäre ziehen.
Das ist es, was mir zum Stichwort Parallelgesellschaft
als erstes einfällt. Ein Boulevard, auf dem Legionen von Couch Potatoes
flanieren, stets auf der Suche nach Annehmlichkeiten und nach ruhigen Plätzchen, manchmal
auf der Suche nach möglichst wehrlosen Leuten, an denen man seinen Unmut auslassen kann,
womöglich auch seinen Selbstekel.
Dabei feiert eine Intellektuellenfeindlichkeit
Revivals, wie sie uns aus der Nazi-Ära erhalten blieb, denn das haben Tyrannen mit den
Boulevard-Pflänzchen gemeinsam: Sie können nicht über sich selbst lachen und sie hassen
jene, die sich mit Wissenserwerb abmühen.
Vielleicht kennen Sie das Bonmot, wonach Intelligenz
jene Fähigkeit sei, über zwei einander widersprechenden Ansichten nicht den Verstand zu
verlieren. Falls wir also tatsächlich ein Problem mit parallel lagernden
gesellschaftlichen Bereichen haben, die sich gegeneinander verschließen, dann halte ich
das für die deutlichen Demarkationslinien. Dabei tun heute Soziale Medien ein
übriges, und zwar so radikal, das man sie eigentlich Unsoziale Medien nennen
müßte.
Argumente, Quellen, Meinungsbildung. Dazu die Erfahrung,
daß keinerlei Wahrheiten entstehen, indem man einfach die Widersprüche
eliminiert. Ein wenig Klarheit, daß Dissens eine sehr anregende Kraft ist und die
Meinungsverschiedenheiten ein wichtiges kulturelles Treibmittel sind. Differenz und
Diversität. Das sind Zusammenhänge, über die wir uns vor allem auch in der Befassung
mit Kunst sehr gut üben können, die ja im Gegensatz zu Belangen der Alltagsbewältigung
nicht dauernd auf eindeutige Ergebnisse angewiesen ist.
Die Einübung in solche Zusammenhänge dürfte derzeit
wichtiger denn je sein, wo uns gerade neue Maschinensysteme in rasanten Schüben weite
Tätigkeitsfelder abnehmen, auf denen sie präziser und verläßlicher arbeiten. Wir
brauchen solche sozialen und kulturellen Kompetenzen, etwa für den friedfertigen Umgang
mit Widersprüchen, auch in dieser sich gerade neu ordnenden Welt globalisierter
Wirtschaft.
Es geht um Prozesse, die uns Mühen und Vergnügen
versprechen. Es geht um die Praxis des Kontrastes und um eine gemeinsame Neugier, wie wir
uns hinter den nächsten Horizonten einrichten, zurechtfinden werden. Das sind für mich
übrigens derzeit vorrangige Agenda einer Wissens- und Kulturarbeit in der Provinz.
-- [Kunstsymposion:
Kulturpolitik] -- |