26. August 2017 Ich hab vor rund zehn Tagen über Boulevard-Blüten
gestaunt und hier welche kommentiert: [link] Daß
eine Frau einen Polizisten in den Stiefel beißt, hat so schillernde Mehrdeutigkeit, da
stockt mir fast der Atem. Daß weiters eine Lokomotive unterm Fahren ihre Garnitur
verliert, ist so hinreißend 19. Jahrhundert, das möcht man gar nicht glauben.
(Quelle: Kleine Zeitung)
Daß aber eine Kuh ganze ohne weiter Verletzungen vier
Meter abstürzt, was mir selbst eher nicht gelingen würde, bestätigt auf alpine Art,
daß ja auch in Peking Fahrräder umfallen, wahlweise Reissäcke. Derlei sollten wir auf
jeden Fall erfahren!
Ich kann mir mein Leben ohne Boulevard gar nicht
vorstellen. Der Grund ist simpel. Dort ertönt jene deutliche und zeitgemäße Sprache,
die meiner etwas antiquierten Diktion den nötigen Kontrast gibt, auf daß mir mein
eigener Klang deutlich erscheinen kann. Anders ausgedrückt, ich muß mich ja selbst
denken hören. Und das gelingt unter solchen Bedingungen recht gut.
Der Begriff Boulevard kommt im Medienzusammenhang
übrigens daher, daß es einst Zeitungen gab, die man nicht abonnierte, sondern nur auf
der Straße kaufte, auf dem Boulevard. In dieser Situation dürfte "Kuh
abgestürzt" oder "Frau biss Polizisten in den Stiefel"
natürlich weit verkaufsfördernder gewesen sein, als etwa: "Kunstymposion
verbindet drei Dörfer der Oststeiermark".
Ich hab übrigens meine drei Bürgermeister von den
Dörfern gestern treffen können, als in Gleisdorf einiges Gedränge entstand, da
Außenminister Sebastian Kurz in der Stadt Station machte. Sie ahnen gewiß, ich war dort
nicht wegen der Prominenz des Besuchers, sondern um mit den Bürgermeistern Verabredungen
für die kommende Woche zu treffen, denn wir haben die Vorbereitungen für unser Kunstsymposion
voranzubringen. Natürlich ist dieses Wir von etwas hybrider Art. Die kollektive
Kulturarbeit gehört in Österreich nicht zu den gut eingeführten Praxen.
Sie bleibt zwar immer noch eines der wenigen
vielversprechenden Konzepte, wenn man beachtet, wie sehr der Boulevard derzeit
permanent breiter wird, dabei jegliche Wissens- und Kulturarbeit in der Provinz auf enge
Pfade verweist. Aber das hat uns noch kaum neue Arbeitsformen eingebracht. Ich beklage das
nicht weiter, es ist ein Faktum, mit dem bestenfalls sehr unaufgeregt umzugehen bleibt.
Das lenkt mein Augenmerk eben auf Nischen. So eine Nische hat sich eben eröffnen
lassen.
Es ist eine Vitrine im Zentrum der Stadt (Foyer der Volksbank),
die ich temporär bespielen darf. Sozusagen ein Miniatur-Museum, eine kleine
Bühne, eine Art "Fenster zur Welt" das sich für jeweils drei Wochen
auftut.
-- [Vitrine] --
Da ist seit gestern an einigen Beispiel dargestellt, wie
sich innerhalb unserer Biografien die Welt des Analogen um die Welt des Digitalen
erweitert hat, was allgemein als Dritte Industrielle Revolution beschrieben wird.
Sie folgte der Automatisierungswelle. Von der Automatisierung zur Digitalisierung,
diese Prozesse nehmen derzeit ganz neue Formen an.
Darin verändert sich unsere Arbeitswelt, was zur Folge
hat, daß wir sozial wie kulturell vor erheblichen Herausforderungen in der
Neuorientierung uns Umstellung stehen. Unser heuriges Kunstsymposion ist solchen
Zusammenhängen gewidmet. Das reicht auch ins Fach der trivialen Mythen, wie es bei "Mythos
Puch !V" [link]
bearbeitet wird.
Mit dem Puch-Schammerl, dem Steyr-Puch 500,
der vor genau 60 Jahren erstmals präsentiert wurde, ist jene Ära markiert, in der eine Volksmotortisierung
begann, die sich auf den individuellen Privatbesitz von Automobilen stützt. Derzeit
erleben wir ja, daß ein Ende dieses Konzeptes schon absehbar ist und daß sich
individuelle Mobilität beginnt, in anderen Modi zu ereignen.
Graphic Novelist Chris Scheuer [link] hat dieses Motiv bearbeitet.
Daraus leitet sich unter anderem ein Poster ab, das gestern in Druck gegangen ist. Siehe
dazu: [link] Daran ist
übrigens bemerkenswert, daß die Entscheidung dazu von Altmeister Fredi Thaler forciert
wurde, der im Jubiläums-Booklet [link]
eine Graphik von Scheuer sah und mich anrief. Er bot mir an, die Produktion des Posters
sicherzustellen.
Thaler repräsentiert jene Art von Fabriksarbeitern, die
noch im Ethos des klassischen Handwerkers tätig waren und genau das in ihrer Pension
weiterleben. Dabei ist eine Weise der Handfertigkeit, des Problemlösens und des
Selbstverständnisses üblich, wie das vielleicht inzwischen einer untergehenden Welt
zuzurechnen wäre, da sich die Arbeitsbedingungen der Menschen so grundlegend verändert
haben.
Wie wir uns nicht gerne darüber Rechenschaft geben, daß
unsere Leben in wenigen Wochen ins Mittelalter zurückrutschen würde, falls bloß der
Strom landesweit für einen Monat ausfiele, so ersparen wir uns offenbar auch ein
Nachdenken darüber, was diese Gesellschaft verliert, wenn solche handwerklichen
Kompetenzen nicht wenigstens in Nischen erhalten bleiben.
Altmeister Fredi Thaler in seiner
Werkstatt
Damit ist nun ganz konkret ein sehr schöner Brückenschlag
zwischen diesen Welten vollzogen, den Terrains der klassischen Industriearbeit und der
Kunstpraxis. Das entspricht auch sehr fein einigen Grundlagen meines Langzeitprojektes "The
Long Distance Howl": [link]
Da ging es von Beginn an um eben solche Zusammenhänge,
daß nämlich die Kunstpraxis Räume aufmacht, in denen Personen aus dem realen Leben
anderer Genres in den Projekten selbst als handelnde Personen in Erscheinung treten. Zu
Fredi Thaler siehe: "Puch Haslinger" [link]
-- [Das 2017er Kunstsyposion] --
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