10. April 2017 Beziehen
wir aus der Literatur Realität? Aus den Filmen? Aus Kolportage? Datenströme! An einer
Stelle des Filmes sagt Dr. Quelet (Juliette Binoche) mit traurigem Blick zum Cyborg
Major Mira Kilian-Kusanagi (Scarlett Johansson): "Du bist das, was wir eines
Tages sein werden." Major erwidert: "Du weißt ja nicht, wie allein ich
mich dadurch fühle."
Major Mira Kilian-Kusanagi
So eine wesentliche Stelle von "Ghost in the
Shell" (2017,
Rupert Sanders). Das berührt unsere Debatten, die dem Projekt "Fiat lux"
[link] vorangegangen sind,
in denen mein Projektpartner Ewald Ulrich die Ansicht vertrat, wir würden grade jene
Spezies erschaffen, die uns innerhalb der Evolution im Karussell der Arten ablösen werde:
Maschinen mit einer Wahrnehmung ihrer selbst.
In der Manga-Verfilmung eines Stoffs von Masamune
Shirow ist bei Kusunagi ein Punkt erreicht, der in "Automata" (2014, Gabe Ibánez) noch
einen Tick weiter gedreht wurde. Dort bleiben die Menschen in einer winzigen Nische, die
gerade noch nicht von einer tödlichen Kontamination vergiftet wurde, zurück, während Androiden
die Welt übernehmen, weil ihnen all das Gift nichts anhaben kann. (Wie mögen sich die
Letzten unserer Art dereinst fühlen?)
Der Cyborg Major Kusunagi hat noch ein
menschliches Gehirn, ist also ein Mischwesen. In "Automata"
steht Jacq Vaucan (Antonio Banderas) reinen Maschinenwesen gegenüber, die nach
diem Abschied von ihm ihre Gesichtsmasken ablegen und zurücklassen, denn es gibt keine
Notwendigkeit mehr, für Menschen ein wenig menschenähnlich auszusehen.
Als Kusanagi auf ihren vermeintlichen Gegenspieler Hideo
Kuze trifft, beteuert dieser: "Ich bin das, was ihr zu zerstören versucht."
Da wird deutlich, daß er, wie seinerzeit Frankensteins Stückwerk, der fleischliche Humunkulus,
ein mißglücktes Experiment verkörpert, das sich zu wehren beginnt, als Menschen
abschaffen wollen. (Kuze: "Du willst mich ausschalten. So wie alle anderen
auch.")
Hideo Kuze und Kusaagi
Kuze erläutert Kusanagi den heiklen Punkt seiner
Geschichte: "Du wurdest aus den Lehren meines Scheiterns geboren." Das
bestätigt Dr. Quelet vor ihrer Ermordung der Roboter-Waffe mit dem Menschengehirn: "Vor
dir gab es 98 gescheiterte Versuche." Da flackern in manchen Momenten
Ethikfragen auf. Darf man mit Menschen solche Experimente durchführen? (Es meinten schon
die Nazi ungeniert: Ja.)
Quelet sagt explizit, was Ewald Ulrich real erwartet: "Sie
ist mehr als ein Mensch und mehr als eine KI." (KI meint Künstliche Intelligenz.)
Das Menschen-Tuning kennen wir freilich längst auf verschiedene Arten.
Eine ganz simple Cyborg-Vorstufe, die Kombination
Mensch-Maschine, hab ich in meinem vorigen Eintrag
erwähnt; mein Nachbar, der aus eigener Kraft nicht mehr hinreichend atmen kann und daher
in seinem Überleben von einem verläßlich gesteuerten Maschinensystem abhängt.
Ich gehöre selbst zu den Organismen, die erst über
Reparatur und Tuning wieder alltagstauglich wurden, nachdem an mir allerhand
verschraubt und vernäht werden mußte, wobei eine raffiniert gebaute Muskelplastik
das Glanzstück der Wiederherstellung meines Oberarms ist.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie mir verkabelte Sonden
ins Fleisch gestochen wurden, um über EDV-gesteuerte Impulse an den Nervenläsionen zu
arbeiten. Aus der Cyberpunk-Literatur kenne ich die Welten der Shaper
und der Mechanists. Genmanipulierte Wesen, wahlweise mechanisch auffrisierte
Selbstoptimierer. Beleibte Details der Science Fiction-Literatur, bewährte Praxis in
unserer Realität.
Im Film: Der Melee Fighter Batou, ein
gefährlicher Nahkampf-Spezialist, läßt sich im Verlauf der Filmhandlung von "Ghost"
die Augen durch künstliche Optiken ersetzen, welche Röntgeneffekte bergen, große
Weitsicht etc. Auch das kannte ich schon vom Cyberpunk.
Wir kennen unter Menschen viele solcher Tuning-Maßnahmen
längst als zivile und militärische Anwendungen. Das prominenteste Beispiel ist sicher im
Fliegen von modernen Jagdflugzeugen angelegt, was ein Mensch ohne rechenintensive
Computerstützung und anderes technisches Equipment nicht bewältigen könnte.
Wir sind natürlich alle längst Shaper und der Mechanists,
mindestens potentiell und spätestens wenn wir recht alt werden. Umfangreiche
biochemische, pharmazeutische, mechanische und elektronische Maßnahmen halten uns
möglichst lang in der Welt... jene unter uns, die es sich leisten können.
Prometheus. Frankenstein. Kuze. Ich staune immer wieder,
wie haltbar etliche Motive aus der Antike sind und wie anschaulich die Literatur manches
skizziert hat... |