10. November 2016 Und
die Welt dreht sich noch? Ah ja. Glück gehabt! (Andernfalls würde ich wohl an der Decke
kleben und und das Ende meiner Tage erwarten.)
Ich bekam gestern noch Post von Graphic Novelist Chris
Scheuer. Der vergeudetet seine Zeit momentan auch nicht mit Räsonieren. Allerdings fügte
er mir ein nettes Poststück an. Das Bild kommentiert er so:
"Zu deinem heutigen Logbuch-Eintrag: mir fehlen auch Worte und Verständnis - mir
bleibt die Spucke weg!! da tröstet nur noch Hendrix mit dem Song RED HOUSE, in dem er
sich ja bekanntlich beklagt, dass SIE weg ist - aber bevor er mit dem Gitarrensolo
beginnt, beruhigt feststellt, dass er ja noch seine Gitarre hat - so geht's mir mit Tusche
und Pinsel. herzlichen Gruss, C" Hier die große Ansicht der Graphik: [link]
Durch die Signatur wurde mir erst klar: Nine-Eleven.
Na, das ist wieder Stoff für Verschwörungstheoretiker. Aber selbst ganz ohne Datumsbezug
ist dieser Lauf der Dinge für endlose Empörungskonzerte gut.
Vox populi hat eben auch seine Sektionen im Lager
gebildeter Leute. Hier regiert das Amt für leere Gesten. |
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Ich verbrachte gestern meine
Mittagszeit mit dem Albersdorfer Bürgermeister Robert Schmierdorfer in Ludersdorf, weil
wir Belange unserer kulturellen Zusammenarbeit zu besprechen hatten. Schon auf dem Weg
über den Hof zur Straße erreichte mich aus der Nachbarschaft die Frage: "Ist
dir auch schlecht?"
Aber nein! Mir war das letzte mal sehr übel,
als ich mit meinem Mädchen ausgewesen bin und mich bei einem passablen Wirten für das
Schwammerlgulasch entschieden hatte. Es brauchte zwei Tage, um meine Übelkeit
loszuwerden. Doch dem politischen Geschehen erlaube ich keinen vergleichbaren Zugriff auf
meine Leiblichkeit.
Schmierdorfer. Er ist einer von drei
Bürgermeistern in den Dörfern, die sich mit mir auf eine anspruchsvolle kulturpolitische
Aufgabenstellung eingelassen haben. Der Zwischenstand unserer Zusammenarbeit ist hier
skizziert: [link]
In unserer Besprechung war keinerlei Unruhe,
denn diese Aufregerei über politische Prozesse ist ja Karaoke. Wir haben das im
eigenen Land grade zu überprüfen. Es bleibt auch genug zu tun, wie eben diese Zeilen
illustrieren mögen. Im konkreten Engagement vor Ort, dort wo man lebt, um auf das
Gemeinwesen einzuwirken, auch die öffentlichen Diskurse nicht einfach den vaterländischen
Kräften zu überlassen.
Ich war sehr verblüfft, als mich gestern Post
von einer Kollegin erreichte,. die sich seit vielen Jahren in einer regionalen
Kulturinitiative engagiert: "Glaubst wirklich, dass Kulturarbeit Vorurteile und
Gefühle beeinflussen könnten? Diese Wähler sind einfach dagegen, gegen das
Establishment, gegen die Elite, gegen Intellektuelle. Und Kulturschaffende gehören auch
zu dieser Gruppierung."
So viel Tendenz zur Selbstaufgabe in der Wissens-
und Kulturarbeit kann ich nicht nachvollziehen. Muß ich annehmen, daß in meinem
Milieu keine hinreichende Kenntnis besteht, wie sich Meinungsbildung vollzieht und woher
jene Ansichten kommen, die zu derlei Wahlergebnisen führen?
Muß ich annehmen, Kulturschaffende erlauben
in der Region nicht mehr das ruhige Gefühl, sie hätten ausreichend Ahnung was sie tun
und warum sie es tun? Hieße das, Kulturgeschehen, für welches auch öffentliche Gelder
verwendet werden, sei bloß noch verschiedenen Formen der Selbstrepräsentation
gewidmet? So oder so, das weitreichende
kulturpolitische Schwächeln vieler Leute aus meinem Metier offenbart sich ja an der
Schwäche regionaler Kulturpolitik.
Die hätte in ihren überwiegenden Abteilungen kein so
neben sich stehendes Personal, wenn die primären Kräfte -- Kunst- und Kulturschaffende
-- inhaltlich solider gerüstet wären. |
Quelle:
Facebook/Instagram,
10.11.2016 |
Publizistin Susanne Scholl hat
heute auf Facebook ein Bild gepostet, mit dem Schriftstellerin Toni Morrison
zitiert wird. Das ergibt eine klare Betonung des Gewichtes von öffentlichem Diskurs,
bietet Hinweise, wo, wie und von wem der (mit-) gestaltet wird.
Ich hatte dieser Tage eine bemerkenswerte
Korrespondenz mit einem Mann, der auch als Publizist tätig ist. Das wurde zu einer
Kontroverse. Es ging um meine Ansicht, daß Denkmäler, zumal an Kirchenwänden und so mit
besonderer Autorität ausgestattet, dem Totengedenken erhalten bleiben sollen.
Aber wo das getötet Personal mit einer
antiquierten Art der Sinnstiftung heute noch als "Unsere Helden" ausgewiesen
wird, sollte dieser Begriff angefochten werden. Solche Denkmäler verlangen nach einem
Kommentar, denn das Umdeuten der unnütz Getöteten zu "Helden" ist
obszön und kann im öffentlichen Raum nicht unkommentiert erhalten bleiben.
Wir blieben in der Sache uneinig. Ich hatte
von meinem Opponenten nur diese eine Begründung erhalten, ich solle den Nachfahren der
Toten ihr Totengedenken nicht nehmen oder stören. Davon kann ohnehin keine Rede sein.
Aber meine ausführlich begründbare Ideologiekritik am Bewerben und Inszenieren der
Zuschreibung "Helden", noch dazu für zwei Kriege, in denen unsere
Leute jedes Mal zu den ersten Aggressoren gehörten, konnten wir nicht bis zu einem
respektablen Dissens debattieren.
Die mangelnde Bereitschaft des Mannes,
Mechaniken des öffentlichen Diskurses durch legitimierte Botschaften im öffentlichen
Raum zu reflektieren, mündeten in einer interessante Projektion:
"...denn Teile Deiner Argumentation
sind eigentlich nicht fundamentierte Aussagen die nur eine persönliche Meinung
widerspiegeln die somit versuchen diese zu rechtfertigen. wir diskutieren nicht mehr,
sondern Du machst Dir ja nicht einmal die Mühe über meine Einwände nachzudenken, aber
ja, ist halt so."
Eine bemerkenswerte Unterstellung, in der alle
Argumente entfallen, die wir beide über Meinungsbildung via Medien kennen und daher
vorbringen könnten.
Damit will ich sagen, selbst unter erkennbar
gebildeten Menschen ist derzeit offenbar wenig Bereitschaft, die so dringenden Fragen zum
Thema Meinungsbildung in öffentlichen Diskursen unter Verwendung von Massenmedien konsequent
zu debattieren; möglichst öffentlich zu debattieren. (Ich werde darauf noch näher
eingehen.)
Ein Meinungsbildner, der sich Fragen der
Meinungsbildung verschließt. Eine Kulturschaffende, die dem Kulturschaffen in der Sache
eher nichts zutraut. Ich hoffe, das ist nicht all zu repräsentativ...
Apropos Meinung! Ich hab zum Projekt Dorf
4.0, in der Zusammenarbeit mit den eingangs erwähnten Bürgermeistern, den Komplex
von Beiträgen zu solchen Fragen gerade neu geordnet; siehe: [link]
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