30. Oktober 2016 Ursula Glaeser hat in Stainz zu einer weiteren Walking Conference
geladen. Dieser realen Begegnung zum Thema "Heimat" ging eine Anfrage
via Facebook voraus, die ein kontrastreiches Konvolut von Antworten ergab.
Mir ist in diesem ganzen Verlauf kein
persönlicher Verweis auf den Begriff Vaterland untergekommen. Daraus schließe
ich, daß unter uns zwar von individuellen Erfahrungen gesprochen wird, die sich mit dem Begriff
Heimat assoziieren lassen, diese Erfahrungen werden aber offenbar nicht auch
als kollektive Phänomene gedeutet.
Bei einigen meiner Kontroversen mit
österreichischen Patrioten scheint es genau umgekehrt zu sein. Sie blieben mir
durchgehend Mitteilungen über individuelle Erfahrungen schuldig, betonten das Kollektiv,
beriefen sich auf dieses Kollektiv. Sie argumentierten überwiegend mit Sätzen aus einem
allgemein bekannten Repertoire an Feststellungen über ein patriotisch verehrtes
(oder strapaziertes) Österreich. Siehe dazu beispielsweise: "In der Ebene:
Gleisdorf" [link]
Ich finde daran kurios, daß vor allem jene,
die Österreich abriegeln möchten, im Sinne eines Slogans aus einem klassischen
Einwanderungsland argumentieren: "my country, right or wrong". (Das
Zitat aus dem frühen 19. Jahrhundert wird dem amerikanischen Marine-Offizier Stephen
Decatur zugeschrieben.) In solchem Klima wird schon eine kritische Erörterung des
heimischen Staatswesens als "Vaterlandsverrat" betrachtet.
Heute würden wir wohl sagen, so hängt man
einem Fußballklub an. Man beschimpft jene, die einen anderen Klub verehren, prügelt sich
auch gerne mit ihnen, weiß in Wahrheit keinen Grund zu nennen, warum man beispielsweise "Rapid
bis in den Tod" zu seiner Sache macht; so etwa der Name einer Facebook-Gruppe.
In Europa hatten wir bezüglich der
Zugehörigkeitsgefühle zu einem Staat schon in der Antike ein anderes, unaufgeregteres,
schlicht politisches Konzept in Arbeit. Eines, das weniger romantisch, emotional,
so auch weniger anfällig für Greueltaten und Massenmord wäre.
Ich hab hier erst kürzlich Cicero
zitiert, der in "De re publica" zwei maßgebliche Kategorien in den
Fokus rückte: Anerkennung des Rechtes und Gemeinsamkeit des Nutzens.
Siehe: [link]
Das heißt, wir konnten in Europa schon im
ersten Jahrhundert VOR Christus weiter und eleganter denken, als es uns die
vaterländischen Kräfte heute vorhüpfen. Das hat auch kulturpolitisch eine
richtungsweisende Kraft. Anerkennung des Rechtes und Gemeinsamkeit des Nutzens legen uns
nahe, von eine Staatsvolk zu reden, das sich ganz beliebig aus verschiedenen "Kulturvölkern"
ergeben kann. Es ist genau diese Multiethinzität, aus der Europa einst politische,
wirtschafrtliche und kulturelle Größe bezog.
Demos und Ethnos müssen
sich eben nicht decken, was ja auch die alten Imperien illustrieren, auf die sich manche
Patrioten gerne berufen. Mehr als ein halbes Jahrtausend Haus Habsburg haben
keine "ethnische Einheit" verlangt; ganz im Gegenteil! Noch zuletzt,
als Kaiser Franz Josef den Großen Krieg ausrief, eröffnete er seine Kriegserklärung
mit den Worten "An Meine Völker!" und genau NICHT mit "An
Mein Volk!"
Sprach der Imperator dabei von "Eurem
Vaterland"? Nein, er sprach von der "Wahrung der Ehre Meiner Monarchie,
zum Schutze ihres Ansehens und ihrer Machtstellung". Quelle: Österreichisches
Staatsarchiv [link]
Bevor wir in der Zweiten Republik zur
Welt kamen, hatte eine Art zweiter Dreißigjähriger Krieg sich als großes Pyramidenspiel
entfaltet. Eliten scharten Kriegsvolk um sich, beraubten Millionen von Menschen an Gütern
und Leben, um sich selbst Vorteile zu verschaffen, die redlich zu erwirtschaften sie nicht
fähig waren.
Dieses in der Geschichte einmalige
Völkerschlachten wurde vielfach ethnisch begründet, vor allem aber ideologisch.
Es ging nicht einfach um die Heimat einzelner, sondern um die Vaterländer
aller. Dem folgte ein Kalter Krieg waffenstarrender Nationalstaaten, deren
Arsenale Overkill-Potential hatten, also gereicht hätten, unsere Welt mehrfach
aus dem Universum zu sprengen.
Ich erinnere mich gerne an dieses merkwürdige
Aufatmen, als es hieß, der Kalte Krieg sei vorbei. Autor Wolfgang Siegmund hatte
mir eines Tages einen kleinen Betonbrocken mit Farbresten in die Hand gelegt. Es sei ein
Stück der Berliner Mauer. Das verweist auf 1989.
Kurz davor war ich in die DDR gereist, hatte
mir Berlin angesehen und einen sorbischen Schriftsteller besucht. Die Sorben
repräsentieren eine europäische Kuriosität, eine slawische Sprachinsel, welche keine
Landesgrenze markiert, keinen Übergang.
Ich hatte es mit meiner Reise eigentümlich
erwischt: "Die Konferenz mit den Exponenten des Warschauer Paktes fand am 11.
Dezember 1987 statt, was in den Straßen Berlins vor allem durch allerhand Absperrungen
und Konvois schwarzer Limousinen erfahrbar gewesen ist." Die Quelle: [link]
Wir haben nicht lange gebraucht, um uns jetzt
neue Feindbilder zu zimmern und wieder eine bipolare Weltsicht zu etablieren, welche auf
"Die Welt gegen uns" hinausläuft. "Knapp zwei Jahre später, am
9. November 1989, fiel der Eiserne Vorhang mit seinem augenscheinlichsten Teil, der
Berliner Mauer. Zwischen August und Dezember 1991 zerfiel die Sowjetunion."
Bloß 25 Jahre und wir sehen uns wieder von
Feinden umstellt, die angeblich unser Land, unser Volk, unsere Kultur, unsere Identität
zerstören möchten. Die Erörterungen der Zustände laufen emotional aufgeladen, es wird
nicht mehr zwischen der Idee von Heimat und von Vaterland unterscheiden,
weite Bereiche öffentlicher Diskurse erweisen sich als Sauhaufen an Meinungen. Ich sehe
eine Menge Klärungsbedarf.
-- [Walking Conference: Heimat]
--
|