8. Juni 2016 Gestern hatte Igor F. Petkovic seine zweite Session in der Akademie Graz.
Eine Station in unserem Projekt "From Diaspora to Diversities": [link] Das Fragen nach Identitäten,
nach Heimaten, nach Lebensverläufen ist zur Zeit sehr brisant.
Wir erleben gerade eine unermeßliche
Schlampigkeit im Umgang mit diesen Kategorien, ein Dahinbehaupten von Klarheiten in
reduzierter Komplexität, da geht gerade vieles den Bach hinunter, was im Ruf nach
stichhaltiger Identität behauptet wird.
Ich greife ein Beispiel heraus, das ich am 24.
Mai 16 auf Facebook zu sehen bekam. Unter den mit mir dort verbundenen Leuten
haben ja etliche ein starkes Bedürfnis, ihre Heimat, Kultur und Werte gesichert zu sehen.
Aber welche Heimat, Kultur und Werte?
Quelle: Facebook
Das erfahren wir vom Gros der Aufgeregten
natürlich nicht. Genau das hat Petkovic unter anderem gestern thematisiert. Diese
Entlastungsstrategie des "Mir san mir!", mit der suggeriert wird, es
sei auch nur halbwegs geklärt, wer wir denn nun sind. Dieses "Wir" ist
natürlich ein Schwindel, eine Simulation.
Was wir denn seien, ergibt sich aus ganz
unterschiedlichen Quellen und zeigt sich in unterschiedlich populären
Erzählungen/Narrativen. Der imaginäre Feind, von dem uns all das angeblich genommen
werden könnte, sitzt wohl hauptsächlich in jenen etwas ich-schwachen Landsleuten, die
bezüglich Heimat, Kultur und Werte offenbar Angst vor dem eigenen Schatten haben.
Was Petkovic auf der symbolischen Ebene betont
hat, eignet sich sehr gut, einige Punkte zu beleuchten. Da wäre etwa die völlig skurrile
Verklärung des eher unsäglichen Kaiser Franz Josef, die populäre Unklarheit über Franz
Ferdinand, der sicher kein netter Mensch war, aber unter den Habsburgern eigentlich rasend
interessant, die eigentümlichen Betrachtungen des Gavro Princip...
Im vorigen
Eintrag habe ich unter anderem die Frage erwähnt, ob denn Gavrilo Princip nun ein Freiheitskämpfer
oder ein Terrorist gewesen sei. Ich habe notiert: "Mord ist Mord. Aber
mich interessieren in diesem Fall Motive und Zusammenhänge."
Der politische Mord, der Tyrannenmord, das
Attentat, wir werden die Debatte darüber vermutlich nie abgeschlossen haben, müssen sie
wohl weiter führen. Wer sich heute unter meinen Landsleuten über Princip ereifert, wird
mir erklären müssen, warum wir in dieser Dabatte kaum je auf Friedrich Adler kommen, den
Sohn Victor Adler.
Er meinte im Oktober 1916, Karl Graf Stürgkh,
den Ministerpräsidenten Österreichs, aus Protest gegen dessen politische Haltung zum Großen
Krieg töten zu müssen und erschoß ihn in einem Hotel.
Während Princip in seiner Haft elend zugrunde
ging, wurde Friedrich Adler zum Tode verurteilt, vom Kaiser begnadigt, wurde eingesperrt
und schon 1918 entlassen, um bis 1960 ein nächstes Leben zu haben.
Keine Terrorismus-Debatte zu Adler, aber
Princip bleibt im Gespräch. Das finde ich recht bemerkenswert. Petkovic hatte einen
kleinen Stempel vorbereitet, mit dem sich der Titel des Abends vervielfältigen läßt.
Ich hab diesen Stempel auf jenes Buch gehauen,
das grade in meiner Tasche steckte. "Die Maßnahme", Brechts Lehrstück
über den politischen Mord, das ich gerade aus anderem Grund wieder lese. Darüber wird
noch zu reden sein.
-- [HEIMAT:MACHT:MIGRANTig] -- |