27. Dezember 2015

Ich stecke nach wie vor mit wirrem Haar im Schlund dieser Stille, trunken vom Kaffee, der mir etwas Hitze, eingehüllt von diesem eigentümliche Geschmack, wie eine Säule in die Brust stellt. Ich werde heute wieder in die Sonne gehen, um nachzuschauen, wie lange mein Schatten derzeit ist.

Was war das nun? Dieses 2015er Jahr habe ich eine Vertiefung der Institutionalisierung unserer Gesellschaft erlebt. Spielräume wurden enger, Rituelles wichtiger. Wer Funktion und Position verknüpft hat, zog die Knoten nach. Es möge sich nichts rühren. Es möge nichts ins Rutschen geraten.

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Im regionalen Kulturgeschehen ist es kaum anderes gekommen. Boden befestigen. Selbstmusealisierung vorantreiben, wo sich das machen ließ. Wie schreibe ich mich in die Chroniken einer Gesellschaft ein? Philosoph Richard David Precht meint, Aufmerksamkeit sei eine Droge. Ich denke, das stellt sie mit der Gewalttätigkeit auf eine gemeinsame Bühne.

Ich hab das gestern im Flame-Log exemplarisch skizziert, denn das funktioniert schon allein auf symbolischer Ebene, in der Kommunikation, da muß man noch gar nicht physisch werden. Hier eine klassische Kerl-Nummer, mit Achtzylinder-Motoren verknüpft und auf Kosten der Schwulen: [link]

Da bekommt selbst der dümmste Pfosten auf dem Set noch Aufmerksamkeit und Applaus, wobei der Gegenstand des Gaudiums, hohl wie ein Container, ganz beliebig befüllt werden kann. Gut, das lohnt hier gerade keine weitere Erörterung. Wo solche Schäbigkeit laut wird, verlangt sie ebenso laute Einwände. Das müßte sich in menschlicher Gemeinschaft ja machen lassen.

Neurobiologie Gerald Hüther nennt als die beiden menschlichen Grundbedürfnisse Verbundenheit und Freiheit. Was er damit meint, läßt sich leicht überprüfen, auch wenn man gerade nur zu zweit wäre, in allen Grüppchen auf jeden Fall, und ebenso an einem Wohnort, in einer Stadt: Dazugehören dürfen und wachsen dürfen.

An Hüthers Ausführungen fand ich besonders interessant: Wird man in diesen Bedürfnissen beschädigt, sind in der menschlichen Schmerzreaktion die selben Regionen im Gehirn aktiv, die auch bei körperlichem Schmerz feuern.

Möchten wir also in menschlicher Gemeinschaft gerne stabile Verhältnisse unter einigermaßen netten Menschen, die sich nicht dauernd wegen irgendwelcher Versagungen aneinander abarbeiten, daß es Scherbenhaufen gibt, sind wir gefordert, diesen Grundbedürfnissen Raum zu geben.

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Worum es da geht? Es klingt auf Anhieb vielleicht ein wenig gewöhnungsbedürftig bis widersprüchlich, läßt sich aber selbst mit mäßiger Anstrengung deutlich aufstöbern: Dazugehören und einzigartig sein, also verbunden sein und frei zugleich. Schwierig? Naja!

Warum wird es dann derzeit oft so eng, wo wir doch recht leicht klären können, was beachtet werden möchte? Hüther weiß um die Notwendigkeit, Konflikte zu lösen. Er hält dabei Dilemmata für äußerst anregend. Wenn ich nämlich zweierlei möchte, aber eines schließt das andere aus, muß ich zu einem anspruchsvolleren Fazit kommen, als bloß nach der Axt zu greifen und damit die Widersprüche zu eliminieren.

Wenn ich aber keine Lösung finde, ist es verlockend primitiv zu werden. Wo die Angst groß wird, empfehlen sich vielfach primitive Strategien wie Angriff, Flucht oder Totstellen, also ohnmächtige Erstarrung.

Sie ahnen vielleicht, ich grabe hier schon Tage und Wochen an den Möglichkeiten, unseren kulturellen Vorhaben für das kommende Jahr mit brauchbaren Ansätzen zu versehen, auf daß eine Runde höchst kontrastreicher Persönlichkeiten genug Anlaß und Einladung finden möge, dabei mitzuziehen.

Diese Praxis des Kontrastes als eine kollektive Praxis halte ich für unverzichtbar. Das schmälert keineswegs die Gewichte von Eigenwilligkeit. Im Gegenteil. Genau diese Eigenwilligkeit, wie sie jemand im energischen Umgang mit sich selbst entwickelt, ist ein wunderbarer Ausgangspunkt für inspirierende Gemeinsamkeiten.

Ich kann mich natürlich nicht ein halbes Leben lang an jenen Verwaltern des Stillstandes stoßen, die sich für eine Existenz entschieden haben, welche im Geschmack einem Schluck warmen Wassers gleichkommt, da bleiben wir auf Koexistenz angewiesen. Aber auf möglichst elegante Art im Kontrast zu bleiben, das ist eine durchaus verlockende Aufgabe.

-- [Konvergenz 2016] --

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