martin krusches [flame] logbuch / blatt #94


Traktor. Marke. Fetisch.

Im Streitfall findet man folgendes Verlaufmuster recht häufig. Zuerst wird das Denkvermögen der Andersdenkenden in Frage gestellt. Zeigt sich jemand davon unbeeindruckt, dann wird seine oder ihre körperliche Erscheinung angefochten. Zu dick, zu dünn, zu klein, zu blond, irgendetwas findet sich. Falls das zu wenig Wirkung erzeugt, ist die Sexualität dran, um herabgewüdigt zu werden.

Manche sparen sich Umwege und zielen gleich auf empfindliche, weil intime Bereiche. Die sexuelle Orientierung von Menschen ist Privatangelegenheit. Jemanden öffentlich in seiner Sexualität anzufeinden gehört daher zu den perfidesten Arten, Menschen zu attackieren.

Eine besondere Art der Verachtung ist jene, die sich selbst nicht dafür hält. Anmaßung? Dummheit? Diese Frage schert mich nicht. Ein Mangel an Bildung und an Wissen um die Welt drückt sich darin auf jeden Fall aus.

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Ich stieß ausgerechnet am 24.12. in einer Facebook-Gruppe, die den Traktoren der Marke Steyr gewidmet ist, also am Weihnachtsabend, auf ein Posting mit der skurrilen Nachricht: "Hat der Bauer schwule Kinder, fährt er Steyr 6 Zylinder"

Das quittierte der Administrator dieser Gruppe prompt mit dem Verweis: "Dein bekloppter Beitrag ist in 5 Minuten weg oder du bist für immer geblockt." Vorerst ohne Wirkung. (Einer der Fans warf ein: "Mit meim 6 Zylinder fährt eh mei Frau".)

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Ich hatte irrtümlich angenommen, der Admin würde schwulenfeindliche Statements ausschließen. Falsch! Es war die Herabwürdigung der Marke Steyr, die hier geahndet werden sollte. Nach der Löschung des erwähnten Beitrages blieb im Forum nämlich eine Variante dieser Meldung stehen, bloß daß statt Steyr nun Deutz dran war.

Es wird demnach ein Fahrzeug mit Achtzylinder-Triebwerk bevorzugt und die Männlichkeit des Bauern hängt einerseits am Fahrzeug, andererseits an der Sexualität anderer Männer und Frauen. Etwas verwirrend! Aber Ressentiments und landläufige Dummheit müssen sich weder an der Vernunft messen, noch in Schlüssigkeit bewähren.

M. R., der Absender dieser Bildbotschaft, quittierte meinen ersten Einwand mit "Krusche.... was is".

Ich erwiderte: "ah, der selbstbewußte agrarier, dessen männlichkeit auf andere draufsteigen muß, um format zu haben. worüber würdest du dich denn hier gerne unterhalten?"

Darauf M.R.: "Bist a Deutz Fahrer ALLES OKAY Sorry".

Er konnte mir schließlich weder die Fragen zu seinem offenbar schwächelnden Selbstbewußtsein als Mann beantworten, noch wollte er seinen Status erklären.

M.R.: "Wer nie einen Traktor besass weiß einen.... ist so leider"

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(Quelle: Facebook)

Nun bezweifle ich, daß M.R. selbst einen besitzt, einen gekauft hat, auch wenn er eventuell bei der Arbeit einen fährt. Was ist nun der Effekt und was der Nimbus? Große Traktoren, etwa solche mit Achtzylinder Motoren, sind derart teuer, daß nicht gar so viele Bauern sich einen kaufen können; falls sie überhaupt derart mächtiges Gerät für ihre Landwirtschaft brauchen.

Es gibt österreichweit inzwischen immer weniger Betriebe, mit deren Ertrag sich so ein kostspieliges Fahrzeug erwirtschaften ließe. Das drückt sich auch in einer jährlich sinkenden Zahl an landwirtschaftlichen Betrieben aus; bei gleichbleibenden Flächen. Das bedeutet ein stetes "Bauernsterben", während die verbleibenden Betriebe immer größer werden.

Derlei mag dann entsprechend mächtige Traktoren verlangen, die aber eben mehrheitlich großen Wirtschaften oder einem Maschinenring gehören, folglich genau nicht den großspurigen Fans in der Art des M.R. oder anderer Marken-Fetischisten.

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Natürlich sind auf Facebook auch Fans zugange, die offenbar ihr Handwerk verstehen und keinen Grund sehen, aus der Markenfrage eine Glaubensfrage zu machen, wie beispielsweise Ch.W.: "Is jo wurscht wos für a Marken solang da traktor guat geht passr olls".

Ein Fakten-Check, etwa auf landwirt.at legt offen, daß bei den Standardtraktoren die Liste der Neuzulassungen von Steyr angeführt wird, gefolgt von New Holland. Deutz-Fahr kommt erst an Stelle 7: [Quelle] Zu einem ähnlichen Bild kommt man im Lagerhaus: [link]

Das Landtechnikportal eilbote hatte heuer zu berichten, daß der Traktormarkt in Österreich schrumpft, notierte ein Minus von 11,6 Prozent: "Nennenswerte Zugewinne erzielten nur Fendt und Massey-Ferguson, Verluste verzeichnen besonders New Holland und John Deere." [Quelle]

Unsere Traktoristen sind also in harten Zahlen keine so harten Kerle. Der Admin erläuterte: "Martin Krusche der Spruch ist eher als Scherz gemeint davon gibts sehr viele. Keine Sorge hier sind keine "dummen Bauern" solange dies nur in einer Steyr Gruppe gepostet wird sollte jeder drüber lachen. Hast dich hier etwas zu sehr reingesteigert dafür, dass es nur ein Scherz ist. Frohe Weihnachten euch allen!"

Nun hätten dort ja einige Leute auch zurückrudern können, um diese Abschätzigkeit gegenüber Schwulen aus der Geschichte rauszunehmen. Derlei Ressentiments lassen sich übrigens beliebig ummodeln. Was darfs denn sein? Wer darfs denn sein?

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Nehmen wir einmal an, ich setzte statt "Schwule" hier "Bauern" ein und mache das an populären Klischees fest, wie sie in meinen Kindertagen noch ganz alltäglich waren. Wie lustig klingt denn dann: "Hat der Bauer Bauern-Kinder, fährt er Steyr 6 Zylinder"?

Um diese Lustigkeit zu überprüfen, muß man die Klischees kennen. Diese besagten in meiner Jugendzeit zum Beispiel noch: "Der Bauer riecht etwas streng, sieht ungehobelt bis häßlich aus, redet sehr undeutlich, bellt eher als daß er spricht, weshalb man ihn schwer versteht, was aber nichts macht, da Bauern meist ungebildet sind, um nicht zu sagen: dumm, weshalb es sich sowieso nicht lohnt, ihr Gerede zu verstehen".

Und? War das jetzt lustig? Sie wissen und ich weiß, so eine Zuschreibung handelt natürlich nicht von der Realität, von jenem Berufsstand, der sich in den letzten Jahrzehnten vor allem mit Bildung und dem Erwerb neuer Kompetenzen gegen sein Verschwinden zu wehren wußte, während die Marktsituation immer angespannter wurde.

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Das sind einfach nur herabwürdigende Statements, überdies, wie schon beim Thema Schwule: "Selbstdefinition durch Feindmarkierung". Stadtfrack und Bauernjanker? Heteros und Schwule? So klären wir, wer wir sind?

Der Mann sagt nicht:"Ich bin ein Mann, weil ich..., um zu beschreiben, was sein Mannsein ausmacht. Er sagt: "Ich bin ein Mann, weil ich nicht so bin wie du."

Da kann sich jeder alles denken und wir wissen leider nicht, wodurch er Mann ist, auf welche Art er Mann ist, da er es offenbar selbst nicht weiß. Daher der Supertrick: "Ich bin Mann, weil ich acht Zylinder besser finde als sechs Zylinder und weil irgendwer schwul ist."

Der Admin schrieb mir: "Martin Krusche du verstehsts immer noch nicht ganz, er macht keine schwulen runter, das ist ein Spruch, von denen gibt's so viele (paar Beispiele: 2 Bretter über Kreuz, fertig ist der Deutz, Nothing runs like a Deer with a New Holland up it's rear, John Deere's are like Tampons, every pussy has one, Steyr das rot, weiß, rote Wunder fährt Berge rauf wie andre runter). Jeder der eine Marke vertritt kennt und liebt solche Sprüche, das hat nix mit Diskriminierung noch mit sonstwas zu tun, sowas gibt's bei Autos und LKWs auch, das ist nicht ernst gemeint. Nimms doch mit Humor."

Ja, schon klar, hier brauchen also "richtige Männer" mindestens Frauen (Tampons, Pussy) und Schwule, um ihr Mannsein zu klären, zu definieren, aber "solche Sprüche, das hat nix mit Diskriminierung noch mit sonstwas zu tun". Naja, mit Augenhöhe auch nicht gerade... (Übrigens, gegen Mitternacht war der Eintrag samt seiner folgenden Debatte gelöscht.)

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