27. Dezember 2014 Die
Nacht, die Zeit zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang, ist mir die liebste Zeit, wenn
ich eine Strecke zu machen hab. Das sind dann antiquierte Verhältnisse. So ungestört
durch die Dunkelheit zu schneiden, den Lichtern nachzugehen, Platz zu haben, das läßt
der Tag nicht mehr zu.
Das ist ein verwehendes, vergehendes Szenario. Die Kosten
dafür schrauben sich Jahr für Jahr hinauf und der Platz auf den Straßen wird immer
enger. Da endet also gerade eine Epoche. Ich grabe in Archiven, blättere in alten
Journalen, wälze Bücher.
In den ersten Jahren und Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts
wandte sich einschlägige Werbung ausschließlich an wohlhabende Leute, weshalb für die
Inserate vielfach versierte Grafiker engagiert wurden. Entsprechend ließe sich mit den
Blättern eine feine Ausstellung gestalten.
Dürkopp war bei uns ursprünglich
mit Nähmaschinen auf dem Markt. Später kamen die Bielefelder mit Fahrrädern und dann
mit Autos an. Im Jahr 1894 waren sich die Deutschen mit Johann Puch über gemeinsame
Geschäfte einig geworden [link] und so auch in Graz präsent. Was sind das für Prozesse und Kräftespiele, die uns in diese Gegenwart
geschafft haben? Woher kamen und kommen die Mittel, um solche Betriebe aufzustellen? Bei
all dem aber ganz wesentlich: Wie kamen Massenproduktion und Massenkonsum in Deckung?
Wir ahnen, daß ein hartgesottener Kapitalismus uns in
diese Verhältnisse gehebelt hat. Aber erst in diesen Verläufen bekamen Leute wie ich
Schuhe an die Füße, die Wasserleitung vom Hof ins Haus und schließlich auch Zeit, um
Bücher zu lesen. |
1922 |
Ich hab heute die Freiheit,
mich in jedes beliebige Thema zu schmeißen und rauszutragen, was mir angemessen
erscheint. Es gibt zwar auch heute Leute, von denen ich weiß, daß sie mich gerne
abschaffen ließen, aber das spielt keine Rolle, weil es nicht machbar ist.
Unterm Kaiser war das etwas anders gelagert.
Die Staatsanwaltschaft sah sich gelegentlich veranlaßt, ein Blatt zu löschen. Unter den
Nazi wurden gleich die gemeinten Personen selbst gelöscht. Das habe ich übrigens gerade in einer Nacht mit gutem Wein, in erfreulicher
Gesellschaft von geistreichen Menschen, etwas durchleuchtet. Es ist ja nicht allen
Menschen naheliegend, etwa Jugoslawien eine Militärdiktatur zu nennen. Tito wird heute
mit allerhand romantischer Verklärung verwöhnt.
Wir mußten offenbar alle durch solche Phasen, in denen
sich jemand vom Sohn der Völker zum Vater der Nation aufschwang, auf daß wir uns um
solche Kanaillen scharten. Das "Wir" ist ein brisantes Thema. |
1908 |
Wo wir leben, spielten
Revolutionen keine erwähnenswerte Rolle. Die großen Dynastien mußten sich jeweils
selbst abschaffen, mußten an ihrer wachsenden Inkompetenz scheitern, um zu versinken. Die
Osmanen zogen sich vom Balkan zurück, wo ihnen autochthone Völker zu hart zusetzen, als
daß sie ihre ursprüngliche Expansion noch aufrecht halten wollten.
Habsburger und Hohenzollern hatten sich mit
ihren Kolonial-Konzepten völlig überschätzt und schossen sich selbst aus der
Geschichte, schickten dazu aber Millionen Menschen ins Grab. Von den herrischen
Vaterfiguren mochten wir uns noch nicht so schnell verabschieden...
Carlo Egler, 1923 |