20. Dezember 2014 Seit
dem Ende der Sovietunion haben wir sehr gründlich herausgefunden: Ohne Feindbilder geht
es bei uns leider nicht. Es wäre uns damals eine elegante Möglichkeit erwachsen, solche
weltanschaulichen Konzepte hinter uns zu lassen. Das hätte sich allein aus egoistischen
Gründen gelohnt.
Eine pluralistische Gesellschaft, die in eben ihrer
Vielfalt soziale Stabilität hinkriegt, die also Verteilungsgerechtigkeit unter einer
Vielfalt von Talenten herstellt, wäre ein politisches und ökonomisches Wunder, für das
wir selbst sorgen könnten. Wir könnten... Falls wir nicht an den erbärmlichen
Feindbildern festhalten möchten, die uns klein sein lassen.
Gestern wußte ich bei meiner Notiz über EDV-gestützte Gesinnungsschnüffelei noch nicht,
was das Kürzel PEGIDA bedeutet. Ich mußte erst nachschlagen. Inzwischen habe
ich Statements gelesen und Interviews gehört. Von den "Patriotischen Europäern
gegen die Islamisierung des Abendlandes" sind da eigentlich nur Floskeln zu
hören, die einen erschreckenden Mangel an Weltkenntnis und Reflexionsvermögen
ausdrücken.
Solche refelxionsarmen Massen sind nichts Neues. Daher
beunruhigen mich momentan weit mehr jene, die etwa via Social Media nach einer "Rettung
vor den Rettern des Abendlandes" rufen, denn das ergibt sich mit erhobenen
Händen den gleichen Denkschemata.
Ich mache mir bezüglich einer "Islamisierung des
Abendlandes" keinerlei Sorgen. Was seit dem ersten Kreuzzug, also vor über
tausend Jahren, nicht geschehen ist, sollte ausgerechnet jetzt zustandekommen, wo die
arabische Kultur auf einem absoluten Tiefpunkt ist? Was für eine ausgesuchte Blödheit!
Wer an Rettung denkt, möge doch zuerst einmal sich selbst
retten; nämlich vom Gebrauch verlockender Feindbilder, vom Hang zum Alarmismus und von
der Neigung zur Polemik. Kühl betrachtet finden wir uns ja bei alten Traditionen wieder,
die dieses Abendland im fruchtbaren Austausch mit arabischen Kulturen erblühen ließ.
Wir wurden nicht islamisiert, sondern haben von diesem
Austausch profitiert. Wissenschaft und Kunst bezogen überragende Impulse aus diesen
Kulturen, ohne daß uns daraus ein "Islamproblem" erwachsen sei. Zugleich hat
dieses Abendland von den Anregungen aus jüdischer Kultur unendlich prifitiert. Die wirkte
übrigens auch immer "international" und blieb nicht einer bestimmten
Hemisphäre vorbehalten.
Die ethnische Vielfalt als ein gesellschaftlicher Vorteil
war ein halbes Jahrtausend lang ein Faktum im Hause Habsburg. Anders ausgedrückt: Wir
Österreicher waren nie große Krieger. Das Imperium glänzte durch Wirtschaft, Kultur und
wohl auch Politik.
Fußnötchen: Das Imperium ging in dem Moment unter, da die
Habsburger innen- wie außenpolitisch vollkommen versagten und auf die Optionen des
Kriegers setzte. Davor hatten sie schon kulturell versagt, womit ich etwa den "Sprachenstreit"
("Badeni-Krise") und ähnliche Probleme meine.
Dieses kulturelle Versagen setzte sich in der Nazi-Ära
fort und hat seine unseligen Konsequenzen bis in die Gegenwart. Wieso sollte uns eine
"Islamisierung" drohen? Und wodurch solle sie uns drohen?
Die Dschihadis sind ein Sicherheitsproblem, aber
kein kulturelles Problem. Sie und die Kanzeltäter an ihrer Seite, großspurige Redner,
von denen sozial marginalisierte Menschen aufgewiegelt werden, haben überdies reichlich
wenig mit dem Islam zu tun. Daran ändert überhaupt nichts, daß sie den Koran zu
zitieren wissen. Das ist bloß Dekor.
Es ist Dekor für Gewalttäter, für Verbecher. Ich brauche
den Begriff "Islamist" nicht, denn der Begriff "Verbrecher" deckt ab,
womit wir es zu tun haben. Eine der Wurzeln dieser Mißstände ist absolut international
und interkulturell. Ich meine den menschenverachtenden Machismo einer
vorherrschenden Männerkultur.
Den müssen Muslime bei uns nicht importieren, den haben
wir uns selbst gemacht. Der Unsere ist höchst kompatibel mit jenem der Verbrecher anderer
Kulturen. Wir sind bloß derzeit kulturell, politisch und ökonomisch in stabileren
Verhältnissen als unzählige islamisch geprägte Länder.
Daher haben Männer mit problematischen Tendenzen ein
anderes Umfeld, in dem diese machistische Menschenverachtung meist keine so radikalen
Erscheinungsformen annehmen kann, ohne härteste Gegenmaßnahmen hervorzurufen.
Aber die Männer, denen es kein Problem wäre, sich eine
Frau wie ein Haustier zu halten, die Kinder zu züchtigen und Andersdenkende nachts von
Rollkommandos abholen zu lassen, haben wir unübersehbar unter uns.
Gerade sie, so kann man immer wieder hören, berufen sich
auf "Werte des christlichen Abendlandes" und wollen dieses "Wertesystem"
gesichert, verteidigt wissen, wie andere das mit dem Islam pflegen. Man muß sich nur
ansehen, was die Bewegung "Islamischer Staat" uns in recht wenigen
Wochen von sich gezeigt hat, dann erkennen wir alles wieder, was wir vom Typus
"soldatischer Mann" kennen.
Die eben mit dem Friedensnobelpreis geehrte Malala
Yousafzai ist ein beispiel, womit wir es da zu tun haben können. Plumpe Gewalttäter. Was
ist von einem Mann zu halten, der meint, er müsse ein Mädchen erschießen, das bloß mit
einer Schultasche bewaffnet ist? Was ist von einem Kerl zu halten, dem selbst das nicht
gelingt, obwohl er mit einer Knarre durch die gegend rennt? Lächerliche Figuren,
kriminelle Handlungen. Das sollte sich in Europa durchsetzen können?
Wer dem Abendland etwas Gutes tun möchte, könnte sich ja
dort einreihen, wo Bildung zählt und Wißbegier honoriert wird. Gebildete, selbstbewußte
Menschen, die sich nicht für dumm verkaufen lassen oder Predigern nachlaufen, wie etwa
diesem Ex-Knacki von PEGIDA, der nun anderen erzählen möchte, was uns Sorge
machen solle, solche Menschen, die den Mumm haben, selbst zu denken, sind die beste
Rettungsmannschaft, besser gesagt: Bereitschaft, auf daß hier weltanschaulich nichts und
niemand gerettet werden müsse. |