3. August 2014

Ich kann mich nicht erinnern, wann der "Nahostkonflikt", also die Konfrontation Israel-Palästina, die Menschen in meiner Umgebung zuletzt so heftig beschäftigt hätte wie eben jetzt. Gestern erlebte ich auf Facebook eine massive Debatte, nachdem Autor Thomas Glavinic Henryk M. Broder zitiert hatte.

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Das war abschnittsweise von einer wuchtigen Polemik, auch von heftigen Abschätzigkeiten, bekam aber schließlich Seiten einer interessanten Diskussion. Ich mag Polemik, wo sie mit Esprit vorgebracht wird, was man Broder auf jeden Fall attestieren kann. Ich bestaune stets neu, wie schnell Menschen von Kritik an der Sache zur Kritik an der Person wechseln, wenn ihnen klar wird, daß die eigenen Ansichten gerade etwas unausgegoren erscheinen.

Ich hab in einem Eintrag vor einigen Tagen die Hamas eine Weltuntergangs-Sekte genannt. Wir haben so viele Erfahrungen anhäufen dürfen, wohin zornige junge Männer in Waffen gehen, wenn sich ihre Strategien und Mittel erschöpft haben, daß darüber nicht spekuliert werden muß.

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(Quelle: Kronenzeitung)

In der "Kronenzeitung" vom letzten Donnerstag bekamen wir jene Standardnummer des "Soldatischen Mannes" illustriert. Die angebliche Gier zu sterben, um einem "höheren Zweck" zu dienen, muß einer Gefolgschaft ja mühsam und aufwendig beigebracht werden. Sie ist eine Sache des Fußvolkes, befällt nur selten die Kommandeure. Sie ist außerdem ein Hauptmerkmal präfaschistischer Männerbünde. (Von Frauengruppen mit solchen Ambitionen habe ich noch nicht gehört.)

Wir kennen diese Attitüde, weil wir gefordert waren, den Faschismus hinter uns zu bringen. Also konnte, wer die Bereitschaft dazu aufbrachte, über Jahrzehnte an einer Reflexion teilnehmen, in der die strategischen, politischen, sozialen und psychologischen Mechanismen des Faschismus zu untersuchen waren.

Leute meiner Generation konnten außerdem während ihrer gesamten Biographie persönliche Erfahrungen sammeln, was autoritäre Strukturen sind. Der Kalte Krieg, in dem ich aufgewachsen bin, war reich an Beispielen der Bevormundung und der Indoktrination.

Postfaschistische und poststalinistische Konzepte kamen in Wechselwirkung mit ganz anderen Herrschaftsansprüchen, wie etwa jenen der USA, die wir rückblickend auch als nicht gerade zimperlich einschätzen dürfen.

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Kosova: Das Anwesen des getöteten Jashari-Clans
wurde als Gedenkstätte konserviert

Im Untergang Jugoslawiens konnten wir noch einmal überprüfen, ob uns die Mechanismen solcher Vorgänge klar sind. Das war nicht nur durch die laufende Berichterstattung möglich, an der wir zugleich einiges darüber herausfinden mußten, wie dieses "Informationsgeschäft" betrieben wird.

Mir reicht freilich der Boulevard nicht. Ich lese einschlägige Reflexionen vorzugsweise in den Texten von Autorinnen wie Dubravka Ugresic, von Autoren wie Nenad Popovic, auch von Publiziten wie Gregor Mayer oder Norbert Mappes-Niediek.

Wir hatten außerdem hinreichend Gelegenheit, an den Entwicklungen der letzten zwanzig Jahren zu beobachten, was aus Territorien wird, in denen massive ethnische Konflikte vorherrschen.

Das Kosovo hat eine Verfassung, die Fremdbestimmung inkludiert, was eigentlich grotesk ist. Offenbar ein Preis für die Befriedung; wenn man davon absieht, daß mir albanische Leute aus dem Kosovo sagen, die serbischen Leute würden sich dort nicht mehr lange halten, das Problem sei bald erledigt.

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Nordirland: "Das Bewaffnen, Trainieren und das Opfer der Volksarmee"

Ganz anders Bosnien und Herzegowina, wo es die Mehrfachversion eines Staates im Staate gibt. Das heißt, nationalstaatliche Autorität wird durch ethnische Formationen unterlaufen und somit letztlich alles an fruchtbarer Entwicklung weitgehend blockiert. Ein Fiasko im Dauerzustand, unter dem alle leiden. (Dazu kommt neuerdings eine irritierende Reislamisierung.)

Bosnien und Herzegowina scheint sich einer Mehrstaatenlösung zu entziehen. Die Streuung der Ethnien ist zu komplex, die menschenverachtenden "Ethnischen Säuberungen" waren der jüngste Versuch, das zu begradigen; ohne eine Lösung zu bringen.

Denke ich an die Konfrontation zwischen dem Staat Israel und der Weltuntergangs-Sekte Hamas, was aus sicherer und großer Entfernung geschieht, schiebe ich die Bilder getöteter Zivilpersonen erst einmal beiseite und lasse mich auch von den Fotos zerschlagener Kinder nicht ablenken.

All diese Bilder sind immer zweierlei: Evidenz einer menschlich generierten Katastrophe und Propagandamaterial. Mich beschäftigt in meinem sicheren und sonnigen Wohnzimmer die eine oder andere simple Frage. Eine habe ich im erwähnten Eintrag schon vorgelegt, nämlich die nach der Legitimation der Hamas.

Wer versichert mir, daß das geschundene palästinensische Volk von diesen Hunden des Krieges vertreten werden möchte, daß dieses Volk den Mitteln der Hamas zustimmt und daß diese Mittel auch nur einen der behaupteten Zwecke je erfüllen könnte?

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In Bosnien (hier Omarska) kämpften auch Mudschaheddin.
Von ihnen kam keinerlei politische Lösung.

Eine andere Frage von zentralem Gewicht: Welche Bedeutung und welche Wirkung kann eine Guerilla heute, in einer Welt, die sich als ein Gefüge von Nationalstaaten formiert hat, überhaupt erlangen?

Ich kenne aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa dafür nur zwei Beispiele im Zusammenhang mit Rebellen, die mir beide nicht verallgemeinerbar erscheinen. Die Eigenstaatlichkeit von Montenegro in der Sezession von Serbien hat einen Zwergenstaat hervorgebracht, dessen dominante politische Kraft dem organisierten Verbrechen und alten Clan-Modellen näher steht als dem, was wir uns unter einer Regierung vorstellen möchten.

Das Kosovo kannte in der UCK eine bewaffnete Befreiungsbewegung, die sich allerdings auch in reichlicher Nähe zum organisierten Verbrechen etabliert hatte. Überdies gab es da mit der Jashari-Familie eine charismatische Rebellenformation.

Im Unterschied zu vielen High Commanders diverser "Widerstandsbewegungen" ging Adem Jashari selbst mit seinen Leuten ganz bewußt in den Tod, nachdem er serbische Autoritäten zur Weißglut gebracht und als Guerillero bekämpft hatte.

Ich denke, diese Art der "Selbstaufopferung" nützt sicher den nationalen Narrativen eines albanisch geprägten Kosovo; da müßte ich eigentlich Kosova schreiben. Das hatte aber sicher keinen entschiedenen Effekt zur Staatsgründung, die ihrerseits nicht gerade einen souveränen Staat hervorgebracht hat.

Wenn ich also heute in den Nahen Osten blicke, stellt sich mir vor allem die Frage, wie sehr und wie tödlich eine bewaffnete "Befreiungsbewegung" einem ganzen Volk im Wege steht, wo Stabilität, Rechtssicherheit und Eigenstaatlichkeit angestrebt werden. Es stellt sich heute die Frage, wie sehr die Hamas selbst zu dem Problem gehört, das sie für "ihr" Volk zu lösen vorgibt.

Das sind übrigens auch Fragen, die teils implizit und teils explizit in unserem heurigen Kunstsymposion vorkommen: [link]

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