12. Mai 2014 Für weite
Teile Österreichs ist Andy Warhol umsonst gestorben. Auch wenn wir die Populärkultur
leben, die er und seinesgleichen als Pop Art entfacht haben, ist uns das nicht
geheuer.
(Quelle: Creative Commons by
GrapedApe)
Selbst wenn sich Spießer ihre Wohnzimmer mit billigen
Reproduktionen von Warhols Arbeiten dekorieren, Warhol sogar zu Handtaschen und
Einkaufssackerln verwurstet wird, selbst wenn derzeit etwa das "Selfie"
als Massenphänomen Warhols Konzepte bestätigt. (Andy Warhol: In the future,
everyone will be world-famous for 15 minutes.)
Zu diesem Thema lesenswert: Gary Comenas: "Andy Warhol
Pre-Pop"
Aber nicht bloß "Schwulen-Nervöse" und
Spießer haben Conchita Wurst, eine genuine Erbin von Warhols kulturellen
Innovationen, abenteuerlich angefochten. Auch Kulturschaffende stießen sich an diesem
kulturellen Phänomen und legten offen, daß ihnen Show-Biz, Entertainment und Popkultur
auf der Höhe der Zeit unheimlich sind. (Oder ist Österreich einfach zu klein für solche
Entwicklungen?)
Ausgerechnet ein verhaltensorigineller
Kabarettist, nämlich Alf Poier, exponierte sich als schrille "Mutter der
Schwulen-Nervösen" und entblößte sich auf mehrfach unappetitliche Art. Vor
allem die "Zumpferl-Frage" ist verräterisch.
Ich habe zwar das mediale Reüssieren der Drag Queen Wurst
mitbekommen, wäre aber bei all dem nie auf die Idee gekommen, darüber nachzudenken, a)
daß Conchita ein Zumpferl hat und b) was Conchita mit diesem Zumpferl
allenfalls anstellt. Poier: "Mit dieser verschwulten Zumpferl-Romantik kann ich
nichts anfangen." [Quelle]
Unsere Leute haben in der jüngeren Vergangenheit weit mehr
Schwule als Kabarettisten umgebracht. Es könnte also nicht zu viel verlangt sein, daß
sich Schwule nun ihre Plätze in öffentlicher Wahrnehmung ganz nach ihrer Facon erringen
möchten, ohne schon allein dafür gescholten zu werden, denn ich nehme an, da haben sie
uns Heteros gegenüber ein wenig höchst berechtigten Aufholbedarf.
Notiz mit Poier-Zitat auf Facebook
Daß Schwule viele Heteros nervös machen, halte ich für
evident. Aber die Motive dafür sind mir nicht klar. Es bleibt auch ein Rätsel, warum man
sich in Sachen "traditionelle Familie" von den paar schwulen uns
lesbischen Paaren im Land verunsichert oder überhaupt behelligt fühlt.
In "Katholisches Info" erhalte ich einen
Hinweis auf die Problemlage der Erregten: "Österreich wird gerade international
lächerlich gemacht. Man muß hinter die Kulissen blicken, um die Verantwortlichen
ausfindig zu machen, die im Showbusiness und staatlich geförderten Medien- und
Kulturbetrieb der Alpenrepublik für die Entblödung eines ganzen Landes verantwortlich
sind. Die Vertrottelungsstrategen haben zur Förderung der Homosexualität den
Transvestiten Tom 'Conchita Wurst' Neuwirth zum diesjährigen österreichischen Vertreter
beim Eurovisions Songcontest erkoren." [Quelle]
Die "Förderung der Homosexualität" ist
eine Unterstellung, an der selbst Altmeister Sigmund Freud viel Arbeit gehabt hätte. Man
ahnt langsam, ein schwächelndes Ego braucht mindestens ein Feindbild, vorzugsweise auch
noch eine Verschwörungstheorie, um wieder halbwegs auf die Beine zu kommen. Die oben
zitierten Kultur- und Sittenwächter zeigen übrigens ein typisches Manko:
Ohne klare Begriffe kann ich nicht klar
denken!
Man möchte allein schon aus dem ketegoialen Unterschied
zwischen "Entblödung" und dem vermutlich gemeinten "Verblödung"
Stoff für eine aufwendige Meditation beziehen. Das ist noch der mildestes Schwachpunkt
dieses katholischen Ausrittes.
Ich halte es übrigens für einen Ausdruck von besonderer
Niedertracht, wenn jemand Andersdenkende vorsätzlich pathologisiert, also für krank
erklärt.
So Poier, wo er feststellt: "Wenn jemand nicht
weiß, ob er ein Manderl oder ein Weiberl ist, dann gehört er eher zum Psychotherapeuten
als zum Song Contest." Oder: "Die schicken ein künstlich
hochgezüchtetes Monster hin."
Ich darf daran erinnern, daß Poier und ich einer
Generation angehören, die einst in den Nachrichten immer wieder davon erfuhr, daß in
manchen Ländern Künstler, Dissidenten, kritischer Geister aller Art in psychiatrische
Anstalten verfrachtet und dort nicht gerade freundlich verarztet wurden, um ihnen ihre
Eigenheiten auszutreiben.
Notiz auf Facebook
Ich halte es auch nicht für Zufall, daß die Bezeichnung "verschwult"
in Poiers Sprachschatz mich so sehr an das Schimpfwort "verjudet"
erinnert. Es ist das gleiche Denkmuster zur Herabwürdigung jener, die einem nicht passen.
Was Poier hier vor der Schlußveranstaltung des
Song Contests gedrechselt, gedreht und zum Abschuß auf Conchita Wurst
freigegeben, gefällig aufgelegt hat, ist absolut unannehmbar. Der Mann hat sich als
Ratgeber umfassend erledigt.
Nun noch ein paar Worte, um meine Position zu markieren,
von der aus ich diese Dinge betrachte. Die Musik von Conchita sowie des gesamten
Contest interessiert mich überhaupt nicht. Ich bin eher der Typ grantiger Verehrer des
grantigen Van Morrison.
Der Begriff "Singer-Songwriter" ist für mich an
Personen wie Chris Whitley gebunden, natürlich auch an His Bobness Dylan.
Ich höre lieber Otis Taylor als Otis Redding. Doch bei weiblichen Interpretinnen hielte
ich für möglich, daß Conchita an Etta James und Co. ebenso Gefallen findet wie
ich.
Was mir aber an Conchita Wurst aufgefallen ist,
und das hat mich neugierig gemacht: Kann singen, trifft die Töne, gestaltet ihre Songs
theatralisch, bewegt sich auf der Bühne äußerst gewandt uns versiert, sagt in
Interviews liebenswürdige bis geistreiche Dinge, bedient den Showbetrieb ebenso
zielsicher und unaufgeregt, wie den ganzen Medienapparat.
Das ergibt eine Menge Skills für so einen jungen Menschen
und ich komme sofort ins Grübeln, wenn ich sagen solle, wer das in Österreich noch alles
drauf hat. Fußnötchen: Conchita ist, wie Concha, ein Diminutiv des
Vornamens Concepción. Weiß ich zufällig, weil ich ein Faible für Concha
Buika hab: [link]
-- [The Track: Pop] -- |