15. Februar 2014 Ich
hoffe, meine bisherige Erörterung hat deutlich machen können, daß ich Faschismus für
ein sehr komplexes System halte, das nicht auf Teilphänomene reduziert werden sollte. Ich
finde es vorteilhaft, wenn man bei großen Systemen wenigstens einmal Teilbereiche
versteht.
Dabei muß eventuell anerkannt werden, daß wir Menschen
imstande sind, weit größere Systeme herzustellen als zu begreifen.
Der Satz verdient es, seine Quelle zu nennen. In einer "prometheischen
Scham" hätten wir uns die "Antiquiertheit des Menschen" einzugestehen.
Das stammt vom Philosophen Günther Anders, der sein Leben in Österreich beendete. Er
hatte einen Teil seiner Amerika-Erfahrungen in eine für mich wesentliche Medienkritik
umgesetzt. Auch seine Auseinandersetzung mit dem Faschismus oder mit den
Atombombenabwürfen über Japan waren für mich sehr bewegend.
Ich möchte annehmen, der Nazi-Faschismus sei von einer
Dimension und Monstrosität, daß er sich einer einigermaßen knappen Definition völlig
entzieht. Ich habe keinerlei Ehrgeiz, diese Art knapper Definition auch nur zu versuchen.
Ich will darüber erzählen und baue auf Geduld.
Kein Steinwurf schafft uns die Drohungen des Faschismus vom
Hals, sondern -- davon bin ich überzeugt -- ein ausdauerndes Entwerfen und Besetzen von
Gegenpositionen. Keine Attacke kann geritten oder gefahren werden. Es ist keine Schlacht.
Faschismus oder seine Gegenteile sind verschiedene Formen kollektiver Lebenspraxis, nicht
die "Tat" oder das "Verbrechen" eines Individuums.
Die Simplifizierung schreckt mich ab und verärgert mich.
So lese ich etwa in einem österreichischen "Antifa"-Dokument, die
exkulpierende Deutung der "Moskauer Deklaration" solle ein oder der
Grund für das Überleben des Antisemitismus sein: [Quelle] So einfach ist das? Was für ein Mumpitz!
Es war selbstverständlich eine beachtliche Fehlleistung,
Österreich durch jene Deklarations- Formulierung am Beginn des Dokumentes eine Hintertür
aus der Verantwortung anzubieten, aber das hat -- wie wir heute wissen -- ohnehin nicht
gehalten.
Und DAS soll die "Rettungsweste" des
Antisemitismus in Österreich gewesen sein? Liebe Leute! Dafür brauchte bei uns niemand
eine Moskauer Deklaration. Das ging auch so. Die Moskauer "Erklärung über
Österreich" vom 30. Oktober 1943, veröffentlicht am 1. November 1943; besagte:
"Die
Regierungen des Vereinigten Königreiches, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von
Amerika sind darin einer Meinung, daß Österreich, das erste freie Land, das der
typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer fallen sollte, von deutscher Herrschaft
befreit werden soll." (Der ganze Text in englischer Sprache: [link])
Rassismus und ganz speziell der Antisemitismus beziehen
ihre Kraft und Dauer aus ganz anderen Quellen als aus dem erwähnten Dokument. Dabei
scheinen sich Gundmuster international zu bewähren.
Das Irrationale dieser Geisteshaltungen ist notwendig und
konstituierend für ein so emotionales, sich jedem vernünftigen Einwand widersetzenden
Erhabenheitskonzeptes wie es der Faschismus darstellt. Um das zu illustrieren, werfe ich
einen Blick nach Amerika.
Der nicht gerade zimperliche Talkshow-Star
Jerry Springer betreibt alltäglich ein ziemlich kritikwürdiges Geschäft. Aber
zwischendurch nutzt er seine Popularität wie seinen Zugang zu einem großen Publikum für
eine Konfrontation mit Leuten vom Ku Klux Klan. Springer, der sich als Jude deklariert und in der Debatte auch postwendend
mit Begriffen a la "Judenbengel" bedacht wird, hat für Rassismus eine sehr
knappe Schilderung auf Vorrat: "Sie sagen nicht, daß sie besser sind als du,
weil sie etwas Besonderes können, sondern weil sie etwas Besonderes sind."
Springer greift gerne die weiße Haut als KKK- Beleg für
Gottes angeblichen Plan auf und fragt: "Gott hat auch verschiedene Haarfarben
gemacht. Warum gerade die Haut als Merkmal?" |
Moderator Jerry Springer
(Foto: Justin Hoch; Creative Commons) |
Oder er fragt: "Sollen demnach
kleine Leute nicht mit großen Leuten ausgehen?" Das ist natürlich alles
konkret unklärbar und "Gottes Plan" des Ku Klux Klan ist so stichhaltig wie
Hitlers "Vorsehung".
Allerdings muß ich auch heute noch manchmal erklären,
daß Jude zu sein keine biologischen Kriterien hat, sondern kulturell und sozial bedingt
ist. Es gibt keine "jüdische Rasse". Was aber die Biologie angeht, so
wissen wir heute, daß genetische Unterschiede INNERHALB einer Großgruppe größer sind
als ZWISCHEN verschiedenen Großgruppen. Rassismus ignoriert solche Fakten. Er braucht sie
nicht.
In Österreich hat der Antisemitismus eine lange und
detailreiche Tradition, die sehr wesentlich auch von der katholischen Kirche genutzt
wurde. Abschätzige "Türkenbilder" haben die Habsburger mehrere Jahrhunderte
innenpolitisch genutzt, auch damit wußte die Kirche etwas anzufangen.
Ich vermute, die antislawischen Ressentiments sind der
jüngste Rassismus-Komplex in unserer Kultur. Hier muß in der Steiermark natürlich das
Duo Rossegger-Kernstock genannt, dessen Rezeption bis heute von allerhand Kreidefresserei
geprägt ist.
Jaja, Rossegger wurde von den Nazi vereinnahmt und hatte
sich ihnen nicht selbst angedient, weil er zu deren Glanzzeit schon lange unter der Erde
lag. Aber warum wohl hatte man etliche seiner Texte nutzen können? Weil sie auf
rassistische Art Mitmenschen herabgewürdigt haben und weil es eben vor allem
Schriftsteller waren, die diese rassistischen Ressentiments unters Volk brachten.
Schriftsteller und Journalisten, um genauer zu sein, was
aber ohnehin oft in einer Person zusammenkam. Kein Faschismus ohne dieses Raunen, in dem
Mitmenschen zu Gegenmenschen umgedeutet und schließlich als Nichtmenschen ausgewiesen
werden, was sie definitiv zum Abschuß zurechtstellt. Ob in Österreich oder in Amerika,
ob in Afrika oder sonst wo, die Muster und Modi gleichen sich.
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