10. Februar 2014 Meine
Plauderei über Faschismus wirft offenbar Fragen auf, die dazu verlocken, kurze Antworten
abzuschicken. Ich muß um Geduld bitten, denn diese Plauderei IST schon die Antwort auf
anstehende Fragen. Ich sehe keinen weg, knappe, knackige Definitionen zu liefern, mit
denen gerüstet man sich gegen den Faschismus aufstellen könnte.
Andreas K. fragte zum Beispiel: "...gibts
überhaupt eine halbwegs (von allen Seiten) anerkannte Definition von Faschismus? Hab
über Wikipedia hinaus nix gscheites gefunden."
Et voilà! Es ist durchaus mit dem Thema Kunst
vergleichbar. Wir verfügen über keine Begriffe, die das ganze Phänomen in seiner
Vielfalt und seiner Prozeßhaftigkeit brauchbar fassen, wenn wir etwa den Zeitraum eines
Jahrhunderts betrachten.
Simplifizierung als Prinzip: Wo kann
ich nachlsen, was diese der
Rettung würdige, also bedrohte Kultur genau sei?
Es treten auch keinerlei Wahrheiten zutage, indem man
einfach Widersprüche zu eliminieren beginnt. Wir bleiben in der Sache auf ein laufende
Befassung und auf weiterführende Debatten angewiesen.
Im Falle des Faschismus möchte ich den Vergleich mit
organisiertem Verbrechen strapazieren. Die Nutznießer präfaschistischer und tyrannischer
Konzepte adaptieren ihre Methoden wie ihre Sprachregelungen laufend. Damit sind weder
gesetzgebende Instanzen noch gesellschaftliche Konventionen zur Ächtung der
Menschenverachtung je auf Augenhöhe mit den aktionsbezogenen Promotoren der Tyrannis.
Der historische Faschismus hat uns gelehrt,
wie extrem profitabel dieses "Pyramidenspiel" für eine kleine politische Elite
ist. Wir haben außerdem gesehen, welch enorme Wachstumsraten deren Anhängerschaft
entwickeln kann, wo Leute hoffen dürfen, persönlichen Vorteil und etwas Aufstieg
innerhalb der Pyramide zu erringen, wenn auch um den Preis, andere dafür ins Unglück zu
stürzen. So ein gesamtgesellschaftliches Werden, wie
es der Hitlerismus war, läßt sich nicht einfach mit wilden Horden erreichen. Das muß
auf symbolischer Ebene organisiert und auf rechtlicher wie ethischer Ebene legitimiert
werden.
Das bedeutet, die Junta mußte sich der Gefolgschaft
praktisch aller Funktionseliten versichern. Das läßt sich niemals bloß mit Waffengewalt
erwirken. dazu müssen sich "Leistungsträger" gänglen lassen, um sich aus
eigenen Stücken dem System anzuschließen. |
Riot: Bewaffneter Aufstand als
antifaschister Handlungsplan? Ich darf an Sinn und Nutzen zweifeln! |
Daher behaupte ich, eine Junta ohne
diese umfassende Rekrutierung der gesamten Gesellschaft ergibt keinen Faschismus. Dafür
genügen uns jederzeit Begriffe wie "autoritäres System" oder
"Diktatur" völlig.
Erst in jener umfassenden Kumpanei, in der herkömmliche
Wertsysteme tiefgreifen suspendiert wurden, um vor allem jene Bevölkerungskreise zu
markieren, die beraubt und/oder versklavt werden müssen, damit das tyrannische System
längerfristig genug Ressourcen zur Verfügung hat, bekommt der Faschismus seine Chance.
Fußnötchen: So tüchtig waren die Nazi nämlich nie, daß
ihr System aus eigener Kraft und "Leistung" funktioniert hätte.
Ich habe es schon angedeutet: Dazu mußten Millionen
Mitmenschen schrittweise zu Gegenmenschen und schließlich zu Nichtmenschen
umgedeutet, umgeschrieben werden. Ein Geschäft, um das sich übrigens Legionen
Kulturschaffender rissen oder dem sie sich wenigstens sehr bereitwillig andienten.
Wie schnell und vor allem umfassend sowas geht, konnten wir
uns übrigens in den jüngsten Kriegen Jugoslawiens ansehen. Dubravka Ugresic [link] hat in Die
Kultur der Lüge dargestellt, wie zügig eine wache Intelligenz sich
autoritären Machthabern anschließt, dann gleich effizient hilft, Feinde zu
definieren und zu markieren.
Sehr vertraute Vorgänge...
Damit will ich AUCH sagen: Wir verdanken den südslawischen
Leute tiefe Einblicke in die Mechanismen der Tyrannis, die ja heute keine anderen sind als
zu der Zeit, da meine Leute sich aufrafften Faschisten zu werden.
Das bedeutet, ich war als Kind Kräftespielen ausgesetzt,
war mit ideologischen und psychischen Phänomenen in Berührung, die ich als kleiner Bub
nicht verstehen konnte. Es hatte unweigerlich physische Gewalt zur Folge, als Kind diese
irritierenden Momente anzusprechen oder darauf merklich zu reagieren
Damit meine ich, Erwachsene, die in ihren eigenen
Widersprüchen, Momenten der Scham oder der Wut von Kindern behelligt wurden, schlugen
nicht einfach spontan zu, sie prügelten mit Ausdauer. Das war aber bloß ein Teil des
Arsenals, das sich über widerspenstige Kinder ergießen konnte.
Wenn wir seit einigen Jahren eigentlich nur mehr staunen
können, wie weitreichend das Ausmaß der einstigen Gewalt gegenüber Kindern in
kirchlichen und staatlichen Einrichtungen der Zweiten Republik war, dann hängt das mit
diese Kräftespielen und der aufgegangenen Saat des Faschismus zusammen.
Wenn nun in eben diesen Tagen die vielfältige Not der
Menschen in Bosnien-Herzegowina sich in Unruhen äußert, dann werden wir daran erinnert:
Das Autoritäre und Menschenverachtende kann in kürzester Frist zu Kriegshandlungen
führen, die Stunde der politischen Haßprediger und der Kriminellen kann sich sehr
schnell zu Jahren einer bleiernen Zeit auswachsen.
Damit möchte ich vor allem auch ausdrücken, daß der
Faschismus in seinen Konsequenzen heute allgegenwärtig ist und daß eine der wichtigsten
Gegenmaßnahmen BILDUNG ist. Wissen um Relationen und Zusammenhänge, um Prozesse und
Ablaufmuster.
Dieses Wissen kann nicht akademischen Kreisen oder anderen
Deutungseliten vorbehalten bleiben. Ich denke, ein ganzes Volk sollte bemüht sein, sich
Wissen darüber anzueignen.
Mit meinem Verweis auf Jugoslawien und auf die aktuellen
Unruhen in Bosnien-Herzegowina wollte ich deutlich machen: Die Grundmuster sind nicht neu,
die Methoden sind nicht neu. Von den Tätern und Opfern der jüngeren Vergangenheit, die
im Untergang Jugoslawiens ihre belastenden Erfahrungen gemacht haben, können wir sehr
viel darüber erfahren.
Und wir können in der Begegnung mit ihnen uns selbst
überprüfen, was wir allenfalls aus der eigenen Geschichte gelernt haben und was
eventuell noch offen oder von blinden Flecken verdeckt ist.
Auf dem Weg aus Sarajevo
Ich werde mich hier also in meinen weiteren Erörterungen
auch auf unsere südslawischen Nachbarn beziehen, die uns teilweise gerade vorleben, wie
einschlägige Verstrickungen funktionieren.
Was unterscheidet die Bosniaken, Kroaten und Serben
voneinander? Sie haben die gleiche Sprache. Und sonst? Es ist kompliziert. Nein, es ist
vor allem ideologisch überfrachtet und mit Ressentiments vernagelt. Die Traumata aus den
kaum verflossenen Kriegshandlungen scheinen Barrieren zementiert zu haben.
Einander konkurrenzierende und blockierende Interessensgruppen sind offenbar bis heute
rücksichtslos einer Konsolidierung des Landes im Wege gestanden. Es werden zum Teil die
gleichen Kräfte sein, von denen sich die verschiedenen Ethnien Bosniens in die tödlichen
Kontroversen treiben ließen.
Heute läßt sich in diversen Online-Foren nachlesen, wie viel Haß und
Schuldzuschreibungen nach wie vor mobilisierbar sind. Die umfassenden Frontstellungen
lassen sich kaum überbieten. Im letzten Krieg waren Kroaten und Serben einige Zeit
Alliierte und wollten darangehen, sich Bosnien aufzuteilen. So ist es aber nicht gekommen...
-- [Imperium] -- |