31. Jänner 2013 Was wir einander auf jeden Fall schulden?
Antworten. Da ist kaum eine größere Bürde, als es versteckte Intentionen sind.
Ich bin in jener Doppelbödigkeit
aufgewachsen, die sich eine illegitime Vorherrschaft offenbar zum Fundament machen muß.
Das war die Grundausstattung unzähliger Kinderstuben. (Sie werden in diesem Stil bis
heute nicht weniger geworden sein.)
Ich vermisse immer noch jenen breiten
gesellschaftlichen Konsens, der Eltern ächtet, die ihre Schutzbefohlenen demütigen, sie
auch schlagen. In diesem Mangel vermute ich jene Plage begründet, die momentan mehr und
mehr Thema öffentlicher Debatten wird: Gewalt und speziell sexuelle Übergriffe an
Frauen.
Die Demütigung und die Gewalttätigkeit sind
nicht verläßlich geächtet.
Ich habe hier vor einem Weilchen eine Debatte
hergeleitet, die kurz durch unseren Alltag gegeistert ist. Der Held. Der
Überschlallspringer. Zufällig auch ein Mann mit einer Schlägermentalität. Siehe dazu
den Eintrag vom 2. November 2012.
Was geschieht, wo er zugeschlagen hat? Es
kommt eine Menge Verständnis auf, selbst in meinem Milieu. Ich habe selbst zu viele
Schläge eingesteckt, ich verstehe auch etwas vom Austeilen. Undenkbar, daß ich diese
dummdreiste Heldeninszenierung kaufen würde: Der harte Bursche, wie er über Grenzen
geht, da darf man auch im Alltag andere Maßstäbe anlegen?
Nein, darf man nicht. Ich kenne die Emotion,
jemandem ein Kantholz in die Fresse schlagen zu wollen, sehr gut. In meiner
Körperlichkeit kann auch die unbewaffnete Hand an zarteren Menschen großen Schaden
anrichten. Da sind dann Entscheidungen fällig.
Die Gewalt ist ein weites Land und ich habe
nicht den geringsten Zweifel, daß in der Gewalttätigkeit ein enormes Suchtpotential
wohnt.
Wer sein Kind schlägt, sitzt im selben Boot
mit dumpfen Raufbolden und mit beherrschten, gut trainierten Folterknechten. Das sind
bloß verschiedene Positionen auf der gleichen Skala, die von Mißachtung zur Demütigung
reicht und von da zum Zerbrechen eines Menschen.
Das Zufassen auf dieser Skala muß keine
Spuren hinterlassen, wie es etwa nicht einmal die Haut rötet, wenn man einer Frau gegen
ihren Willen auf den Hintern greift. Der Effekt ist Teil der selben Partitur, an deren
anderem Ende jemand an der Folter zerbricht.
"Er muß lernen, wie hilflos er
ist", sagt Dan, der amerikanische Folterer, im ersten Teil von Kathryn Bigelows "Zero
Dark Thirty" (2013, Facts) Wir haben das schon von Jean Améry eindrucksvoll erfahren:
Niemand widersteht der Folter. Alle zerbrechen daran. Bei Bigelow sagt Dan zu Ammar: "So
sieht eine Niederlage aus, Bruder. Dein Dschihad ist vorbei."
Für mich war der erste Teil dieses Filmes so
verstörend, wie früher einmal der erste Teil eines Buches. Ivo Andric beschließt in "Die
Brücke über die Drina" das dritte Kapitel mit der vergleichbar präzisen
Schilderung einer Strafaktion, die mir in der Lektüre fast eine kaum überwindbare
Schelle zum Inneren des Buches wurde.
In unseren Kulturen gibt es keinerlei
Unklarheiten über alle Nuancen der Gewalttätigkeit. Dazu kommen in den Mitteln unserer
Massenkultur, mit den Erfahrungen, die wir bisher auf diesen Wegen gemacht haben,
Möglichkeiten der Ästhtetisierung von Gewalttätigkeit, davon haben die Akteure des
historischen Faschismus mutmaßlich noch nicht einmal geträumt.
Das Ideal des "soldatischen
Mannes" als soziokulturelles Erbe des 19. Jahrhunderts, im 20. Jahrhunderts auf
damals ungeahnte Art verfeinert und in seiner Wirkung potenziert, das verlangt noch eine
Menge Entscheidungen und gegebenenfalls eine Menge Arbeit, um es wenigstens annähernd zu
revidieren.
Das sind nun einige Windungen, Umwege, auf
denen ich über meine Familie nachdenke. Ich habe es hier gelegentlich schon angedeutet,
erwähnt, unter ihnen waren etliche abgebrühte Menschen, keine Mitläufer, sondern
Täter. Nutznießer der Tyrannis. Aber darüber reden meine Leute nicht... |