25. November 2012Ich hab im vorigen Eintrag
behauptet, wir seien alle "embedded
citizens" einer Massenkultur, einer massenmedialen Situation. Der laufende
Diskurs über diese Situation handelt unter anderem von der Annahme, daß es dabei
zweitrangig sei, ob jemand nun TV konsumiere oder nicht, Zeitungen lese oder nicht.
Ich vermute, wir sind nach den letzten fünf, sechs
Jahrzehnten überhaupt nicht mehr befähigt, die Welt und uns selbst anders als über die
von der Medienbranche entworfenen und geprägten Bilder zu sehen.
Aus der Cyberpunk-Literatur (Gibson, Sterling
etc.) bekamen wir Vorstellungen von Zuständen, denen die entsprechende Technologie ein
Stück weit folgte. Ich war in den 1980ern durch einen Artikel im Magazin "Der
Spiegel" auf diese Stoffe aufmerksam geworden.
In den Büchlein ist vom "Kyber-Space"
die Rede gewesen, daß man sich mit einem "Deck" einstöpselt, um in
die "Matrix" abzuhauen, also in den "!virtuellen Raum" binär
codierter Systeme. Was in den Jahren danach technisch machbar wurde, lieferte mir unter
anderem den Begriff "Immersion".
Das meint ungefähr einen Zustand, in dem der Leib in einer
Welt bleibt, die Wahrnehmung in einen anderen, eben virtuellen Raum eingeht,
weshalb man sich kognitiv an einem anderen Ort wähnt als man physisch
ist. (Gut, etwas von der Art hat auch schon das Lesen an mir bewirkt, da war ich noch ein
Kind.)
Aber wenn ich das Buch weggelegt hab, war ich wieder hier.
Ich möchte kurz bei dieser Metaphorik bleiben. In unserer Kultur gibt es das
"hier" kaum noch gegenüber jener durch Medienanwendungen generierten Realität.
Matthias Marschik
Matthias Marschik schreibt: "Die Medien definieren
die Umwelt, in der Identitäten geformt werden." Das Verhältnis zwischen Medien
und Individuen sei eines der Abhängigkeits- und Machtbeziehungen. (Kleiner Einschub:
Marschik hat mir inzwischen schon zugesagt, daß er zu einer Session nach Gleisdorf kommen
wird. Das ereignet sich dann 2013 im Rahmen von "the track: axiom".)
Wenn ich mich hier (und im Projekt-Logbuch) immer wieder
auf Emile Zola bezogen hab, der mein bevorzugtes Rollenmodell eines Intellektuellen ist,
dann erscheint das heute ziemlich romantisch. Ich halte dennoch daran fest, weil es mir
hilft, mich zu orientieren, wenn ich nach einem passablen Verhältnis zwischen Individuum,
Staat und Mediensituation frage.
Diese Zusammenhang ist für mich von zentraler Bedeutung:
Das Verhältnis zwischen Individuum, Staat und Mediensituation.
In diesem Zusammenhang erscheint es mir wichtig, daß es
Nischen qualifizierter Öffentlichkeit gibt, einer zivilen
Öffentlichkeit, die nicht vom Staat oder von den Companies generiert wurde und
kontrolliert wird. Für diese Nischen qualifizierter Öffentlichkeit sehe ich
sehr sehr wesentlich, wenn auch nicht ausschließlich meine Kolleginnen und Kollegen
zuständig, Kunst- und Kulturschaffende.
Das bedeutet übrigens NICHT, die künstlerische Arbeit
müsse diesen Aufgaben gewidmet sein. Die Freiheit der Kunst hat unangetastet zu
bleiben. Aber mit den Kompetenzen, die unsereins aus der Kunstpraxis bezieht, können wir
Verantwortung für den Erhalt solcher Nischen übernehmen.
Ich hab im vorigen Eintrag die Autorinnen Wogrolly und
Wolfmayr der Fälschung geziehen, hab behauptet, in exemplarisch genannten Arbeiten
ereigne sich eine Inszenierung unserer Zustände, die mit unseren Zuständen überhaupt
nichts mehr zu tun hätten.
Aber vielleicht muß ich auch zur Kenntnis nehmen, daß
Wogrolly und Wolfmayr gewissermaßen am Erhalt einer bestimmten "Matrix"
arbeiten, die zur Immersion einlädt, was so gesehen legitim wäre; ob ich dieses
spezielle Konstrukt für wünschenswert halte, bleibt eine andere Frage.
Wie zwischen Journalismus und Public Realtions zu
unterscheiden wäre, weil das doch verschiedene Metiers sind, darf ich künstlerische
Literatur und Trivialliteratur für verschiedene Genres halten, die wir über Kriterien
unterscheiden können.
Wenn mir nun Wogrolly Public Realtions auftischt, die sich
als Journalismus verkleiden, wenn Wolfmayr die Position der Kunst okkupiert, obwohl sie
Triviales liefert, dann hab ja vielleicht bloß ich ein Problem damit, mir da mehr
Trennschärfe zu wünschen.
Vielleicht läßt es sich auf die Art greifbarer machen: Exponierte
steirische Intelligenz besetzt sehr verschiedene Felder. Es wäre nun
Verhandlungssache, diese Felder zu bewerten, darüber zu reden, mit welchen Ressourcen und
welchem Maß an Öffentlichkeit sie jeweils bedacht sind, sein sollen.
Das hat jeweils Konsequenzen für jene Aspekte, die wir als
"zivile Öffentlichkeit" oder "gesellschaftliche
Realität" verstehen wollen. Dabei sehe ich zum Beispiel in unserem Landeskulturförderungsgesetz
klare Wertungen vorgenommen.
Unter "§ 1 Ziele und Aufgaben der Kultur und
Kunstförderung" sind "insbesondere folgende Ziele"
definiert, unter denen welche beispielsweise lauten: "die schöpferische
Selbstentfaltung jedes Menschen durch aktive kulturelle Kreativität und die Teilhabe
jedes Menschen am kulturellen und künstlerischen Prozess in jeder Region des Landes"
oder auch: "eine zum Verständnis und zur Kritik befähigte
Öffentlichkeit". [Quelle]
Nun wäre zu präzisieren: Ich kann keinen Einwand dagegen
finden, daß Wogrolly und Wolfmayr tun was sie tun, das muß ihnen freistehen. Aber ich
hab enorme Einwände gegen das, wie sie es verkaufen und als was sie es verkaufen. Das ist
eine ziemlich kühne, geradezu räuberische Art von Guerilla Marketing.
Zum näheren Verständnis ein Vergleich. Die industrielle
Landwirtschaft beraubt die bäuerliche Landwirtschaft ihrer Bilder und vermarktet damit
ihre eigenen (industriellen) Produkte, wobei sie die bäuerliche Konkurrenz nach Kräften
an die Wand drückt.
Wenn Sie heute im Facebook nachsehen, wird ihnen
da etwa Wolfmayr als freischaffende Autorin entgegentreten, also selbstständig.
Das ist natürlich auch Inszenierung.
Sie war zuerst Buchhändlerin im Gleisdorfer Geschäft
ihrer Tante. Dann ebnete ihre Mutter über Waltraud Klasnic den Weg ins Parlament, wo
Wolfmayr Kultursprecherin der ÖVP wurde. Heute ist sie Bedienstete in der Kulturabteilung
der Stadt Graz und wartet da gerade auf ihre Pensionierung.
Das sind also zwei sehr verschiedene Arten, ihre und meine,
freischaffend, selbstständig zu sein. Davon ist nun auch ein Thema berührt, das ich hier
schon eine Weile zu forcieren versuche. Die langjährige Abwertung von Wissensarbeit.
Wie soll ich für mein Metier und meinen Status geltend
machen, daß angemessene Bezahlung aus sozialen und aus demokratiepolitischen
Gründen unverzichtbar sei? Es gibt ja in der Steiermark genug andere, die in
völlig anderen Verhältnissen leben, ganz andere Arbeit liefern, aber die Bilder meines
Metiers okkupieren und diesen Job scheinbar machen... |