3. Oktober 2012

Noch im 19. Jahrhundert galten Hosen an Frauen als absolut skandalös, wurden aber im Theater als erotische Sensation erlebt. Bis über die Mitte jenes Jahrhunderts waren gut situierte Frauen derart verpackt, verschnürt, mit vielen Schichten Stoff bedeckt, das möchte man aus heutiger Sicht gar nicht glauben.

Ich sehe mir diese Angelegenheiten gerade etwas genauer an, weil die Geschichte individueller Mobilität über das Fahrrad Veränderungen in den Frauenleben bewirkt hat, die ganz erstaunlich sind. Ich bleibe hier vorerst noch bei einigen Stichworten.

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Aus der "Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode", Jahrgang 1842

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts waren sogenannte "Reformkleider" verfügbar, die eine Gegenposition zum Verschnüren der Leiber boten, aber vielfach noch als "Reformsack" abgelehnt wurden.

Die Verbreitung von Fahrrädern bekam ab etwa 1890 reichlich Schwung, da sogenannte "Niederräder" ("Safeties") das Fahren sicherer machten, denn die vorher gängigen Hochräder waren sehr gefährliche Vehikel.

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Kleiner Eischub: Diese Werbung für ein linderndes Einreibemittel wurde 1897 auf jeden Fall so verstanden, daß es den Kerl nicht aufs Maul haut, weil er etwa ein Tölpel auf dem Fahrrad sei, sondern weil er eine Frau in hochgerutschten "Bloomers" sieht, einer Art der Pluderhosen, die selbst dann als Ärgernis empfunden wurden, wenn sie bis zum Knöchel reichten.

Das Fahrradfahren und der Erste Weltkrieg ebneten den Frauenhosen die Wege. Im einen Fall waren es sportliche Anforderungen, im anderen die Arbeitswelt, in der Frauen in ganz neuem Umfang Platz fanden, weil die Männer damit beschäftigt waren, einander für Gott, Kaiser und Vaterland umzubringen.

Frauen in Fabriken, diensttuende Frauen in Straßen- und Eisenbahnen, Frauen in diesen und jenen Aufgabengebieten, wo etwa winters eine Hose jedem Rock gegenüber Vorteile hatte, auf die Dienstgeber nicht verzichten konnten.

Daß die Frage, wer in einer Beziehung die Hosen anhabe, noch in meinen Jugendtagen Gewicht hatte, müßte eigentlich überraschen. In meiner Kinderzeit waren Hosenanzüge an Frauen keineswegs unangefochten. Allein die unterscheidende Sprachregelung fällt auf. Männer trugen Anzüge, Frauen Hosenanzüge.

Ein besonders heikler Punkt war in all dem die Frage der individuellen, der persönlichen Mobilität. Daß Frauen ihren Bewegungsradius nach Belieben ausdehnen könnten, schien den meisten Männern gar nicht zu gefallen.

Wenn wir uns heute an einigen Teilen muslimsicher Communities daran stoßen, daß sie ihren Frauen in der Bekleidung Vorschriften machen und sie im Ausgang einschränken, haben wir nicht nur die jüngsten hundert Jahre aus unserer Wahrnehmung gestrichen.

Ich erinnere mich beispielsweise sehr gut, welche Widerstände vor rund 15 Jahren eine Kulturarbeiterin erleben konnte, wenn sie etwa Bergbäuerinnen im Pinzgau auch nur abendweise aus derlei Restriktionen loseisen wollte.

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Ein Fahrrad "Graziosa Chainless" und der "Albl Phönix" von 1902

Das "Graziosa Chainless" von 1899, wie man es oben im Vordergrund sieht, war ein Glanzstück der frühlen steirischen Fahrradindustrie und ein teures Fahrzeug, das sich breite Schichten nicht leisten konnten. Details zu diesem Fahrrad: [link]

Dahinter steht das älteste fahrbereite Auto aus Graz, der "Albl Phönix", 1902 gebaut. Mit den Autos dauerte es bis nach dem Zweiten Weltkrieg, um preiswerte Fahrzeuge zur Massenmotorisierung anbieten zu können. Frauen suchten natürlich von Anfang an, solche Fahrzeuge nutzen zu können.

Bis in meine Jugendtage hielt sich sehr vehement die Meinung, Frauen seien generell schlechtere Autofahrerinnen als Männer. (Die aktuellen Versicherungsstatistiken besagen freilich das genaue Gegenteil.)

Nun kann auch das Auto wie Bekleidung gedeutet werden. Man zieht es sich sozusagen komplett über und es hat weit mehr Aufgaben wie Zwecke als bloß jene des Transports. So will gleichermaßen mit Kleidung nicht bloß Nacktheit bedeckt und vor dem Wetter geschützt werden.

Beides aber, Fahrzeugwesen und Bekleidung, wurden bei uns lange Zeit genutzt, um die Bewegungsfreiheit von Frauen radikal einzuengen. So gesehen scheint es mir sehr interessant, auf beiden Feldern zu betrachten, wie sich Frauen während der letzten rund 150 Jahre gegen diese Barrieren durchgesetzt haben.

-- [Gefolgschaft des Ikarus] --

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