10. April 2012

Das Grasfressen liegt uns Menschen nicht. Gut, Getreide ist, wenn man es genau betrachtet, veredeltes Wildgras. Das waren unendlich lange Prozesse menschlicher Kulturarbeit, um aus verschiedensten Gräsern etwas zu züchten, was uns zuträglich ist.

In diesem Zusammenhang wird deutlich, was uns die Rinder sind. Sie liefern aus der Grasfresserei Milch, Fleisch, Häute und... Zugkraft. Wenn ich den vorigen Eintrag mit der Bemerkung beschlossen hab, ein Motor sei eine Maschine, die beliebige Energieformen in Bewegungsenergie umsetzt, dann wird anschaulich, daß bei uns die Rinder gewissermaßen Vorläufer der Motoren waren.

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Zugegeben, das ist jetzt ein wenig polemisch verkürzt. Aber Sonnenenergie, Photosynthese, Wasser, gedeihendes Gras, das von Rindern abgeweidet wird, das gemächliche Geschäft der Wiederkäuer, um sozusagen das Sonnenlicht, wie es in Gräsern gespeichert wurde, umzusetzen... als etwas poetische Skizze kommt das schon hin, den größeren Zusammenhang zu verdeutlichen.

Kleine und bescheidene Wirtschaften, wie ich sie im Kosovo gesehen hab (Foto oben), in denen eine einzelne Kuh schon einen guten Status bedeutet, waren etwa das, was vor gar nicht so langer Zeit auch hier in der Oststeiermark einen sehr passablen Stand der Dinge ausdrückte und doch einem Großteil der Bevölkerung unerreichbar blieb.

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Der kleine Leiterwagen aus meiner Sammlung repräsentiert da schon ein nächstes soziales und technologisches Niveau. Rinder als Zugtiere waren gewissermaßen die Basisausstattung, wenn es um Fuhrdienste ging, zu denen leibeigene Bauern der Herrschaft verpflichtet waren. Konnte ein Bauer zum Rind ein Pferd dazuspannen, fuhr er Mittelklasse. Ein reines Pferdegespann war eindeutig Oberklasse.

Was den Wagen vom Karren unterscheidet, ist die lenkbare gegenüber der starren Vorderachse. Die Erfindung des "Drehschemels", der über die lange Deichsel bewegt wurde und die Vorderräder in die gewünchte Fahrtrichtung schwenkbar machte, war also ein enormer Fortschritt im Fahrzeugbau.

Doch ein anderer Technologiesprung ist in der Sache ebenso grundlegend gewesen. Das Kummet, ein gepolstertes Geschirr, in das Zugtiere gespannt werden, ermöglicht eine bessere Verteilung der Last auf den Tierkörper als das ältere Joch. Damit ergibt sich beim Ziehen von Lasten eine größere Energie-Ausbeute.

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Hier sieht man gut, wie das Pferd im Geschirr (Kummet) steht, die Belastung sich so auf Brust und Schulter verteilen kann. Das Tier hat mir einen recht klapprigen Eindruck gemacht. Als Wohlstandskind mußte ich mir erst erklären lassen, daß man bei Herr und Pferd eben schnell die Rippen sieht, wenn es nicht ausreichend kräftiges Futter gibt.

Das Thema Verkehr berührt stets auch das Thema Ernährungssouveränität. Welche Bedeutung Zugtiere haben und schließlich die Maschinisierung der Landwirtschaft, wie sie in Österreich erst nach dem Zweiten Weltkrieg Standard wurde, mag folgende Passage aus einem Buch von Choplin, Stricker und Trouvé verdeutlichen:

"Von weltweit rund 1,33 Milliarden in der Landwirtschat Tätigen arbeiten 1 Milliarde von Hand, 300 Millionen mit Zugtieren und nur 30 Millionen mit Maschinen. Die landwirtschaftliche Arbeitsproduktivität ist in manchen Regionen des Nordens um bis zu 200-mal höher als in südlichen Regionen."

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Auf dem kosovarischen Dulje-Pass ist die Landschaft durch den Krieg und seine Folgen völlig verwildert, "verbuscht". Da läßt sich mit Rindern nichts anfangen. Die Gegend muß erst einmal mit Ziegen und Schafen bewirtschaftet werden, die wegfressen, was kein Rind verdauen würde, um den Gräsern Platz zu machen, mit denen wieder Weidewirtschaft möglich würde.

Im oben erwähnten Buch steht: "Zwei Drittel der Menschen, die weltweit Hunger leiden, sind Bauern und Bäuerinnen." Ich erwähne diese Dinge, um einen wenigstens flüchtigen Eindruck zu erwecken, vor welchem sozialen Hintergrund der individuelle Besitz von Kraftfahrzeugen eine Sonderstellung ausdrückt.

Die Erwartung, daß eine ganze Massengesellschaft individuelle Mobilität auf der Basis von privaten Kraftfahrzeugen für selbstverständlich halten dürfte, erweist sich so als ziemlich exklusive Phantasie, die, wo sie aggressiv vertreten wird, eine Menge Erklärungsbedarf aufwirft; und energische Fragen nach Verteilungsgerechtigkeit.

Das sind natürlich Überlegungen auf der Seite der Vernunft. Die Nutzung und der Besitz von Vehikeln ist aber schon in unseren abendländischen Mythen inszeniert worden, wir haben also eine unendlich lange Vorgeschichte der emotionalen Zugänge, der ideologisch aufgeladenen Betrachtungen des Themas Fahrzeuge, also reicher Zugänge jenseits der Vernunft.

[Die Gefolgschaft des Ikarus]

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