9. April 2012 Meine bisherige Plauderei in der Themenleiste "Die
Gefolgschaft des Ikarus" [link] war stark auf das Thema Stromlinie konzentriert; mit
einem Fokus auf die 1930er-Jahre. Dieses Gestaltungskonzept war ursprünglich an einem
technischen Anliegen orientiert. Es ging darum, den Luftwiderstand von Vehikeln zu
verringern.
Doch sehr schnell überwog in der Massenproduktion eine
Tendenz des visuellen Repräsentierens und Inszenierens von Geschwindigkeit und Fortschritt.
Das waren große Themen der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, verbunden mit enormen
Erwartungen, das Massenelend der breiten Bevölkerung werde verläßlich aufgehoben werden
können.
Nur für reiche Leute möglich: So
warb PUCH GRAZ im Dezember 1916
in der "Allgemeinen Automobil Zeitung"
Schon im 19. Jahrhundert war das äußerst karge und harte
Leben in der agrarischen Welt für jene Menschen, die in Zentren abwanderten und der
Industrie als neue Arbeitskräfte dienten, keineswegs leichter und angenehmer geworden.
Der Erste Weltkrieg, von Österreichs
Habsburgern losgetreten, von Deutschlands Hohenzollern mit enormem Nachdruck forciert,
hatte den Menschen zum vertrauten Mangel noch gehörigen Schrecken und völlig neue
Traumata verschafft. Erlebte Gräuel, große Not,
Kriegsreparationen und eine Mittelschicht, welche ihre Vermögen Großteils über
Kriegsanleihen eingebüßt hatte, ergaben einige der Gründe, warum der Automobilismus
noch über den Zweiten Weltkrieg hinaus die Annehmlichkeit wohlhabender Minoritäten
blieb.
Somit war das Luxusgut Automobil auch Anlaß für
allerhand soziale Spannungen. Noch während der Nazizeit war ohnehin nur ein Bruchteil der
Autos in Privatbesitz. Das meiste waren Behördenfahrzeuge bzw. Firmenfahrzeuge. Wir leben
also mit unserem selbstverständlichen Automobilbesitz ein historische sehr junges
Phänomen. |
PUCH
GRAZ, Oktober 1917, in der
"Allgemeinen Automobil Zeitung" |
Ich werde am kommenden Samstag
im Rahmen unseres "April-Festivals" das Thema "Gehen, reiten,
fahren" referieren, um einen kleinen historischen Überblick zu geben, was es
mit diesen Themen auf sich hat: [link]
Die Geschichte der Mobilität war nie
nur eines der Technik und der Wirtschaft. Sie ist seit Menschengedenken auch in den Mythen
präsent. Europas Kulturgeschichte, soweit sie auf griechischen Wurzeln beruht, hat im
Schmied Hephaistos einen göttlichen Handwerker und Fahrzeugbauer.
Hephaistos baute den Sonnenwagen des Helios,
mit dem Phaeton bei einer Ausfahrt als Raser tödlich verunglückte. Daedalus
und Ikarus repräsentieren die Bezwingung des Raumes und der Distanz, wobei Daedalus
den findigen Handwerker und vernünftigen Flieger verkörpert. Ikarus ist dagegen
der waghalsige Himmelsstürmer, der den Tod in Kauf nimmt und findet, um neue Grenzen zu
erreichen, zu überschreiten.
Charon ist der Fährmann, dem man
Fuhrlohn schuldet, damit er einen am Totenfluß übersetzt. Und allen voran verkörperte Hermes
(Merkur) den Eiligen und Heiligen, dem nie genügte, was die bloße Kraft der Beine
möglich machte. Hut oder Helm, Schultern und Schuhe hatten bei ihm Flügel. Hermes war
Schutzgott des Verkehrs und der Kaufleute sowie generell der Reisenden. Er war außerdem
Patron der Hirten und -- wie bemerkenswert -- jener der Diebe und der Kunsthändler.
Die Mobilitätsgeschichte der Menschen ist
stark von der Symbiose mit Pferden geprägt. Doch ganz generell waren verfügbare Zugtiere
oft entscheidend, welche technologischen und sozialen Entwicklungsschritte als jeweils
nächste nahe lagen.
Funde lassen annehmen, daß längst bevor etwa
in der Mitte des vierten vorchristlichen Jahrtausends das Wagenrad erfunden war,
schon im fünften Jahrtausend vor Christus die Töpferscheibe das Prinzip von Rad
und Achse im Zusammenspiel erproben ließ.
Die älteste uns bekannte Darstellung eines
Karrens mit Rädern befindet sich auf Tonscherben, die bei Bronocice in Polen
gefunden wurden. Der Krug wurde auf etwa 3550 vor Christus datiert. Es war also noch ein
sehr weiter Weg, bis aus Karren mit starren Achsen lenkbare Wagen wurden. Und es
dauerte noch sehr viel länger, bis Energie gezielt eingesetzt werden konnte, um Motoren
zu befeuern, so daß der Antrieb von Wagen über die Muskelkraft von Menschen und Tieren
hinaus kam.
Apropos! Unter einem MOTOR wird eine Maschine
verstanden, die beliebige Energieformen in Bewegungsenergie umsetzt...
[Die Gefolgschaft des Ikarus] |