3. Februar 2012 In meiner
Notiz zum 1er-Cover [link]
für diesen Themenbereich spielt der Begriff "Stromlinie" eine wichtige
Rolle. Das war spätestens in den 1920er-Jahren ein kulturelles Motiv, von dem viele
Bereiche des Lebens durchdrungen wurden. Da hat sich über "rollendes Art
Deco" und ähnliche Phänomene ein "Beschleunigungs-Kult"
angebahnt, der bis heute nicht verebbt ist..
Der 1917er Miller "Golden Sub", den ich
als erstes Cover-Motiv gewählt habe, war ein technischer Vorbote dieser Entwicklung. Der
Erste Weltkrieg prägte den wachsenden Maschinenkult sehr grundlegend.
Das Ideal Stromlinie hatte auch ein bevorzugte Material. Aluminium.
Dieses Metall ist erst seit dem frühen 19. Jahrhundert bekannt. Weich, zugfest, von
prächtiger Oberfläche. Und vor allem sehr leicht. Es ist allerdings schwieriger zu
verarbeiten als etwa Stahl.
Beschleunigung hat also ihre ästhetischen Konzepte und
speziellen Erscheinungsformen. Über die Massenfertigung ist das merklich verflacht. Was
damals reichen Exzentrikern und Desperados vorbehalten war, wurde in der Massenkultur
verdünnt, verwässert. Das schrieb schließlich auch dem Handwerk einen völlig anderen
Rang zu.
Handwerk und Kunst. Diese zwei Themen und
ihre Beziehungen untereinander interessieren mich sehr. Während der Renaissance änderten
sich in der westlichen Kultur einige Auffassungen gründlich. Künstler begannen, als
einzelne Persönlichkeiten hervorzutreten, sich einen speziellen Nimbus zu geben. Die Kunst trennte sich vom Handwerk und erhob sich über das
Handwerk.
Kulturphilosoph Richard Sennett deutet Prozesse, in denen
der Kopf eine angebliche Überlegenheit gegenüber der Hand zugeschrieben bekam, als den
Ausdruck des menschlichen Wunsches nach etwas Dauerhaftem im ständigen Zerfall der
materiellen Dinge.
Dabei erscheint kurios, daß sich beispielsweise in der
Musik ab dem 18. Jahrhundert der Typ des Virtuosen etablierte. Handfertigkeit und
technische Meisterschaft begannen zu dominieren. |
Die vollständige Seite 31 der "Allgemeinen
Automobilzeitung" vom 19. August 1917 zeigt zwei Streamliner in der
Steilwandkurve und am Himmel einen Dreidecker, umreißt also ein damals mögliches Maximum
an Dynamik. (Details) |
Man könnte auch sagen: Das war die Rache
des Handwerks an der hochnäsigen Kunst. Mitte des 19. Jahrhhunderts hatten die Virtuosen
eine harte Grenze zwischen sich und dem Publikum gezogen, wahlweise zwischen sich und
weniger trainierten Leuten. Der meisterhafte Virtuose ist ein Akteur, dem ein still
gewordenes Publikum andächtig folgt.
Die Pose ist bekannt. Dem künstlerisch und handwerklich
herausragend entwickelten Künstler steht (oder sitzt) ein völlig passives Publikum
gegenüber. Die nachteiligen Konsequenzen dieser Entwicklung kennen wir bis zum heutigen
Tag. (Stichwort: Partizipation versus Konsumation.)
Sennets Buch über das Handwerk ist eine Analyse jener
Prozesse und Zusammenhänge. Daraus ergeben sich übrigens auch einige kulturpolitische
Argumente, die gegenwärtig zu verhandeln wären.
Wir haben im kulturellen Geschehen der Region nun zwei
Optionen in Wechselwirkung gebracht, eine sachlich konsequente Untersuchung solcher
Zusammenhänge und zugleich emotionale Zugänge, etwa mit unserem "Kuratorium für triviale Mythen".
Erst das Amalgam dieser Möglichkeiten bietet mir den
angemessenen Ereignisraum, in dem ausreichend verschiedene, sehr kontrastreiche
Akteurinnen und Akteure zusammenfinden können, damit wir in der Sache vorankommen. Das
hat nun auch eine konsequent verfolgte Arbeitsebene im Bereich der Kooperation "Kunst
Wirtschaft Wissenschaft": [link]
Damit will ich deutlich machen, daß wir uns hier einer
Materie widmen, die so komplex ist, da scheint es einerseits naheliegend, verschiedene
Teilthemen kühn zu kombinieren, da ist es andrerseits unverzichtbar, mit offenen Enden zu
arbeiten und Lücken zu ertragen.
Dieses hinter uns liegende 20. Jahrhundert ist von
einschüchternder Komplexität und von einem steigenden Tempo durchwirkt, wie wohl kaum
eine Epoche zuvor. Mobilitätsgeschichte ist dabei eines der Schlüsselthemen, um zu
begreifen, was da gelaufen ist und wie wir dort ankamen, wo wir eben stehen.
[Die Gefolgschaft des Ikarus] |