12. Dezember 2011

Ich bin vernarrt in Sozialgeschichte. Sie erzählt nicht von den Fürsten und Päpsten, sondern von all den Menschen, die den Lauf der Dinge tatsächlich bewegen. Unsere besten und unsere düstersten Seiten zeigen sich in unseren Unternehmungen. Was immer eine Gesellschaft zum Gedeihen bringt, verlangt im Kern meistens, daß es uns gelingt, sehr unterschiedliche Talente und Intentionen in fruchtbare Wechselwirkung zu bringen.

Selbst geniale Leistungen einzelner Personen, die durch ihr Tun hervorragen, beruhten doch in den meisten Fällen auf reichen Vorleistungen anderer. Auf solchen Fundamenten entsteht gelegentlich ganz Neues.

Das ist einer der Gründe, warum ich gerne mit kulturellen Vorhaben an Orte der Arbeitswelt gehe. Dort hat das Geistige sehr greifbaren Strukturen. Dort drückt sich das Geschehen in Formen aus, die wir im Alltag oft nicht kennen.

Wenn Sie eine Autowerkstatt, eine Fabrik für Elektromotoren, ein Ingenieursbüro oder ein Handelshaus einmal nicht bloß als Quellen von Gütern und Dienstleistungen betrachten, sondern auch als materiellen Ausdruck komplexer Entwicklungen des menschlichen Tuns, stellen sich mitunter sehr kuriose ästhetische Erfahrungen ein.

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Von links: Moderatorin Gerda Strobl ("Die Rabtaldirndln"), Martin Krusche ("kunst ost")
und Dietmar Seiler ("regionale10"), Foto: Franz Sattler

Es war in der Anbahnung etwas anstrengend, aber im Ergebnis sehr vergnüglich, als wir eine ganze Kulturkonferenz mit der damaligen Landeskulturreferentin Bettina Vollath in eine Autowerkstatt gepackt haben.

Es war irritierend, als wir eine der weltweit bedeutendsten Konzeptkunstformationen, die "Kollektiven Aktionen" aus Moskau, in ein Ingenieursbüro gebracht haben. Das sind Zugänge, die manchen Menschen fragen lassen: Und? Wo ist jetzt das Eigentliche? Oder war das schon alles?

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Von links: Sergej Letov, Mirjana Peitler-Selakov,
Sabine Hänsgen und Sergej Romashko in Gleisdorf

Es ist für mich manchmal geradezu verstörend, wie konventionell die Vorstellungen vieler Leute ausgerichtet sind, wenn es um Kunst geht. Der Wunsch nach Repräsentation in einer geselligen Inszenierung dominiert. (Ich weiß natürlich ein gutes Buffet und angenehme Gesellschaft auch zu schätzen.)

Aber ich bin heute sicher, daß wir den Ausstellungs- und Repräsentationsbetrieb einiges zurücknehmen müssen, um mehr Platz und Ressourcen für inhaltliche Arbeit und andere Ereignisformen zu schaffen. Ich hab im gestrigen Eintrag den Kunstsammler Erich Wolf erwähnt.

Wir sind gerade an der Schwelle, nächsten Herbst eine große Kunst-Veranstaltung in den Räumen eines großen Stahlbaubetriebes unterzubringen. Ein Schuppen, in dem armdicke Stahlplatten und andere massive Hardware verarbeitet werden.

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Ich mag die Vorstellung, daß wir unsere Angelegenheiten in einem Ambiente bearbeiten, welches von vollkommen anderen Zusammenhängen dominiert ist. Das handelt AUCH von der Idee, wir sollten höchst unterschiedliche Lebenswelten, in denen sich Alltagsbewältigung ereignet, durch realen Besuch kennenlernen, wenigstens einmal SEHEN.

Konkrete Anschauung. Das erachte ich als ein unverzichtbares Grundereignis in einer Welt, die uns praktisch täglich medial vermittelte Falschmünzerei aufdrängt, in der uns Täuschungen aller Art zugemutet werden, als wäre nichts dabei.

Es hat freilich auch ein paar pragmatische Gründe. Niemand stellt uns in der "Provinz" einen White Cube hin, finanziert uns dessen ganzjährigen Betrieb mit der Empfehlung "macht's nur!" Was etwa das Grazer "Künstlerhaus" sein könnte, wäre hier in der Region eher undenkbar.

Deshalb machen wir hier andere Dinge, pflegen eventuell andere Zugänge und suchen Lösungen, die vermutlich in Graz nicht so naheliegend wären. Was uns jener Plattform für steirische Gegenwartskunst einige Schritte näherbringt, die konzeptionell so weit klar ist, deren Umsetzung wir nun betreiben: [link]

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