1. November 2011 Monatswende.
Miete fällig. Finanzamt und Sozialversicherung habe ich gestern schon bedient. Der Staat
läßt mich an öffentlichen Geldern verdienen und nimmt mir fast die Hälfte davon gleich
wieder weg. Lustiges Konzept.
Aber das wird natürlich nicht das dominierende Thema
meines Tages sein. Redet man mit Menschen, die einen etwas an sich heranlassen, hört man
erstaunliche Dinge. Es scheint gar nicht sehr sichtbar zu sein, wie hart die Krisen der
jüngeren Vergangenheit an manchen Stellen durchgeschlagen haben. Quer durch alle Milieus.
Ab da scheinen sich die Wege zu gabeln. In jene Fraktion,
die das Räsonieren für eine adäquate Reaktion hält, und in jene, mit denen ich über
Strategien zu Lösungen reden kann, auch über die Jobs, die jetzt zu tun sind, damit sich
was ändert.
In unseren lebhaften Zeiten werden sehr unterschiedliche
Ansichten laut und sehr unterschiedliche Lösungsansätze gesucht werden. Antwortvielfalt!
Ich kenne zur Zeit eher nur aus dem Sozialbereich Klartext, wo Schritte an die
Öffentlichkeit mit Fakten und kohärenten Arbeitspapieren unterlegt sind. Im
Kulturbereich suche ich so ein "Gesamtpaket" vorerst vergebens. Der Kunstdiskurs
findet nicht statt, eine konsequente Darstellung der eigenen Situation(en) unterbleibt, es
dominieren Obskurantismus und Wehklagen.
Kürzlich gab es in Graz einen "Tag
der Empörung". Wir hatten am 15. Oktober grade unsere Session bei "Treci
Beograd" [link],
also ließ ich mir die Sache von einem Freund, der dort war, schildern. Sein subjektiver
Eindruck: Nachmittags wurde vor allem in Grüppchen herumgestanden, als am Abend Stephane
Hessél kurz auftrat, wurde es dann richtig lebhaft. Das
meiste, was ich an Nachhall dieses Tages finden konnte, waren Bilder, die belegten, daß
sich Leute mit dem Star des Abends hatten fotografieren lassen. Diskursmäßig scheint
nichts vorangekommen zu sein. Resoluten, Strategiepapiere, Handlungspläne? Kenne ich
bisher noch immer keine. |
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All die verfügbare Kraft
scheint sich in der Äußerung von Empörung zu erschöpfen. Aber ich sehe das sicher zu
pessimistisch. Bei Gerlinde Knaus las ich gerade an einer Stelle zu solchen
Zusammenhängen: "Der Weg dorthin führt nicht über Anpassung an marode
Zustände, sondern ganz grundsätzlich einmal über Herrschaftskritik."
Dem stimme ich gerne zu. Wäre zu ergänzen:
Ferner müssen wir dafür sorgen, mit der Kritik auch gehört zu werden. Dann sollten
Dialoge möglich werden. Weiters wären Handlungspläne von Vorteil. Letztlich muß auch
aufgebrochen und getan werden.
Herrschaftskritik. Tja! Ich hatte eben erst das Thema "Spießer und Mittelschicht-Trutschen"
auf den Tisch gewuchtet, wonach offenbar die Frage auftauchte, was denn die Mittelschicht
sei. (Was "Spießer" und "Trutschen" seien, scheint
weniger erklärungsbedürftig.)
Fußnote: "Mittelschicht-Trutschen"
meint hier nicht, daß ich alle Mittelschicht-Frauen für Trutschen hielte,
sondern daß mir in den letzten Jahren ganz besonders Trutschen aus der Mittelschicht
aufgefallen seien, die im Kulturbetrieb schmerzlich herumstümpern würden; neben vielen
anderen, sehr kompetenten Frauen, die nicht stümpern, sondern sehr gute Jobs liefern.
Gut, die Sprachregelungen sind verschlissen,
die Begriffe nur mäßig aussagekräftig. Mit "Klassen" kommen wir heute gar
nicht weiter. Unterschicht und Oberschicht, diese Begriffe würde ich
selbst nicht mehr verwenden. (Gehört in die selbe Archivlade wie "Hochkultur"
etc.)
"Mittelschicht" scheint mir heute so
für sich zu stehen; nicht um eine Relation auszudrücken, also einen Standort, gemessen
an anderen Standorten, sondern als Begriff für ein bestimmtes Milieu. Ich gebe ein
Beispiel. Auch wenn die Berufsbezeichnungen nicht vollständig aufgelistet sind, ahnt man
doch, daß sich hier ein Milieu zeigt, welches seine Codes und Umgangsformen eher an
einander orientiert, statt ein sozial kontrastreiches Bild zu ergeben: Der Gemeinderat von
Gleisdorf [link]
Hier haben nicht alle Leute ein eigenes Haus,
aber doch etliche. Das "Bildungsbürgertum" ist keineswegs unterrepräsentiert,
akademisch graduierte Leute eingeschlossen, professionelles Funktionärswesen ist gut
vertreten, der KMU-Bereich präsent. (Sagen SIE Mir doch, wie man dieses Milieu nennen
sollte!)
So zeigen sich maßgebende,
entscheidungsbefugte Gremien einer Kleinstadt. Eh klar, daß sich aus unserem
Milieu, den Kunst- und Kulturschaffenden, das niemand antut, solche Arbeit zu leisten und
in solchen Ausschüssen zu sitzen. Es genügt völlig, gelegentlich deren "Inkompetenz"
laut zu beklagen, falls die Dinge für uns ungünstig laufen.
Freilich könnte auch von außen angemessen
auf die Politik eingewirkt werden. Zumal das "Bottom up-Prinzip" in der
Lokal- und Regionalpolitik langsam Boden gewinnt. Es fehlt auch nicht an stets neuen
Gelegenheiten, die "Bürgerbeteiligung" zu proben, Bürgerinnen natürlich
eingeschlossen.
Aber ich weiß ja, wen ich alles bei der
jüngsten Session NICHT gesehen habe, als es erneut um Bürgerbeteiligung und unsere
Zukunft ging. Bezeichnend, auch die Kulturreferenten der Städte Weiz und Gleisdorf sahen
offenbar keinen Grund, den Start von "iEnergie" zu begleiten. (Siehe
dazu: ...und dann 2050?)
Was ich damit sagen will: Wenn wir es nicht
schaffen, Sach- und Machtpromotoren im Dialog zu halten, werden wir an engen Grenzen
hängen bleiben. Dieses laufende Suchen nach Verständigung ist natürlich anstrengend. (Aber
das betrifft sicher beide Seiten.)
Also was nun? Diskurse. Handlungspläne.
Praxis. Vielleicht schaut auch Best Practice dabei heraus. Selbstverständlich zusätzlich
zur künstlerischen Praxis. Wir sind ja nicht nur Kunstschaffende, sondern auch
Bürgerinnen und Bürger, die sich dem Gemeinwesen verpflichtet fühlen könnten. Es ist
sehr anregend, wenn man manchmal jenes zynische Statement umdreht, das die Nazi über
einigen Konzentrationslagern angebracht hatten. Aus "Arbeit macht frei"
wird dann "Freiheit macht Arbeit".
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