7. September 2011 Ich war
auf der Suche nach Grazer Häusern gewesen, in denen der 1914 verstorbene Fabrikant Johann
Puch Betriebsstätten gehabt hat. Manche stehen noch, andere sind neuen Anlagen gewichen.
Im Innenhof hinter diesem Flur hatte einst ein umgebautes
Glashaus bestanden, in dem der slowenische Keuschlerbub Janez Puh nach seinem
Militärdienst begann, Fahrräder zu reparieren und zu montieren. Da die Behörde ihm
zuerst eine Betriebsstättengenehmigung verweigerte, wich er kurz in eine Werkstatt aus,
deren Gebäude auch noch steht.
Die "Arche Noe" heißt heute Arche Noah und
besteht hauptsächlich aus Neubauten. Auf dem Weg dort hin kam ich durch die Griesgasse
und entdeckte nun ein zweites Exemplar dieses kleine Mementos.
Die darunter stehende Zahl ist neu, die habe ich beim
ersten nicht gesehen. Ich nehme an, ein Bodycount, denn es sind im Raum Srebrenica
mindestens 8.000 Muslime massakriert worden. (Siehe dazu den Eintrag vom 21. Juli 2010!) Ganz Europa,
die ganze Welt hat damals zugesehen, ohne den Aggressoren in den Arm zu fallen. Das wäre
in Bosnien sicher leichter möglich gewesen, als in Darfur oder Ruanda. Einheiten der
UNPROFOR waren ja schon vor Ort gewesen.
Das bedeutet auch, wir sind nicht sicher. Wir alle. Denn es
gibt offenbar keinen ausreichenden, weltumspannenden Konsens einer Völkergemeinschaft,
Völkermord umgehend zu stoppen. Der Film "The Devil Came on Horseback"
macht das sehr anschaulich. Bis hin zur Passage einer Autofahrt.
Der Ex-Marine Brian Steidle stockt in seiner Erzählung.
Kurz bevor der Regen kommt, bricht er in Tränen aus. Rund ein halbes Jahr hat er als
unbewaffneter Beobachter in den Nuba-Bergen im Sudan gesehen und dokumentiert, wie
arabische Reitermilizen (im Einklang mit der Regierung) an den schwarzafrikanischen
Sudanesen Völkermord begehen.
Steidle hat informiert, appelliert, seine Dokumente in die
Welt getragen. Das hat alles nicht dazu geführt, den mit exzessiver Gewalttätigkeit
betriebenen Genozid zu stoppen. Ich war nur Zuschauer. Ich fühl mich
schuldig.
Eines der Probleme in solchen Zusammenhängen ist der hohe
Grad an Akzeptanz, den Gewalttätigkeit in unseren Kulturen und Gesellschaften genießt.
Das wird teilweise auch ästhetisch überhöht und als Teil der Unterhaltungswelt
propagandistisch gefestigt.
.
Ich hab letzten Montag wieder einmal Gelegenheit gehabt,
meine Annahmen zu überprüfen. Gottfried Eicher war ein Dienstbotenkind auf dem Lande. Er
weiß von einer recht hemmungslosen Gewalttätigkeit zu erzählen, denen Mensch und Vieh
bei den Bauern ausgesetzt sein konnte.
Außerdem war er eines von fünf elternlosen Kindern, die
in der Schule über mehrere Jahre nicht nur regelmäßig verprügelt, sondern auch
sexuelle mißbraucht wurden. Ich wollte mir mit zwölf Jahren das erste Mal das
Leben nehmen, sagt Eicher. Das Gespräch darüber verlangt Pausen, weil er
manchmal um Fassung ringt. Das Fazit ist unmißverständlich: Man wird das nie
mehr los. Man kann es nicht mehr gut machen.
Es kann daher keinen Zweifel darüber geben, wie
brandgefährlich es ist, der Gewalttätigkeit in unserem Leben auch nur den geringsten
Spielraum zu lassen. Jeder Schlag ist eine Demütigung und verursacht eine Verletzung, die
nicht mehr getilgt werden kann. Wer das schönredet, reiht sich in die zynische
Reisegesellschaft einer Mittäterschaft ein, welche der Gewalt einen umfassenden
ideologischen Widerstand verweigert. |