27. April 2011 Die Schöne des Augenblicks wurde offenbar vom Winde verweht. Der
Zauber einer kühnen Inszenierung hält eben dem Alltag oft nicht lange stand. Ist es so
naheliegend, daß wir uns nach "dem Schönen" verzehren?
Und wie ist es damit? Die Wirtschaft leistet sich
volle Kriegskassen, um unseren Alltag und die Wände des öffentlichen Raumes mit
Botschaften, genauer, mit Propaganda zu bespielen. Ich paraphrasiere Günther Anders'
frühe Kritik am Fernsehen: In diesem Geschäft tut man gerne so, als würde man einen der
Beachtung würdigen Teil der Wirklichkeit abbilden.
Und dann kommt es so heraus, daß wir, die wir in dieser Wirklichkeit
leben, uns abmühen, diesen Bildern, diesen Vorgaben, dieser Propaganda gerecht zu werden.
Das heißt, indem sie behaupten, unsere Wirklichkeit abzubilden, drängen sie uns mit
großem Mitteleinsatz ihr Konzept der Wirklichkeit auf.
Das ist eine ziemlich perfide Technik, uns zu manipulieren.
Ich nehme ein harmloser scheinendes Beispiel vom Wegesrand meiner Rundgänge. Dieses Bild
wirft die Frage auf: Warum lockt ein Restaurant auf urbanem Terrain seine Kundschaft mit
Motiven aus der bäuerlichen Landwirtschaft, die nun seit Jahrzehnten von der industriellen
Landwirtschaft erdrückt wird, von jener Agrarindustrie, welche ja auch jene neuerdings
moderaten Preise ermöglicht, die eben in diesem Restaurant Einzug gehalten haben?
(Irgendwas stimmt an dieser Inszenierung nicht!)
Sie sehen, es IST kompliziert. Aber! Meine Rundgänge.
Merkwürdig und markant. Da erlebe ich einen Arbeitstag ohne jeden Zeitdruck. Und in der
Sonne, bei drohendem Regen, schlendere ich meiner Wege. (Das Gehen und das Nachdenken
vertragen sich ausgezeichnet.) Sogar mein Körper quittiert diese Entspannung mit einigen
euphorischen Momenten.
Wie sehr wir doch gemacht sind, nicht andauernd unter Druck
zu stehen. Wie sehr wir also darauf angewiesen sind, Entlastungsmomente zu schaffen, wenn
es einmal längere Zeit härter hergeht. Und falls das nicht gelingt? Ich vermute,
Menschen reagieren darauf mit vielfältigen Krankheitsbildern und insgesamt mit einer
wachsenden Brutalisierung der Gesellschaft.
Ich denke, das ist auch eine der Lehren aus dem Faschismus.
Hat sich erst einmal eine ganze Völkerschar zu dieser Brutalisierung hinreißen lassen,
kann die Sache schnell in einer Weise kippen, daß es plötzlich Tausende bis Millionen
Tote gibt. Und hinterher braucht es Generationen, um diese Spuren zu tilgen, um Scham und
Schuld zu bewältigen, um die Verletzungen genesen zu lassen.
Wir können nicht behaupten, derlei Zusammenhänge seien
uns unklar. Unsere Leute haben das über ein ganzes Jahrhundert durchgespielt, ausgelotet,
erneut überprüft. Verdun. Auschwitz. Srebrenica. Keine Geheimnisse in all dem!
Ich habe im gestrigen
Eintrag das zunehmende Auseinanderbrechen zweier Sphären behauptet, die es eigentlich
ohne ihre wechselseitige Bedingung nicht geben kann; außer in der Tyrannis. Aber
in einer Demokratie sind höchste Alarmzeichen an der Wand, wenn Politik und Gemeinwesen
aufhören, mit einander zu kommunizieren, sich mit einander zu verständigen, wenn dafür
beide Seiten beginnen, sich hinter Stereotypen und Klischees über den jeweils Anderen zu
verschanzen.
Das gilt übrigens, davon bin ich überzeugt, für BEIDE
Seiten. Ich fände es fatal und hielte es für eine Absage an die Demokratie, wenn die
Leute in Politik und Verwaltung nur noch auf eine Art betrachtet und bewertet würden.
Diese Art der Kompelxitätsreduktion ist en verläßlicher Steigbügelhalter der Tyrannis
und hat ihre gegenwärtigen Proponenten auf prominenteste Art in rechtsradikalen
Formationen, in den Fürsprechern präfaschistischer Zustände. |