19. April 2011 Die Fragen von gestern und
vorgestern sind nicht vom Tisch. Diese Fragen werden außerdem berechtigt gestellt, wenn
auch manchmal mit merkwürdigen Intentionen: "Wozu Kunst? Wozu
Wahrnehmungserfahrungen? Wozu Reflexion?"
Die Steiermark erlebt so manche Protestmomente. Aus guten Gründen,
denn Politik und Verwaltung sind uns über Jahre eine ganze Reihe von Reformschritten
schuldig geblieben, was zu Konsequenzen führte, die unser Nachteil sind. Aber im Rahmen
eben dieser Protestmomente sollten wir in der Lage sein, unsere Gründer zu nennen, also
derlei Fragen zu beantworten. Es ist eine Ära der Larmoyanz. Ich lese Klagen wie diese:
>>bereitet sich auf eine ära bürgerlicher steirischer
einheitskultur vor und kauft sich jetzt einen neuen koffer [...] in zukunft wird es keine
kompetente unterstützung mehr geben für gewagte und öffentlichkeitswirksame projekte.
gute nacht steiermark. <<
Das ist natürlich eine enorme Übertreibung. Es nimmt an
ich weiß nicht was Maß. Und es ignoriert die Erfahrungen, welche wir aus den letzten 30
Jahren greifbar hätten; daß nämlich all unser Tun, so weit es mit staatlichen Mitteln
unterfüttert wird, selbstverständlich zum Teil einer bürgerlichen Kultur wird. Es ist
genau die Bourgeoisie das Feld unserer Finanzierungen, der Großteil unseres
Publikums und das einzige Ziel unserer Kritik, soweit Kunstschaffende sich in Kritik zu
üben wünschen.
Wir könnten uns auch selbst zum Objekt unserer
Kritikfähigkeit machen, dann bliebe die Bourgeoisie nicht alleine das Ziel unserer
Kritiken. Aber davor hüten wir uns mehrheitlich. Überdies könnten wir mit eben dieser
Kritikfähigkeit auch jenes "Wir" durchleuchten, das wir so gerne als gegeben
und geklärt annehmen.
Dann würde sichtbar, daß in unseren Reihen reichlich
Kleinbürgertum präsent ist. Schon allein aus diesem Grund, weil nämlich vor allem
bürgerliche Kreise jenen materiellen Rückhalt bieten können, den Kunstschaffende über
weite Strecken brauchen, da der freie Markt nur sehr wenigen Leuten ein erträgliches
Jahreseinkommen ermöglicht.
Dabei wäre zu berücksichtigen, daß in meinem Milieu
"Kleinbürgertum" als Zuschreibung oft zu niedrig zielt; vermutlich, weil es vom
Begriff her jene Konnotationen suggeriert, mit denen wir eigentliche vorzugsweise
"Spießer" und "Proleten" meinen. Kleinbürgertum ergibt
freilich jenes eher kulturnahe Milieu, bei dem Zeit, Interesse und auch Geld vorhanden
ist, mit dem meinesgleichen arbeiten.
Was in der Steiermark als "Szene" firmiert,
schafft kaum Anschluß an das kaufkräftige Bürgertum, an gutsituierte Leute,
die sich ihr Interesse für Kunst auch nennenswert was kosten lassen. Im Gegenzug finde
ich allerdings in der "Szene" gar nicht so wenig Spießer und Proleten, die
bloß eine mit Kunstattributen dekorierte Variante von "radikalen Aufsteigern"
geben.
Aber diese Zusammenhänge sind meines Wissens noch nie
Gegenstand einer radikalen Reflexion gewesen, um unseren Status quo zu klären. So ergibt
auch die aktuelle Protestsituation eine Art selbstreferenzielle Lage, in der
"wir" voraussetzen, es sei schon geklärt was wir tun, warum wir es tun, warum
das wichtig ist und warum das aus öffentlichen Geldern (ko-) finanziert werden muß.
Gut, in einem grundlegenden Sinn IST das auch geklärt,
denn dieser Basiskonsens drückt sich etwa im aktuellen Kulturförderungsgesetz aus,
welches noch nicht gar so alt ist.
Steiermärkisches Kultur- und
Kunstförderungsgesetz 2005 [PDF]
[Kulturförderungsberichte]
Nun wäre es vermutlich angebracht, zu diesem
Grundsätzlichen auch allerhand Spezielles an guten Gründen vorzubringen, denn ab hier
tut sich ja die Notwendigkeit zur Antwortvielfalt auf, um der Gewißheit vielfältiger
Positionen gerecht zu werden. Um das aber kulturpolitisch verhandeln zu können, muß ich
in der Lage sein, meine Gründe zu nennen.
Eine "antibürgerliche Attitüde" als
Ausgangspunkt eine Kulturdebatte um Finanzierungen eines faktisch (klein-) bürgerlichen
Kunstbetriebes, das ist ja zu komisch. Oder aber: Wo und worin ist denn unsere
"Szene" genau "nicht-bürgerlich" beziehungsweise zur Bourgeoisie
nicht kompatibel?
Naja, in einigen Nischen "unserer Szene" wird sie
das für Momente wohl sein. Doch sobald jemand eine ökonomisch eigenständige Existenz
anstrebt, wird es doch meist ein Schritt zu dieser Kompatibilität hin; woran ich nichts
auszusetzen habe. Es ist bloß so, daß mir Heuchelei sehr mißfällt.
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