Was
ist es bloß in uns, das sich gelegentlich als Wißbegier meldet und gestillt werden kann
wie physischer Durst? Ich hatte im vorgestrigen
Eintrag das Stück eines Wagenhecks gezeigt, ratlos, was da an mir vorbeigezogen war.
Bernd Kober, mein früher Weggefährte im Kuratorium für triviale Mythen,
schlug meine Plymouth-Deutung aus, Mike Roloff bekräftigte Kobers Vorschlag: Dodge
Charger. Dem wollte ich mich nicht anschließen, weil doch ... na, die Charger
kantige Hüften haben, das Heckfenster aussieht wie ... Eben nicht! "bei der
froschgrünen karre handelt es sich um einen 73er dodge charger. lg, be. ba."
Woher weiß sie das so genau? Weil sie selbst einen fährt.
Nun steht ja außer Frage, daß diese Brocken aus den Tagen der historischen Muscle
Car-Ära, wie allerhand Mopars und andere Monster, kein Produkt der Vernunft ist, sondern
dem entspringt, was wohl schon im antiken Griechenland Ikarus hoch fliegen (und tief
stürzen) ließ. Will sagen, wir Menschen sind offenbar so, daß wir Möglichkeiten
ausloten möchten, auch wenn wir damit Terrains der Unvernunft betreten.
Charger & Co. sind heute bei uns fast so rar wie
Relikte aus archäologischen Sammlungen. Sie sind außerdem stählerne Zeugen einer
kuriosen, fast schon klassenkämpferischen Auseinandersetzung von transatlantischern
Ausmaßen. Bereits die Nazi haben heftig gegen die Größe und Kraft amerikanischer
Automobile polemisiert, gegen ihre Ausstattung und den darin geboten Sitzkomfort.
Der Anlaß war simpel und ein Problem für die reichsdeutsche
Propaganda. Zwei Jahrzehnte nach dem Ersten Weltkrieg ist unsere Wirtschaft noch von
Kriegsfolgen und Rohstoffknappheit geprägt gewesen. Die offensichtliche Überlegenheit
des amerikanischen Automobilismus in vielen Aspekten vertrug sich schlecht mit dem
Auftreten und den Ansprühen der heimischen Herrenmenschen.
Aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg und dem
unrühmlichen Ende des Verbrecherstaates ging dieses Propaganda-Gezänk weiter. So hieß
es etwa in der Illustrierten Stern vom 4. April 1959: Die Amerikaner
können nämlich kaum noch parken, weil sie nach vorn und hinten so viel Unnötiges
hinausstrecken.
Was nun vielleicht Be. Ba. mit ihrem 73er Dodge Charger
recht amüsieren dürfte, schon 1948 war in Das Auto, Motor und Sport zu
lesen:
Ihre Majestät, die amerikanische Hausfrau, die letztendlich entscheidende
Instanz bei der Auswahl des Familienwagens, ist der Ansicht, dass ein großer, starker
Wagen ohne Weiteres die zwanzig Dollar wert ist, die er ihren Gatten monatlich mehr kostet
als ein kleineres und schwächeres Fahrzeug. (In jenen Tagen begann übrigens
die Geschichte der Muscle Cars mit dem 1949er Oldsmobile; und zwar durch
dessen neuartigen, hochverdichtenden Motor.)
Warum ich das erzähle? Damit verstanden wird, hier ist von
Zeit- und Sozialgeschichte die Rede. Das hat auch noch andere, bemerkenswerte
Implikationen. Unsere trivialen Mythen haben große Wirkungskraft. Es ist lustvoll, sich
damit zu befassen, es ist aufschlußreich, das zu bearbeiten. [Meine aktuellen Quellen]
Cut!
Ich war eine Weile nicht mehr im Kino. Jetzt aber! Wir
verlieren europäisches Filmschaffen manchmal etwas aus den Augen. Zu viel
Mainstream-Getöse.
Wie erfreulich, zwischendurch auf einen Film zu stoßen,
teils in albanischer, teils in serbischer Sprache, wo ruhig und unspektakulär erzählt
wird, was doch so eine erhebliche Wucht hat.
Goran Paskaljevic inszenierte mit Medeni mesec
('Honeymoons') zwei parallel laufende Geschichten. Hier ein albanisches, da ein serbisches
Paar, junge Liebende, eben erst verheiratet, im Ringen um Auswege, wo nicht vieles sondern
alles beengt. Ein bescheidener Hinweis darauf, daß
weder Klischees noch fortgeschriebene Feindseligkeiten zwischen den Völkern wahrer
machen, was alles an Gründen für die Jugoslawischen Kriege behauptet wurde;
soweit es ethnische Diskurse betrifft.
Themenstellungen, die uns nicht egal sein können, da
feindselige ethnische Diskurse auch in Österreichs Innenpolitik längst wieder
salonfähig geworden sind und überdies in Europas Politik viel Platz gefunden haben. |
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