25. Oktober 2010

Was ist es bloß in uns, das sich gelegentlich als Wißbegier meldet und gestillt werden kann wie physischer Durst? Ich hatte im vorgestrigen Eintrag das Stück eines Wagenhecks gezeigt, ratlos, was da an mir vorbeigezogen war.

Bernd Kober, mein früher Weggefährte im Kuratorium für triviale Mythen, schlug meine Plymouth-Deutung aus, Mike Roloff bekräftigte Kobers Vorschlag: „Dodge Charger“. Dem wollte ich mich nicht anschließen, weil doch ... na, die Charger kantige Hüften haben, das Heckfenster aussieht wie ... Eben nicht! "bei der froschgrünen karre handelt es sich um einen 73er dodge charger. lg, be. ba."

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Woher weiß sie das so genau? Weil sie selbst einen fährt. Nun steht ja außer Frage, daß diese Brocken aus den Tagen der historischen Muscle Car-Ära, wie allerhand Mopars und andere Monster, kein Produkt der Vernunft ist, sondern dem entspringt, was wohl schon im antiken Griechenland Ikarus hoch fliegen (und tief stürzen) ließ. Will sagen, wir Menschen sind offenbar so, daß wir Möglichkeiten ausloten möchten, auch wenn wir damit Terrains der Unvernunft betreten.

Charger & Co. sind heute bei uns fast so rar wie Relikte aus archäologischen Sammlungen. Sie sind außerdem stählerne Zeugen einer kuriosen, fast schon klassenkämpferischen Auseinandersetzung von transatlantischern Ausmaßen. Bereits die Nazi haben heftig gegen die Größe und Kraft amerikanischer Automobile polemisiert, gegen ihre Ausstattung und den darin geboten Sitzkomfort.

Der Anlaß war simpel und ein Problem für die reichsdeutsche Propaganda. Zwei Jahrzehnte nach dem Ersten Weltkrieg ist unsere Wirtschaft noch von Kriegsfolgen und Rohstoffknappheit geprägt gewesen. Die offensichtliche Überlegenheit des amerikanischen Automobilismus in vielen Aspekten vertrug sich schlecht mit dem Auftreten und den Ansprühen der heimischen „Herrenmenschen“.

Aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg und dem unrühmlichen Ende des Verbrecherstaates ging dieses Propaganda-Gezänk weiter. So hieß es etwa in der Illustrierten „Stern“ vom 4. April 1959: „Die Amerikaner können nämlich kaum noch parken, weil sie nach vorn und hinten so viel Unnötiges hinausstrecken.“

Was nun vielleicht Be. Ba. mit ihrem 73er Dodge Charger recht amüsieren dürfte, schon 1948 war in „Das Auto, Motor und Sport“ zu lesen:
„Ihre Majestät, die amerikanische Hausfrau, die letztendlich entscheidende Instanz bei der Auswahl des Familienwagens, ist der Ansicht, dass ein großer, starker Wagen ohne Weiteres die zwanzig Dollar wert ist, die er ihren Gatten monatlich mehr kostet als ein kleineres und schwächeres Fahrzeug.“ (In jenen Tagen begann übrigens die Geschichte der „Muscle Cars“ mit dem 1949er Oldsmobile; und zwar durch dessen neuartigen, hochverdichtenden Motor.)

Warum ich das erzähle? Damit verstanden wird, hier ist von Zeit- und Sozialgeschichte die Rede. Das hat auch noch andere, bemerkenswerte Implikationen. Unsere trivialen Mythen haben große Wirkungskraft. Es ist lustvoll, sich damit zu befassen, es ist aufschlußreich, das zu bearbeiten. [Meine aktuellen Quellen]

Cut!

Ich war eine Weile nicht mehr im Kino. Jetzt aber! Wir verlieren europäisches Filmschaffen manchmal etwas aus den Augen. Zu viel Mainstream-Getöse.

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Wie erfreulich, zwischendurch auf einen Film zu stoßen, teils in albanischer, teils in serbischer Sprache, wo ruhig und unspektakulär erzählt wird, was doch so eine erhebliche Wucht hat.

Goran Paskaljevic inszenierte mit “Medeni mesec” ('Honeymoons') zwei parallel laufende Geschichten. Hier ein albanisches, da ein serbisches Paar, junge Liebende, eben erst verheiratet, im Ringen um Auswege, wo nicht vieles sondern alles beengt.

Ein bescheidener Hinweis darauf, daß weder Klischees noch fortgeschriebene Feindseligkeiten zwischen den Völkern wahrer machen, was alles an Gründen für die „Jugoslawischen Kriege“ behauptet wurde; soweit es ethnische Diskurse betrifft.

Themenstellungen, die uns nicht egal sein können, da feindselige ethnische Diskurse auch in Österreichs Innenpolitik längst wieder salonfähig geworden sind und überdies in Europas Politik viel Platz gefunden haben.

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