22. August 2010Wäre das Reisen nicht, ich hielte das, was ich erlebe, für die
Welt. Selbst an gebildeten Leuten bestaune ich gelegentlich, für wie gewichtig sie
unseren eigenen Lauf der Dinge halten. Aber kaum lehne ich mich aus dem Fenster, wartet
viel Beunruhigung auf mich. Sie macht sich so sehr in mir breit, daß ich bald wieder nach
ruhigen Winkeln Ausschau halte. Also was nun? Ich kann jene durchaus verstehen, die
Beunruhigung meiden. Ein Leben verfliegt so oder so. Ich wünschte, ich wäre in diesen
Fragen klüger.
In Bewegung bleiben. Das scheint auch der bevorzugte Modus
von Fotograf Franz Sattler zu sein. Wenn wir uns in Debatten stürzen, dann ist es oft
eine "Reise zur Speise". Hier lief das erneut auf Salzburger Nockerl hinaus. Wir
haben viel zu erörtern ...
Die Bedingungen der Kunst. Die Leidenschaften des Sehens.
Das feine Netzwerk der Aufmerksamkeit. Was wäre das Leben, wenn wir nicht in die Lage
kämen, unsere Tage über Reflexion in ein jeweils anderes Licht zu tauchen?
Schließlich sind wir die Urenkel von Untertanen. Es ist
ein zähes Ringen gewesen, aus diesen Zuständen herauszukommen, wo ein Leben in
Schinderei verfloß und für die Herrschaft nichts wert gewesen ist, falls die
Arbeitskraft versiegte. Aber zurück zur Gegenwart, aus der schließlich eine passable
Zukunft werden soll. Wir hatten entsprechend die Vorhaben für den April 2011 zu bereden,
wo das "April-Festival" von "kunst ost" in neue
Bahnen gelenkt werden soll: [link]
Kurz darauf eine andere "Reise zur Speise".
Diesmal in das Schloß Hainfeld nahe Feldbach. Das von Künstler Gerhard Flekatsch
(2.v.l.) initiierte "Küchengespräch": [link] Dramaturgin
Sandra Noeth war hier gerade mit Zwiebeln, Äpfeln, Honig und Essig befaßt, rechts zwei
der "artists in residence", der Araber Raed Ibrahim und der Japaner Tetsushi
Higashino.
Ich dachte bei Raed zuerst, es sei angemessen, ihn einen
Jordanier zu nennen, weil er da zuhause ist. Er wurde in Saudi Arabien geboren, spricht
mit offenbar großer Emotion von Beirut (Libanon) und Kairo (Ägypten), seine Eltern sind
Palästinenser, das ist also allein schon daher mit einer herkömmlichen nationalen
Zuschreibung nicht faßbar.
Doch ist es nun im Gegenzug wirklich so, daß
"Araber" eine klare Zuschreibung ergibt? Oder mehr noch: "Moslem"? Und
wieso hat der keine Dynamit-Stangen in den Taschen? Wieso kann ich mit ihm ansatzlos über
historische und kulturelle Zusammenhänge debattieren, finde dabei mühelos Grundkonsens
in einer Reihe wesentlicher Fragen?
Daß Raed von großen Städten in seinem Kulturkreis
geschwärmt hat, verweist auf ein brisantes Thema, zu dem Parag Khanna einen sehr
interessanten Essay geschrieben hat. Seine Grundthese ist im ersten Satz formuliert:
"The 21st century will not be dominated by America or China, Brazil or India, but by
the city." Weiter heißt es:
>>As our world order comes to be built on cities and their
economies rather than nations and their armies, the United Nations becomes even more
inadequate as a symbol of universal membership in our global polity.<< [link]
Solche Debatten sind in meiner Umgebung erst auf Umwegen
angekommen. Nein, leise Vorboten davon. Das Leben in der "Provinz" wird derzeit
verstärkt von Verlustängsten erreicht. Grundlegende Veränderungen haben sich längst
bemerkbar gemacht. In den kleinen Kommunen wächst Unruhe, Zusammenlegungen von
Gemeinde machen sich als Thema breit und immer mehr Orts-Chefs müssen offenlegen: "Wir
bringen keine Arbeitsplätze zusammen." Es ist klar, gibt es keine Jobs, wandern
die Leute ab.
Welche Debatten haben wir also zu führen und welche
Schlüsse wären zu ziehen? Welche Handlungspläne wollen verfaßt werden und mit welchen
Mitteln werden wir aufbrechen, um zu handeln? Fragen über Fragen. Aber eben solche Fragen
tauchen dann etwa beim erwähnten "Küchengespräch" auf.
Solche Momente stehen mitunter in einer Kette von
Ereignissen, deren Zusammenhang sich über irgend einen "Schlüsselmoment"
ergibt. Etwa so einen Moment, als ich in einer Schublade in der Küche des Schlosses das
"Prizren-Messer"
fand. Und so hängt dann plötzlich etwas zusammen, das eben erst bloß fragmentarisch
wahrgenommen wurde: [link]
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