20. Mai 2010

Träumereien. Natürlich hänge ich für Stunden oder Tagen so manchen Schwelgereien nach. Wie die Dinge laufen könnten, sollten. Was ist das für eine Kultur, die solche Tagträumereien als Müßiggang diskreditiert? Und wie konnte aus dem kulturellen Wert der Muße etwas negativ Bewertetes werden?

Macher und Machtpragmatiker ticken so, daß ihnen diese Zugänge suspekt sind. Wer seine Position durch Kontrollverlust gefährdet sieht, wird nicht wollen, daß anderen Menschen etwas einfällt oder gar gelingt. Zugegeben, das ist nun reichlich verkürzt. Wenn aber die Schlußfolgerungen über Zustände der Welt verlängert werden, kostet das ... Zeit.

Ich weiß freilich nicht, warum wir es stets so eilig haben sollten. Um schneller in der, besser: in einer Zukunft anzukommen? Und was seh ich dort? Ich hab schon wieder eine Zukunft vor mir. Im günstigsten Fall. Ziele, Ziele, Ziele! Na, ich weiß nicht. Auf den kulturellen Feldern besteht genügend Anlaß, auch die Wege zu würdigen.

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Das ist auf jeden Fall ein Motiv unseres "Avantourismus". Reisender Emil Gruber schrieb kürzlich:

>>... aber lädt man herrn einstein als stichwortgeber in unsere birnenfabrik, dann wird er uns erklären, dass wir nur für jede art von beschleunigung blind werden müssen, also geschwindigkeit zu einem freundschaftlichen und sozialen verhalten transformiert, dann können wir alle unsere räume und zeiten in ein gemeinsames sackerl stecken ...<<

Der komplette Text ist in einer aktuellen Notiz zu finden: [link] Die Birnenfabrik. Anders aufgestellt als die Apfelfabrik. Schon klar! Äpfel und Birnen wollen nicht verwechselt werden. Denkt man. Im Obstbau, der als Sonderproduktion zum Gedeihen der agrarischen Oststeiermark beigetragen hat, sieht das ganz anders aus. Da werden etwa Apfelreiser auf Birnbäume gepfropft.

Die "Direktträger" würden der Bauernschaft keinen ausreichenden Profit bieten. Erst durch die "Veredelung", also die geschickte Kombination verschiedener Hölzer, winkt Ertrag. Unsere "Birnenfabrik" ist eine "Denk- und Handlungsgesellschaft". Genau darin ist sie AUCH eine Reisegesellschaft. Also ein Phänomen, das ZEIT beansprucht.

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Das beinhaltet natürlich neugierige Seitenblicke. Keine Begehrlichkeit. Beispielsweise der Aston Martin Vantage ... Dieser Gran Torismo braucht einen enormen Überbau, um ihn genießen zu können. Er braucht ein völlig anderes Leben. (Ich würde kein völlig anderes Leben haben wollen.) Nicht zu vergessen:

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So Helmut A. Gansterer im "profil". Das handelt letztlich auch von Orientierungsfragen. Welche Art der Zugehörigkeit halte ich für wünschenswert? Was sind die jeweils gültigen Codes und was kostet diese Zugehörigkeit? Wie werden all diese Bereiche im Verhältnis zu einander geordnet? Eine mögliche Spielart ist das Einführen von Stereotypen. Marie-Janine Calic hat das in ihrem Buch über "Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina" so skizziert:

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Ganz Europa scheint sich auf diese Art organisiert zu haben. Im Dezember des Vorjahres habe ich hier den Publizisten Norbert Mappes-Niediek erwähnt, dessen Auffassung besagt, dieses EU-Europa sei viel zu arrogant, um zu bemerken, wie "jugoslawisch" seine Probleme sind: [link] Ich vermute, eine kleine Polemik wäre vertretbar: Europas Probleme sind ziemlich "bosnisch". Man muß sich dieses zerrissene Land bloß genauer ansehen, um Eindrücke zu gewinnen, das uns viel der dort vorfindbaren Probleme und Konflikte eigentlich höchst bekannt vorkommen.

So offenbart sich dann auf jeden Fall, was ich als Verdacht festhalten möchte. Womöglich haben wir uns einmal mehr hinreißen lassen, eigene Schattenseiten abzuspalten und auf andere Leute zu projizieren. Wenn da nicht diese Balkan-Leute wären, denen wir so viel nachteilige Eigenschaften zuschreiben könnten, wenn uns auch keine anderen Projektionsflächen verfügbar wären, müßten wir uns damit an uns selbst befassen.

So machen wir es ja mit den "Exoten" seit Jahrhunderten. Wir benutzen sie als "schöne Wilde" für romantische Inszenierungen. Oder wir stellen sie uns als "Untermenschen" zurecht, als "Defizite auf zwei Beinen", die wir als "Referenzgrößen" benutzen, um uns selbst zu bestätigen, daß wir ein positives Maß der Dinge seien. (Selbstdefinition durch Feindmarkierung.)

Das sind Methoden des Eurozentrismus, dem sich die Kolonialzeit verdankt. Blicke ich auf Europa, fällt mir auf: Wir haben es uns nicht abgewöhnt ...

[Der "Balkan-Reflex"]


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