15. Mai 2010 Es ist ja
nicht so, daß ich völlig unerschrocken wäre. Ich geb nur oft nichts drauf, wenn mich
etwas beunruhigt. Aquaplaning hat mir manchmal schon nette Adrenalinschüber verpaßt.
Nein, damit meine ich nicht, daß ich bei solchem Wetter mein Schicksal herausfordern
würde.
Dafür hänge ich viel zu sehr an meinem Leben. Die Frage
war gestern eher: "Ausbildungsfahrt" streichen oder nicht? Es wäre
geheuchelt, wollte ich diese Überlegung unterschlagen. Naja, ich hab insgesamt schon
öfter als mein Sohn ein Auto ruiniert. Meine Bedenken waren also bloß Gedankenspiele,
ich mußte die Option zulassen.
Die Berufsschule für Betriebselektriker ist etwas
abgelegen. Das ergibt also auf der Route verschiedene Wetterzonen. Klar, daß der Bub sich
auf die Strecke gefreut hat. Es saßen dann auch noch zwei weitere Burschen hinten auf der
Bank. Völlig undenkbar, daß ich dem Kerl da mein Vertrauen entziehe, weil ich mich wegen
des Regens sorgen würde. Ferner darf man sich ausmalen, was drei Metal-Fans im
Auto für Konsequenzen in der Raumakustik haben. Die These: Was den Fahrer erfreut,
verbessert seine Verfassung beim Fahren. (Ich staune immer noch über diese rüden
Gesangsstile.)
Nahe Deutschlandsberg wartete dann Beute auf mich.
50er-Jahre. Nachkriegs-Ponton. Ich hatte erst nur das Heck erblickt, das mir für einen
190er-Benz etwas zu gedrungen erschien. Mein Sohn mußte eine winkelige Zufahrt
bewältigen, ein flüchtiger Blick auf die Frontpartie des Wagens ließ mich annehmen:
Italien oder England.
Die Kühlerfigur ist eine stilisierte ... Schnepfe. Es ist
ein Humber Super Snipe. Mein Schicksal war also freundlich, das Wetter hatte sich
gebessert, die Fahrt blieb weitgehend unbelastet und mir war feine Beute zugefallen.
Cut!
Ich habe gestern
kurz umrissen, wie kompliziert mir die Situation von Bosnien-Hercegovina erscheint; als
ein exemplarisches Beispiel für die Problemlagen, die in unserem Kulturkreis das Thema
Nation aufwirft. Wir ruhen auf der kurzen Tradition eines kulturellen, statt eins
politischen Nations-Konzeptes. Beide Wege kennen ethnische Problemstellungen, aber jener
der "Kulturnation" naturgemäß weit härtere.
Seit rund 20 Jahren interessiert mich die Geschichte der
südslawischen Leute etwas mehr als bloß flüchtig. Erst heute scheint mir, ich würde
wenigstens die populärstens Balkan-Klischees als solche erkennen können und mich vom
Thema Jugoslawien nicht mehr so leicht verwirren lassen.
Ja, ich denke, es ist so kompliziert, wie es hier
anklingt. Genau diese Vielfalt, Komplexität, diese harten Kontraste sind -- nebenbei
bemerkt -- die Basis von vielem, was wir als "kulturelle Wurzeln Europas"
verstehen. (Platon, Aristoteles & Co. waren ... genau! "Balkan Boys".)
Der Begriff "Volk" hatte im vormaligen
Jugoslawien andere Entsprechungen als bei uns. Das "Staatsvolk" als
Summe aller Staatsbürger und -Bürgerinnen war eine Sache. Die Völker
Jugoslawiens eine andere. Die Völkerschaften eine dritte.
Kroaten, Mazedonier, Montenegriner, Muslime, Serben und
Slowenen galten als die Völker. "Muslime" ("Muslimani") war hier --
wie erwähnt -- nicht konfessionell, sondern politisch gemeint. Der Begriff
Völkerschaften benannte andere Ethnien Jugoslawiens, die nicht den gleichen Rang hatten.
Erst vor einigen Jahren entdeckte ich bei Publizist Norbert
Mappes-Niediek ein weiteres Kategorien-Ensemble, von dem mir zuvor nie jemand erzählt
hatte. Drei hierarchisch geordnete Formen: Völker, die schon vor 1918 einen Staat gehabt
hatten, "historische Nationen" und "geschichtslose Völker".
Übrigens: Das Jugoslawien Titos bestand per Verfassung nicht aus seinen Teilrepubliken,
sondern aus seinen "Völkern und Völkerschaften" ...
[Der "Balkan-Reflex"]
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