1. April 2010 "Serbien
verurteilt Srebrenica-Massaker", titelte "Die Zeit" und
notierte: "Dafür stimmten 127 der 250 Abgeordneten im Belgrader Parlament.
Serbisches Militär und Paramilitär hatten im Juli 1995 rund 8000 muslimische Jungen und
Männer umgebracht. Die Abgeordneten entschuldigen sich dafür, dass seinerzeit nicht
genug unternommen wurde, um das Massaker zu verhindern." [Quelle]
Das war also eine SEHR knappe Mehrheit. Srebrenica gehört
unter anderem deshalb zu den furchtbarsten Kapiteln des jugoslawischen Sezessionskrieges,
weil dieses gezielte Abschlachten von Zivilpersonen sich nicht plötzlich ereignet hatte,
sondern sich unter den Augen ganz Europas und der Welt offenbar recht in Ruhe entfalten
durfte.
Das meint, Radko Mladic konnte seine Einheiten ganz
unbehelligt in Stellung bringen, Frauen und Kinder in Bussen abtransportieren lassen. Er
hatte auch genug Zeit, den "Dutchbat"- Kommandeur Thomas Karremans und
die Blauhelme einzuschüchtern, vom Terrain zu drängen.
Von all diesen Abschnitten des Ereignisses sind Videos
erhalten, die aus nächster Nähe gemacht wurden. Es liegt noch gegenwärtig ein eigener
Schrecken in dieser Evidenz und man kann sich über Youtube-Links einen
flüchtigen Eindruck verschaffen, wie brutal die serbische Soldateska vorgegangen ist.
(Siehe dazu etwa meine Notizen vom 7.
Jänner 2009!)
Wenn nun von Srebenica gesprochen wird, dann war noch gar
nicht von Omarska, Keraterm oder Trnopolje die Rede, von Camps, in denen systematisch
gefoltert und gemordet wurde. Viele Orte wären noch zu nennen, tausende Opfer
aufzuzählen. Andrej Ivanji schrieb heute in "Der Standard":
Ich denke, das ist eine sehr zutreffende Einschätzung. Das
knappe Abstimmungsergebnis für die Resolution weist zumindest darauf hin, daß es unter
der Bevölkerung Serbiens einen wachsenden Konsens gibt, sich dieser Verantwortung zu
stellen. Und dieser wachsende Konsens drückt sich langsam auch in der Politik des Landes
aus.
In der "Kronen Zeitung" werden aus der Republika Srpska, einem teil
Bosniens, eben jene dummen Töne kolportiert, die wir auch aus vielen Jahrzehnten
österreichischer Nachkriegsgeschichte so gut kennen. Dieses
Geblöke vom Beschmutzen, das eben jene anstimmen, die nicht zwischen SCHULD und
VERANTWORTUNG unterscheiden möchten. Schuld bedingt diese oder jene Form von
Täterschaft, Verantwortung ist dagegen die Angelegenheit eines ganzen Staatsvolkes.
Folglich wird ja keinesfalls "Das serbische
Volk" für etwas "verurteilt". Wir haben in Europa Gerichte, die sich
dem Thema Täterschaft widmen. Ich nehme an, es werden mehr und mehr Menschen in Serbien
sich dagegen verwehren, daß sich die Kumpane von Tätern |
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auf sie berufen. Norbert
Mappes-Niediek bringt einen ganz wesentlichen Aspekt mit einem Kommentar in der "Kleinen Zeitung" von heute
auf den Punkt. Er titelte: "Jetzt ist Serbien zu einer Nation geworden".
Damit betont er genau diesen kategorealen Unterschied zwischen hier: "Täter und
Schuld", aber da: "Nation, Staatsvolk und Verantwortung". Das
IST eben zweierlei.
Der Autor geht noch einen Schritt weiter und
setzt das Begriffspaar "Nation" und "Kriegspartei" in Beziehung zu
einander. Von Nappes-Niediek stammt übrigens eines
der kohärentesten und klügsten Bücher über den Sezessionskrieg Jugoslawiens, das ich
kenne. "Die Ethno-Falle" bietet eine Fülle von Denkanstößen, die
nicht nur dem südslawischen Teil Europas gewidmet sind.
Das ganze EU- Europa, wie es sich nun ausdifferenzieren und
festigen möchte, hat ja zu den Fragen multiethnischer Gesellschaften einiges an Arbeit
vor sich. Der ausufernde Rechtsruck in vielen Parlamenten Europas |
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zeitigt längst einen fatalen
Zuwachs an Verhaltens- und Argumentationsmustern wie jenen aus der Republika Srpska. Diese
kriegerische Verrats- und Beschmutzungs-Rhetorik kennen wir auch von den vaterländischen
Kräften Österreichs. Es ist eine Sprache der Gewalttätigkeit und ein Denken der
Gewaltbereitschaft. Genau diese Rhetorik, dieser "Krieg der Worte", ist eine der
Quellen aller Massaker, die Europa im 20. Jahrhundert erfahren hat.
[Der "Balkan-Reflex"]
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