22. Jänner 2010 Vinyl, 17
Zentimeter Durchmesser. Wenn ich mich recht erinnere, war der Begriff "Single"
damals nicht alleinstehenden Menschen, sondern diesen Schallplatten vorbehalten. Was wir
"B-Seite" nannten, hieß bei den Profis "Flipside".
In Gleisdorf sperrt ein Laden zu, in dem ich Jahre lang
Videocassetten und schließlich DVDs entliehen, alte Bücher und Groschenhefte gekauft
hatte. Da alle der "Singles", die ich gestern erworben habe, von Hand numeriert
sind, tippe ich auf den Teil einer vormaligen Musikbox- Bestückung. ("Jukebox"
sagten erst viel später die Nostalgiker, die vom Amerika des McCarthy zu schwärmen
begannen.)
"Ich bin da, ich bin weg, ich bin da ... sagt der
Winter." habe ich kürzlich notiert.
Und am Foto unterscheidet sich vor allem das Stockwerk, aus dem es aufgenommen wurde.
Letztlich aber: Stereotypenkram.
Endlich Winter, wie ich Winter gelernt habe. Also erst die
strengen Wintertage meiner Kindheit, dann Erwachsenwerden, dann Alexis Sorbas und
Griechenlandreisen, tief hinein in die Balkanklischees, verhatschter Sirtaki, ein Hauch
von Zifteteli, aber kein Tau, warum in Graz so auffallend nette Griechen vom Studium (viel
Architektur) nicht mehr nachhause fuhren.
Wem an Spanien das Wort "Junta" nicht aufgefallen
war, bekam an Griechenland eine weitere Chance. Ein Slawist hatte mir einmal gesagt, die
Griechen seien die härtesten Nationalisten Europas. Ich konnte mir das bei all dem
Retsina und den lachenden Menschen damals nicht vorstellen.
Ach, was sind wir doch für Schätzchen! Jetzt werden
Kerzen für Haiti angezündet. Und die Nord-Süd-Desaster haben wir kaum einen Schritt
weiter gebracht. Da ist immer noch so viel an reichem Norden, der den armen Süden
abschütteln möchte.
Das war uns nicht einmal vor der eigenen Haustür
aufgefallen. Als Jugoslawien in Brüche ging; woran die Formierung der EU großen Anteil
hat. Was mag ein gut gestelltes Slowenien und ein nahe liegendes Kroatien alles bewogen
haben, die Sezession anzustreben?
Ich wette, eines von mehreren tragenden Motiven war: Mit
dem Kosovo, das völlig im Arsch ist, mit dem recht armen Südserbien und dem
angeschlagenen Bosnien samt seinen Muslimen brauchen wir mindestens 30 Jahre länger, um
in den Schoß der neuen "Festung Europa" zu hupfen.
Oh, was haben wir alle gewußt, weil in den wohlfeilen
Blättern gelesen, wie das so ist mit den Balkanesen. So viel Entsetzen über so viel an
entsetzlichen Vorfällen. Da frag ich mich freilich, warum dann unsere Innenpolitik so im
Eimer ist, wenn uns das stets derart bewegt. Ah ja, Betroffenheitsgymnastik ist eine
leichtere Übung als mit der Nord-Südproblematik und den Fragen globaler
Verteilungsgerechtigkeit konsequent aufzuräumen.
In der gestrigen Ausgabe der "Kleinen Zeitung" fiel mir
dieses Zitat auf. Ist der nicht eben erst quer durch die meisten Medien als Lichtträger,
Heilsbringer und Popstar abgefeiert worden? Und jetzt, so kurz darauf, wird ihm schon das
Scheitern an die Wand geschrieben. Donnerwetter!
Der Ausdruck lautet "Komplexitätsreduktion". Wie
die Kerzen für die Opfer in Haiti. Es ärgert mich, und ich meine genau: ÄRGERN, wenn
ich etwa an dieses große Portrait-Foto von der verdreckten alten Frau denke, die ihre
Lippen dem Spund einer Wasserflasche entgegenstülpt.
Ich würde einem Redakteur die Pest an den Hals wünschen,
wenn er mich in solchem Zustand der Welt preisgeben würde, anstatt seine Möglichkeiten
genutzt zu haben, an einer Meinungsbildung zu arbeiten, die es ganz unspektakulär
erscheinen lassen würde, geballte Hilfe dort hin zu karren, wo sie eben gebraucht wird.
Denn es sollte kein Problem sein, daß wir an (fast) jedem Ort der Welt Menschen aus ihren
Nöten helfen. Wir? Staaten. Die Weltgemeinschaft der Menschen.
Statt dessen hätschelt "mein" Staat Leute, die
zu so merkwürdigen Situationen führen wie den Nachrichten über die Milliardärin
(Milliardärin!!!) Ingrid Flick, für die zwar heute die Unschuldsvermutung gelten müsse,
von der aber vermutlich zu sagen sein wird, sie habe aus den Deals mit der Hypo Alpe-Adria
in Kärnten einen fragwürdigen Profit von 400.000 Euro gezogen; bei Investition von rund
einer Million Euro.
Ich meine, es ist KEINESFALLS kindlich zu fragen: Wozu
braucht eine Milliardärin weitere 400.000 Euro? Und warum ereignet sich das auf einem
Geschäftsfeld, der AUCH zum Ausplündern der Republik beigetragen hat?
Ich hab keine Kerze übrig. Ich bin beschäftigt. Haiti in
Ordnung zu bringen beginnt genau hier, vor meiner Haustür ...
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