9. Oktober 2009 Da
verlautbart der Herr Präsident in Italien : "Viva Italia! Viva Berlusconi!"
Müßte man nicht einen Arzt rufen, wenn jemand in dieser Position sich auf solche
Art mit dem Land und einem Herrschaftsanspruch assoziiert?
Ich hab gestern nach dem Doktor gerufen. Im übertragenen
Sinne. Da sich endlich ein Abend ereignete, an dem mir unerledigte Dinge nicht erdrückend
erschienen. Und da für heute ein Temperatursturz avisiert wurde, schloß ich die Fenster,
räumte die Couch frei und griff nach "Dr. Ankowitschs Kleiner
Seelenklempner".
Die Seelenklempnerei läßt mich an einen hageren
Handwerker denken, der mit Werkzeugen, ähnlich dem Lichtschwert des Darth Vader, in
meiner Brust umrührt, worauf sich tröstliche Zustände einstellen. So sollte das gehen.
"Wirken und Wüten des Zufalls". Das ist
ja überhaupt der beste Modus, den es gibt. Wenn einem die eigenen Pläne abhanden kommen
und das Leben irgendwie schon wieder neu in Angriff genommen werden will. Dr. Ankowitsch
zitiert zeitig Brechts "Dreigroschenoper" und daraus das "Lied
von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens".
Schlagartig erinnere ich mich (Seelengeklimper!) an eine
Klarheit, die sich mir schon in jüngeren Jahren zugeworfen hatte: Weil Berthold Brecht im
richtigen Leben doch ein ziemliches Arschloch gewesen ist, habe ich mir damals
vorgenommen, lieber doch kein bedeutender Autor zu werden. Wo käme man da hin?
Dr. Ankowitsch unterstreicht die geradezu buddhistische
Bedeutung solcher Erkenntnisse mit der Feststellung: "Es ist nun einmal eine der
wichtigsten Aufgaben unserer Psyche, uns davon zu überzeugen, Chef des Universums zu
sein."
Als Chef eines sehr überschaubaren Universums gehe ich
täglich zwei mal zur Galerie "einraum" hinunter, um da Geräte
anzuwerfen oder abzuschalten. Nach den Videoinstallationen von Lisa Truttmann und Björn
Segschneider werden dort übrigens Arbeiten des Fotografen Christian Strassegger zu sehen
sein.
Strassegger, hier bei der Vernissage zu "Wie spät ist es?",
hat vor einer Weile eine Serie erarbeitet, in der die Region durch Verkehrsspiegel gesehen
wird. Ein verblüffender Ansatz, eigene Mobilität herunterzubremsen, um so Blicke auf die
Umgebung zu finden.
Ein weiterer Hinweis, daß Kunst ganz maßgeblich mit
Ästhtetik zu tun hat, diese aber nicht hauptsächlich mit Schönheit, sondern
("Aisthesis") mit Wahrnehmung ... also dem Gegenteil von Betäubung
("Anästhesie").
Nun, Strasseggers Blick in die Verkehrsspiegel, daran ist
natürlich das Motiv der Mobilität geknüpft, denn der Betrachtende ist hier Reisender
... was mich an den Begriff "Avantourismus" denken läßt, der unserem "fahrenden
Symposium" quer durch die Oststeiermark entsprang. (Siehe dazu: "The Locomotion"!)
"Avantouristen" tun eben solche Dinge, der Kunst
verbunden, an Unfug vergnügt, in Bewegung bleibend ... Bewegung! Unsere abschließende
Session hatte, wie schon erwähnt, zur Begegnung mit dem afrikanischen Philosophen Frank
Ugiomoh geführt. (Siehe dazu den Eintrag vom 6.
Oktober 2009!)
Özgür Erkok von der Gruppe "HA ZA VU ZU"
hatte sekptisch angemerkt, er mißtraue dieser Einladerei von Künstlern in andere
Länder, dieser Art von Veranstaltungen. (Es blieb unklar, warum er dann die Einladung
angenommen hatte. Vermutlich um seine Thesen zu überprüfen.)
Ich wandte ein, das sei genau genommen ein Zurückfordern
von Bedingungen, die uns den größten Teil der letzten zweieinhalbtausend Jahre kulturell
große Vorteile gebracht hätten. Es war ganz selbstverständlich, daß Menschen im Raum
zwischen Wien, Beograd und Istanbul reisten. Kaufleute, Köche, Künstler ... Es war
selbstverständlich, daß die Orte entlang der Routen von den Reisenden Impulse empfingen
und Güter erhielten. Es war auch normal, daß Fremde ansässig wurden. (Man beachte bloß
die Geschichte von "8020 Graz"!)
Ugiomoh warf ein, die Krise der Moderne sei eine Krise der
nationalen Grenzen, welche gezogen wurden. Die Begrenzung der Mobilität von Menschen
werfe immer größere Probleme auf. Mitten in unserer Debatte sagte er so nebenbei den
Satz, auf den ich eine ganze Reihe weiterer Schritte stützen möchte:
"If you go out and meet somebody,
you have to reinvent yourself."
(Wenn du losgehst und jemanden triffst, mußt du dich selbst neu erfinden.)
Das besagt ja unausgesprochen auch:
Wenn du dich nicht verändern willst, kannst du gleich zuhause bleiben. Damit hat
der Afrikaner aus Nigeria übrigens eine kleine Referenz an das abendländische Europa aus
dem Ärmel geschüttelt. Denn schon in der Griechischen Antike hatte man einen eigenen
Begriff für die Art von Privatpersonen, die am öffentlichen Leben, folglich an der Welt,
kein Interesse haben, die sich nicht zu ändern gedenken, die sich selbst (hinter ihrem
Ofen) genügen: "Idiotes".
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