25. September 2009

In der Körpergröße haben wir nun Gleichstand. Er gehört nicht zu den wütenden Youngsters und hat doch merklich ein paar unerbittliche Seiten. Irgendwas läuft da ganz anders. Ich beobachte manchmal das Minenspiel seines Gesichts, um eine Ahnung zu bekommen, wie der Bursche tickt.

Ich liebe es, daß er mir immer wieder ganz fremd ist. Das schafft, dessen bin ich mir sicher, die nötige Distanz, um über den eigenen Vater hinauswachsen zu können. Meine Leute haben mich zu einer bestimmten Zeit geduckt sehen wollen. Das hat zwar nicht geklappt, aber den Versuch nehme ich ihnen bis heute übel. (Wie viel Kraft und Zeit habe ich vergeudet, um Leute über den Haufen zu rennen, die mich geduckt sehen wollten!)

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Gehen Sie davon aus, hier steht NICHT "Death Ducking Metal". Das Ducken ist da nicht vorgesehen. Ich habe gestern erzählt, wie zuversichtlich die Burschen auf die Welt blicken. Doch sie kennen die Zahlen. Kaum mehr als hundert Lehrplätze in einer so großen Stadt wie Graz. Diese Babies sind nicht dumm. Sie haben sich in den letzten Jahren schon von einigen Heuchlerfressen abgewandt.

Sie gehen nicht auf die Straße, um Krach zu schlagen, weil in diesem Land die Heuchlerfressen einer Polizei applaudieren, die einen Teenie totgeschossen hat; aber sie nicken sich zu, weil sie natürlich sehen und wissen: Schon wieder steht keiner von den Alten dafür gerade und sagt glaubhaft, was da los gewesen ist.

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Ich habe mir noch einmal genau angesehen, welches Bild Gabe sich auf dem Unterbauch hat stechen lassen. Der Bursche braucht nicht zu brüllen. Das kann man so auch hören. Nebenbei: Ich hab diese Lächler vor Augen, die gerade überall reüssieren, auch in meinem Milieu; sie treiben sich sogar im Web zwo um, schreiben laues Zeug und ... lächeln.

Lächeln. Unsere Kinder sind wund. Lächeln. Der britische Singer-Songwriter Labi Siffre hat das in einem Song so formuliert:

>>Old man / Your race is run / You think it's over / It's only begun / Child is born / Who has to face / The world you're leaving a dangerous place ...<< [Quelle]

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Das hat mich vorgestern in jenem russischen Film so erwischt. In diesem Bett lag das Kind des "Stalker", das wunde Wesen. Tarkowski hat für mich damit einen der wichtigsten Filme der Nachkriegszeit gedreht. Er konfrontiert uns auf ganz ruhige Art, in manchmal derart langsamen Einstellungen, wie sie heute im Kino wohl nicht mehr möglich sind, mit den von uns selbst initiierten Schrecken des Menschseins.

Vom fernen Seattle aus hat mich Michael Roloff kürzlich nicht nur zu lesen ermahnt, er hat auch das Stichwort "Schmerz" aufgegriffen und mir den Link zu einem bemerkenswerten Text in der "New York Times" geschickt.

Roloff, der selbst spontan zu Zornschüben fähig ist, wie ich sie sonst meist nur noch von Teenies kennen, weil so viele Erwachsene längst irgendwo zwischen wohlerzogen und berechnend gelandet sind, da tut sich wenig an bemerkenswerten Emotionen, wie ich sehe, wie stellenweise auch im Web zwo lese, manche, die erleben offenbar überhaupt nichts ... ich schweife ab!

Roloff und der Text über den Schmerz. Dana Jennings erzählt von den Dingen, die wir darin vergebens fürchten, aber auch von jenen, die sind so furchterregend, das wissen zum Glück nur Menschen, die schon "dort" waren. ("Pain Beyond Words, and an Impulse Just to Endure" [link]) Folgende Stelle mag ich besonders:

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... und stimme dem Text in vielen Punkten energisch zu. Im ersten Absatz schreibt Jennings, die eigene Position vorweg klärend: "I think I can safely state that pain falls into two broad categories: the kind you can articulate, and pain that is beyond words." So ist das!

Ich hatte Anfang der 90er Gelegenheit, das zu überprüfen und viele Jahre später darüber in einem Buch über Schmerz darüber zu schreiben. Da heißt es an einer Stelle: "Ich habe einen Begriff gewählt, der es mir erlaubt, mich mit anderen Menschen über die Folgen jenes Schreckens zu verständigen, der einen dort erschüttert, wo Worte nichts gelten. Die Überwältigung." [Quelle]

Was hat das mit dem Beginn dieses Eintrags zu tun, außer daß es Momente der letzten Tage reflektiert? Es weist darauf hin, wie versehrbar wird alle sind, wie gefährdet ohnehin; es liegen darin allein schon gute Gründe, auf einander achtzugeben.


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