29. Dezember 2008 Da ist
ein Raunen, die Weltwirtschaftskrise habe viele Menschen dazu bewegt ... ja, was?
Rückbesinnung? Lustig! Auf das Thema komme ich noch zurück. Vorab wäre
einzuwenden: Nichts weist darauf hin, daß Menschen durch Schaden klug würden. Das mag
zwar individuell vorkommen, aber als ein Effekt auf breiterer gesellschaftlicher Ebene
fehlen mir dazu deutliche Spuren.
Vielleicht macht das ja auch gar nichts, weil uns ohnehin
andere Wege offen stehen. Es gibt in Demokratien berechtigte Skepsis gegenüber einer
Anlaßgesetztgebung. Das bedeutet, es gilt als problematisch, wenn auf einen
plötzlichen Anlaß hin ein schnell ein Gesetz geschrieben wird.
Heftige Reaktionen auf heftigen Schaden sind ebenso wenig
vielversprechend, wo es um "Nachhaltigkeit" geht. Ähnlich den Vorsätzen
für das neue Jahr, die meist dem Anlaß der Jahreswende entspringen und, was ich
rundum höre, überwiegend sehr schwache Pflänzchen sind, denen selten Langlebigkeit
attestiert werden kann.
Es scheint dagegen wesentlich vielversprechender,
grundsätzliche Vereinbarungen zu treffen, die immer wieder geprüft und auch neu
verhandelt werden können. Ethos als ein soziokulturelles Gut, verhandelbar und wandelbar.
Das halte ich für eine passable Basis. Solche Fragen habe ich gestern mit Gerald Gigler
erörtert. Er leitet beim Land Steiermark jene Abteilung (innerhalb der "16er"),
die für Leader-Regionen zuständig ist, also für ein bestimmtes EU-Programm
im ländlichen Raum.
Der spezielle Anlaß unserer Erörterung ergab sich daraus,
daß es 2009 zu einer Kooperation zwischen dieser Abteilung und der Kulturabteilung des
Landes kommt. Ich befasse mich nun schon eine Weile damit, was das konkret für die Praxis
jenseits des Landeszentrums bedeuten kann. [link] Wir gehören
beide einer Generation an, in deren Jugend unter Zivilisation noch verstanden
wurde, mit Messer und Gabel zu essen, regelmäßig einen Friseur aufzusuchen und sich den
bürgerlichen Bildungskanon anzueignen zuzüglich allerhand "Tugenden", durch
die man sich von "Südländern" und "Ausländern" zu unterscheiden
meinte.
Mit Zivilisation war vorrangig die
"eigene" Kultur gemeint, der gegenüber abzuweichen als inferior galt. Um aber
solchen Vorrang durchsetzen zu können, hieß Kultur zu einem wesentlichen
Teil Legendenbildung. Die daraus resultierenden Legenden konnten jederzeit
über jede (eigene) Schwachstelle gestülpt werden. Um solche Legenden ausreichend zu
legitimieren, dienen verschiedene Mittel. Eines der populärsten ist die lange
Dauer. Denn früher soll es ja eine gute alte Zeit gegeben
haben, die angeblich eine Ära der wahren Werte war.
Die aktuelle Weltwirtschaftskrise wirft demnach einige
Fragen auf, wohin geblickt werden soll, falls sich jemand zur Besserung der Situation
orientieren möchte. Zurück? Ich glaub es nicht. Zurückblicken ist zwar aufschlußreich,
falls ich mir den gegenwärtigen Status quo klar machen möchte. Das nützt passabel, um
für die Zukunft Weichen zu stellen. Aber neue Orientierungen sind in der Vergangenheit
nicht zu finden.
Da müssen wir uns also aufraffen. Worum geht es?
Ein Stück vergangenheit: Seit der Renaissance, dem
Durchgreifen des Frühkapitalismus und dem damals sprunghaft angehenden
Fernhandel haben wir Menschen begonnen, Verfahrensweisen zu entwickeln, durch die
regionales Tun weltweite Folgen zeigen kann; und umgekehrt, Ereignisse am anderen Ende der
Welt schlagen nicht bloß in die Zentren, sondern auch in die Provinzen durch.
Die Globalisierung ist also keine gar so neue
Sache. Doch es fehlt unserer Kultur noch an adäquaten Standards, damit das eigene lokale
und regionale Tun in seinen globalen Konsequenzen und Zusammenhängen sowohl wahrgenommen
als auch verstanden wird. Ich stelle das nicht in einer (an-) klagenden Tonlage fest,
sondern meine bloß: Jetzt wäre es langsam Zeit, solche Zugänge voranzubringen.
Ich hatte mit Gigler Konsens: Niemand braucht Zurufe oder
will in solchen Fragen belehrt werden. Appelle? Lieber nicht! Aber öffentliche Debatten.
Um das zu forcieren, was zu den Grundlagen einer Demokratie gerechnet werden darf: Wenn in
der Res publica das Recht vom Volk ausgeht, dann sollte dieses Volk mit einer
weitreichenden Partizipation am politischen und kulturellen Leben vertraut sein.
Das fällt, so weit ich sehen kann, nicht vom Himmel.
Dafür muß gearbeitet werden. So meint schließlich auch Zivilisation nicht
mehr Wir, weil eh Andere uns gegenüber die Wilden
seien. Zivilisation meint eher: Gemeinwesen. Und zwar eines, das
sich vor allem auf zwei Qualitäten stützt: Gewaltverzicht und Verteilungsgerechtigkeit.
Diese Qualitäten können nicht nur nach innen gerichtet, also der eigenen
Wir-Gemeinschaft gewidmet sein, sondern müssen auch nach außen
als bindend verstanden werden.
Juli
2005 Vinkovci. Wir haben dicke Hühner zu
verkaufen.
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