18. Dezember 2008 So regnet
es immer noch. Unausgesetzt. Was eine eigentümliche Stimmung erzeugt. Wehmut? Ja, ich
stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich nun die Sonne nie wieder sehen würde. Deshalb
erinnere ich mich aber auch daran, was das für ein Akzent ist, wenn nach solchen
Regentagen, die nicht zu enden scheinen, dann doch wieder die Sonne heraus kommt.
Autor Michael Roloff mailte mir:
>>I notice that it was still mild in Gleisdorf
on the 15th. As of the past weekend it is finally over with mild weather here. xx (a
weatherman in Seattle)<<
Eine der Kuriositäten dieser medialen Situation. Wo ist
Seattle? Weit weg. Und ich bin dem Mann noch nie real über den Weg gelaufen. Aber wir
haben seit nun Jahren unsere laufenden "Plauderstündchen", als befände er sich
im nächsten Dorf.
Apropos Dorf! Im alten Albanien war es üblich, das ein beherbergter Gast zum Abschied von
einem Mitglied des Haushaltes bis zur Dorfgrenze begleitet werden mußte, denn bis da hin
galt jener geschützte Raum, in dem man für die Sicherheit seines Gastes verantwortlich
war.
So beschreibt es Ismail Kadare in seinem Roman "Der
zerrissene April", ein Werk über den "Kanun", jenes Regelwerk, in dem
Fragen des Alltagslebens und der Blutfehde geregelt waren.
>>Denn der Gast war heilig, und das Haus des
Hochländers gehörte nach dem Kanun zuerst Gott und dem Gast und dann erst den Bewohnern,
das hatten sie schon als Kinder gelernt.<< |
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Das klingt natürlich auf
Anhieb etwas verwunderlich, weist aber bloß darauf hin, wie gefährdet das Leben einst
war, auch bei uns, wie schutzlos man sein konnte und wie demnach über Regelwerke versucht
wurde, wenigstens die Gewalttätigkeit einzudämmen.
Wenn ich heute in Leserbrief-Rubriken des
Boulevards andauernd lese, man möge doch Österreichs Grenzen wieder dich machen, um das
Verbrechen draußen zu halten, fällt mir auf, wie weit diese Illusion von Sicherheit bei
uns gediehen ist, diese dümmliche Phantasie, man könne über bauliche, technische und
bürokratische Maßnahme all das verläßlich ausschließen, was wir zurecht fürchten.
Ein Handel mit Trugbildern, der leider nicht
bloß von Versicherungsgesellschaften und anderen Kommerz-Instanzen betrieben wird,
sondern auch von unserer Innenpolitik. Was davon ablenkt, daß die eigentlich harte
Anforderung darin liegt, eben Konventionen zu schaffen und deren Einhaltung kulturell
durchzusetzen, um Gewalttätigkeit einzudämmen. Mehr Schutz ist letztlich nicht möglich,
rechnet man noch ein, was die Professionisten, also etwa die Polizei, dazu beitragen
können.
Ich hab im gestrigen Eintrag das Attentat auf den Passauer Polizei-Chef erwähnt.
Als ein anschauliches Beispiel, wo die Grenzen professioneller Gewaltabwehr liegen, wenn
eine Gesellschaft und ihre Politik die kulturelle Gewaltprävention nicht ausreichend
ernst nehmen, wie etwa durch die politische Bewirtschaftung rechts-konservativer
Bevölkerungsteile, unter denen die "vaterländischen" Nationalisten ihre
Angstphantasien mitunter sehr gewalttätig abarbeiten.
Mich beschäftigen solche Themen in einem noch
ganz anderen Zusammenhang. Der Ausgang aus Zuständen hoher Gewalttätigkeit. Das Kosovo.
Dieses Photo zeigt die Maler Shpend Queriqi (links) und Anton Krasniqi (2.v.r.) von
"unserer" kosovarischen Crew [link], den
Diplomaten Albert Rohan flankierend.
Rohan war gemeinsam mit dem frisch gekürten
Nobelpreisträger Martti Ahtisaari Sonderbeauftragter der UN für das Kosovo: "United
Nations Secretary-General Kofi Annan has appointed Albert Rohan, the former
Secretary-General of the Austrian Ministry of Foreign Affairs, as deputy to Martti
Ahtisaari, Special Envoy for the Future Status Process for Kosovo." [Quelle]
Rechts im Bild der kosovarische Unternehmer
Flurim Zequiri. Er hat während des Sezessionskrieges Jugoslawiens mit der UCK gegen die
serbische Seite gekämpft. Ich habe mit Flurim einige heftige Debatten erlebt, bei denen
ich mir Lektionen abholen mußte. Es geht genau um diese Zusammenhänge; wenn Gewalt
eskaliert, die Konventionen nicht mehr halten, die Schranken brechen, wohin das führt und
was wieder herausführen mag.
In all dem muß klar sein, daß Waffengänge
bloß die gewissermaßen letzte Konsequenz in einer Spirale der Gewalt sind, womit ich
meine: Gewalttätigkeit, die zum Einsatz von Waffen führt, beginnt viel früher und mit
anderen Mitteln. Sie beginnt mit Worten und Taten im Alltagsleben. Die Waffengänge fallen
nicht vom Himmel, sondern werden auf Erden vorbereitet. In ausdauernden Prozessen, über
die wir eigentlich heute längst keine Unklarheit haben.
Das verweist wiederum auf den oben erwähnten
Roman von Kadare, in dem Verstrickungen, Ereignisketten und Zusammenhänge auf dem Weg zu
Gewalttaten dargestellt sind, wie sie vielleicht in der agrarischen Welt noch besser
überschaubar waren. Sie dürften aber, was ihre Grundlagen angeht, in einer
industrialisierten Massengesellschaft kaum anderer Art sein ...
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